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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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begreifen wird, nicht in den höflichsten Formen, diesen Vertrag zu unterschreiben,
und bereitete sich zum Angriff. Lesscps ließ nach Rom sagen, man möge sich über
diese Bewegungen nicht beunruhigen, es solle ihnen nicht gelten. Dennoch wurde
in der Nacht eine der wichtigsten militärischen Positionen, der Monte Mario be¬
setzt. Um dem Übeln Eindruck dieser Thatsache zuvorzukommen, eilte der Gesandte
am folgenden Morgen (31. Mai) nach Rom, indem er dem General eine Denk¬
schrift hinterließ, worin er nachzuweisen suchte, daß die Besetzung Roms durch
die französischen Truppen nicht nnr nicht vortheilhaft, sondern selbst bedenklich sei,
theils wegen der ungesunden Luft, theils wegen der leicht vorauszusehenden Con¬
flicte mit den römischen Behörden. Er kam nun mit der Nationalversammlung
über folgende Fassung überein: 1) Der Schutz Frankreichs wird dem römischen
Volk zugesichert. Es betrachtet die französische Armee als eine befreundete Macht,
welche zu der Vertheidigung ihres Gebiets mitwirken wird. 2) In Uebereinstim¬
mung mit der römischen Regierung und ohne sich in die Landesverwaltung zu
mischen, wird die französische Armee die äußeren Cantounements beziehn, welche
für die Laudesvertheidigung und für deu Gesundheitszustand passend sind. Die
Communicationen sollen frei sein. 3) Die französische Republik garantirt das von
ihren Truppen besetzte Gebiet gegen jeden Angriff. 4) Es versteht sich, daß das
gegenwärtige Abkommen der Ratification der französischen Republik unterworfen
bleibt; in jedem Fall tritt es aber erst 14 Tag" nach der offiziellen Erklärung,
daß mau nicht ratificiren wolle, außer Wirksamkeit.

Der General erklärte, diesen Vertrag, den Lesseps in seiner Gegenwart un¬
terzeichnete, nicht anerkennen zu wollen; er notificirte diesen Protest dem Trium¬
virat, dem Lesseps (1. Juni) seinerseits die Giltigkeit zusicherte, bis er noch den¬
selben Tag durch Oudinot eine telegraphische Depesche ans Paris erhielt, datirt
vom 29. Mai, wonach seine Mission als beendigt erklärt und er selber zurückge¬
rufen wurde. Zugleich erhielt der General den Befehl, Rom zu nehmen. Lesseps
kam den 5. Juni in Paris an.

Hier war mittlerweile die große Wendung eingetreten, welche die Regierung
in den Stand setzte, mit ihren eigentlichen Absichten freier herauszugehn. Die
coustituirende Versammlung hatte in der letzten Zeit eine ziemlich entschiedene re¬
publikanische Haltung angenommen. Zwar war sie über die Angrisse, welche Lcdru
Rollin gegen die in Italien befolgte Politik richtete, mit 32" : 292 Se. zur Ta¬
gesordnung übergegangen (11. Mai), und die Anklage gegen den Präsidenten
war verworfen (387 : 138); dagegen halte das fast einstimmige Tadelsvotnm
gegen deu Minister des Innern, Leon Faucher (14. Mai), denselben zur Abdan¬
kung gezwungen, und mit 293 : 210 Stimmen hatte die Versammlung (18. Mai)
erklärt, daß die doppelte Stellung Changarnier's als Befehlshaber der
Truppen und der Nationalgarde ungesetzlich sei. Ein neuer Angriff gegen die aus-


Grcnzbotcn. in. 184". 44

begreifen wird, nicht in den höflichsten Formen, diesen Vertrag zu unterschreiben,
und bereitete sich zum Angriff. Lesscps ließ nach Rom sagen, man möge sich über
diese Bewegungen nicht beunruhigen, es solle ihnen nicht gelten. Dennoch wurde
in der Nacht eine der wichtigsten militärischen Positionen, der Monte Mario be¬
setzt. Um dem Übeln Eindruck dieser Thatsache zuvorzukommen, eilte der Gesandte
am folgenden Morgen (31. Mai) nach Rom, indem er dem General eine Denk¬
schrift hinterließ, worin er nachzuweisen suchte, daß die Besetzung Roms durch
die französischen Truppen nicht nnr nicht vortheilhaft, sondern selbst bedenklich sei,
theils wegen der ungesunden Luft, theils wegen der leicht vorauszusehenden Con¬
flicte mit den römischen Behörden. Er kam nun mit der Nationalversammlung
über folgende Fassung überein: 1) Der Schutz Frankreichs wird dem römischen
Volk zugesichert. Es betrachtet die französische Armee als eine befreundete Macht,
welche zu der Vertheidigung ihres Gebiets mitwirken wird. 2) In Uebereinstim¬
mung mit der römischen Regierung und ohne sich in die Landesverwaltung zu
mischen, wird die französische Armee die äußeren Cantounements beziehn, welche
für die Laudesvertheidigung und für deu Gesundheitszustand passend sind. Die
Communicationen sollen frei sein. 3) Die französische Republik garantirt das von
ihren Truppen besetzte Gebiet gegen jeden Angriff. 4) Es versteht sich, daß das
gegenwärtige Abkommen der Ratification der französischen Republik unterworfen
bleibt; in jedem Fall tritt es aber erst 14 Tag« nach der offiziellen Erklärung,
daß mau nicht ratificiren wolle, außer Wirksamkeit.

Der General erklärte, diesen Vertrag, den Lesseps in seiner Gegenwart un¬
terzeichnete, nicht anerkennen zu wollen; er notificirte diesen Protest dem Trium¬
virat, dem Lesseps (1. Juni) seinerseits die Giltigkeit zusicherte, bis er noch den¬
selben Tag durch Oudinot eine telegraphische Depesche ans Paris erhielt, datirt
vom 29. Mai, wonach seine Mission als beendigt erklärt und er selber zurückge¬
rufen wurde. Zugleich erhielt der General den Befehl, Rom zu nehmen. Lesseps
kam den 5. Juni in Paris an.

Hier war mittlerweile die große Wendung eingetreten, welche die Regierung
in den Stand setzte, mit ihren eigentlichen Absichten freier herauszugehn. Die
coustituirende Versammlung hatte in der letzten Zeit eine ziemlich entschiedene re¬
publikanische Haltung angenommen. Zwar war sie über die Angrisse, welche Lcdru
Rollin gegen die in Italien befolgte Politik richtete, mit 32» : 292 Se. zur Ta¬
gesordnung übergegangen (11. Mai), und die Anklage gegen den Präsidenten
war verworfen (387 : 138); dagegen halte das fast einstimmige Tadelsvotnm
gegen deu Minister des Innern, Leon Faucher (14. Mai), denselben zur Abdan¬
kung gezwungen, und mit 293 : 210 Stimmen hatte die Versammlung (18. Mai)
erklärt, daß die doppelte Stellung Changarnier's als Befehlshaber der
Truppen und der Nationalgarde ungesetzlich sei. Ein neuer Angriff gegen die aus-


Grcnzbotcn. in. 184». 44
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/345>, abgerufen am 05.02.2025.