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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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tnsformen längst entfremdet. Er führte seine protestantische Gemahlin, seine zum
großen Theil protestantische Umgebung ohne Bedenken nach München, und Dank
sei es dem von der Kirche selbst gepflegten Unterthanengehorsam, es ging diese
unerhörte Neuerung ohne alle sichtbare Volksaufregung von Statten.

Baiern mußte in diesen Jahren den Kriegsschauplatz für Franzosen und
Oestreicher hergeben, und man war dadurch zuviel mit der Sorge, das nackte irdische
Leben zu fristen beschäftigt, als daß man Zeit gehabt, an den Schaden zu deu¬
ten, der durch eine solche Einschmuggelet des Ketzerthums dem Seelenheile be¬
reitet werden könnte.

Die Welt- und Klostergeistlichkeit, die pflichtgemäß zuerst den Allarmruf er¬
heben sollte, war damals den Vexationen des republikanischen Heeres am meisten
ausgesetzt; sie verlor alles, was sie an irdischen Besitzthümern hatte, bis auf die
leeren Kloster- und Kirchenmauern und ihre tief verschuldeten liegenden Güter.
Ihre meisten Angehörige" versteckten sich in entfernte Winkel des Landes, und
ehe noch Jemand an eine Säkularisation dachte, hatte der bairische Clerus, mit
Ausnahme des niedersten, factisch zu sein aufgehört. Von der kecken Allmachts¬
miene besserer Zeit war ihm kein Zug übrig geblieben; der Schlag kam zu plötz¬
lich, zu ungeheuer, und selbst die Erscheinung des Antichrists hätte ihn nicht so
total niederschmettern können, als diese republikanische" Heuschreckenschwärme. Jetzt
brauchte man in der kurfürstlichen Kanzlei zu München nicht mehr wie in den
alten Zeiten sorgfältigst zu erwägen, ob sich die Patres zu Ingolstadt und Strau-
bing nicht durch dieses oder jenes Decret verletzt sühlen möchten, die versprengten,
abgesetzten Mönche dankten Gott, wen" mau ihnen nur nicht auch noch das Leben
abdekretirte.

Daher erregte es bei Geistlichkeit und Volk nichts weiter als dumpfes Stau¬
nen, als sich die Regierung in den Jahren 1801 -- Z die herrenlos gewordenen
geistlichen Güter kraft ihrer Souveränität zueignete, und ihre früheren Besitzer
mit ärmlichen Pensionen abfand, die sie buchstäblich nicht vor dem Hunger schützten.

Hatte man sich das gefallen lassen, so war es natürlich, daß man auch die
gesetzliche Einbürgerung jener Protestanten, die mit der neuen Negierung in das
Land gekommen waren, ruhig über sich ergehen ließ. Uebrigens waren es durch¬
aus keine puritanischen Eiferer, wie sich leicht denken läßt; ächte Kinder des 18.
Jahrhunderts, waren sie zufrieden, wenn sie nur selbst uicht in die Messe zu gehen
nöthig hatten, und kümmerten sich nicht darum, wenn es andere thaten.

Der Frieden von Luneville und der Neichsdeputationshauptschluß von 1803
brachte dieser kleinen Schaar bairischer Protestanten bedeutenden Zuwachs. Er
führte eine Anzahl von protestantischen Reichsstädten und kleineren Herrschaften
unter den kurfürstlichen Scepter, die dann in den folgenden Jahren durch noch
größere Erwerbungen, wie die von Ansbach und Baireuth vermehrt wurden. --
Die neuen Unterthanen erhielten die bündigsten und ganz ehrlich gemeinten


tnsformen längst entfremdet. Er führte seine protestantische Gemahlin, seine zum
großen Theil protestantische Umgebung ohne Bedenken nach München, und Dank
sei es dem von der Kirche selbst gepflegten Unterthanengehorsam, es ging diese
unerhörte Neuerung ohne alle sichtbare Volksaufregung von Statten.

Baiern mußte in diesen Jahren den Kriegsschauplatz für Franzosen und
Oestreicher hergeben, und man war dadurch zuviel mit der Sorge, das nackte irdische
Leben zu fristen beschäftigt, als daß man Zeit gehabt, an den Schaden zu deu¬
ten, der durch eine solche Einschmuggelet des Ketzerthums dem Seelenheile be¬
reitet werden könnte.

Die Welt- und Klostergeistlichkeit, die pflichtgemäß zuerst den Allarmruf er¬
heben sollte, war damals den Vexationen des republikanischen Heeres am meisten
ausgesetzt; sie verlor alles, was sie an irdischen Besitzthümern hatte, bis auf die
leeren Kloster- und Kirchenmauern und ihre tief verschuldeten liegenden Güter.
Ihre meisten Angehörige» versteckten sich in entfernte Winkel des Landes, und
ehe noch Jemand an eine Säkularisation dachte, hatte der bairische Clerus, mit
Ausnahme des niedersten, factisch zu sein aufgehört. Von der kecken Allmachts¬
miene besserer Zeit war ihm kein Zug übrig geblieben; der Schlag kam zu plötz¬
lich, zu ungeheuer, und selbst die Erscheinung des Antichrists hätte ihn nicht so
total niederschmettern können, als diese republikanische» Heuschreckenschwärme. Jetzt
brauchte man in der kurfürstlichen Kanzlei zu München nicht mehr wie in den
alten Zeiten sorgfältigst zu erwägen, ob sich die Patres zu Ingolstadt und Strau-
bing nicht durch dieses oder jenes Decret verletzt sühlen möchten, die versprengten,
abgesetzten Mönche dankten Gott, wen» mau ihnen nur nicht auch noch das Leben
abdekretirte.

Daher erregte es bei Geistlichkeit und Volk nichts weiter als dumpfes Stau¬
nen, als sich die Regierung in den Jahren 1801 — Z die herrenlos gewordenen
geistlichen Güter kraft ihrer Souveränität zueignete, und ihre früheren Besitzer
mit ärmlichen Pensionen abfand, die sie buchstäblich nicht vor dem Hunger schützten.

Hatte man sich das gefallen lassen, so war es natürlich, daß man auch die
gesetzliche Einbürgerung jener Protestanten, die mit der neuen Negierung in das
Land gekommen waren, ruhig über sich ergehen ließ. Uebrigens waren es durch¬
aus keine puritanischen Eiferer, wie sich leicht denken läßt; ächte Kinder des 18.
Jahrhunderts, waren sie zufrieden, wenn sie nur selbst uicht in die Messe zu gehen
nöthig hatten, und kümmerten sich nicht darum, wenn es andere thaten.

Der Frieden von Luneville und der Neichsdeputationshauptschluß von 1803
brachte dieser kleinen Schaar bairischer Protestanten bedeutenden Zuwachs. Er
führte eine Anzahl von protestantischen Reichsstädten und kleineren Herrschaften
unter den kurfürstlichen Scepter, die dann in den folgenden Jahren durch noch
größere Erwerbungen, wie die von Ansbach und Baireuth vermehrt wurden. —
Die neuen Unterthanen erhielten die bündigsten und ganz ehrlich gemeinten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/322>, abgerufen am 05.02.2025.