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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Die Ultramontanen und Pietisten in Baiern.



Das ehemalige Churfürstenthum Baiern besaß noch im vorigen Jahrhundert
neben andern erheblichen Vorzügen auch den, daß es sich von aller Ansteckung
lutherischer und anderer Ketzerei stets frei gehalten hatte. Ein Jahrtausend hin¬
durch war daselbst die katholische Messe die einzige Form der Gottesverehrung,
die nicht mit Staupbesen und Landesverweisung bestraft wurde. Zu derselben
Zeit, wo Jedermann im ganzen heiligen römischen Reiche nach seiner Fa?on selig
werden und Steuern bezahlen durste, wo die ersten geistlichen Fürsten der Chri¬
stenheit, die Träger der Churhüte vou Köln und Mainz, nicht blos ketzerische Pro¬
fessoren an ihre Universitäten, sondern auch ketzerische Räthe in ihre Geheime
Rathscollegien beriefen, wurde in den Städten und Märkten Baierns nicht einmal
ein lutherischer Schneider oder Schuster als Schutzbürger zugelassen.

Zwar sah sich auch Baiern zu der Aufhebung der Jesuiten 1773 genöthigt,
und gleichzeitig erregte" die illumiuatistischen Professoren in Ingolstadt einen nicht
geringen Lärmen. Aber neben den Jesuiten gab es ja auch uoch Kapuziner und
Franziskaner und Dutzende von andern Orden, und sie selbst kamen uuter anderer
Tracht schon wenige Jahre darauf wieder zum Vorschein, um ihr altes Werk wie¬
der aufzunehmen. Der Jlluminatismns aber war nichts als ein Rausch, den sich
einige feurige Köpfe noch dazu in einem Stosse getrunken hatten, der auf die
groben altbairischen Nerven gar keine Wirkung ausübte.

Erst die französische Revolution warf diese altbairische Pfaffenherrlichkeit über
den Haufen. -- Zunächst brachte er eine neue Dynastie, die Zweibrückner Linie
der pfälzischen Wittelsbacher auf den orthodoxen Thron. Herzog Max war zwar
dem Namen nach auch Katholik,' aber er brachte von seiner Heimat hart an der
Grenze des antichristlichen Frankreichs allerlei Traditionen mit nach München her¬
über, die sich nicht gut mit der altbairischen Frömmigkeit vertrugen. Sein eige¬
nes Haus war erst seit Menschengedenken katholisch geworden, wie es offen auf
der Hand lag, nur der lockende" altbairischen Erbschaft wegen, und bewahrte uoch
immer einen gewissen protestantische" Familienzng. Ihn selbst hatte der Einfluß
eines burschikos-liberalen Naturells und einer damit vortrefflich harmonirenden
Erziehung dem Katholizismus bis auf eine laxe Theilnahme an den äußern Cul-


Grenzboten. III. 1849. 41
Die Ultramontanen und Pietisten in Baiern.



Das ehemalige Churfürstenthum Baiern besaß noch im vorigen Jahrhundert
neben andern erheblichen Vorzügen auch den, daß es sich von aller Ansteckung
lutherischer und anderer Ketzerei stets frei gehalten hatte. Ein Jahrtausend hin¬
durch war daselbst die katholische Messe die einzige Form der Gottesverehrung,
die nicht mit Staupbesen und Landesverweisung bestraft wurde. Zu derselben
Zeit, wo Jedermann im ganzen heiligen römischen Reiche nach seiner Fa?on selig
werden und Steuern bezahlen durste, wo die ersten geistlichen Fürsten der Chri¬
stenheit, die Träger der Churhüte vou Köln und Mainz, nicht blos ketzerische Pro¬
fessoren an ihre Universitäten, sondern auch ketzerische Räthe in ihre Geheime
Rathscollegien beriefen, wurde in den Städten und Märkten Baierns nicht einmal
ein lutherischer Schneider oder Schuster als Schutzbürger zugelassen.

Zwar sah sich auch Baiern zu der Aufhebung der Jesuiten 1773 genöthigt,
und gleichzeitig erregte» die illumiuatistischen Professoren in Ingolstadt einen nicht
geringen Lärmen. Aber neben den Jesuiten gab es ja auch uoch Kapuziner und
Franziskaner und Dutzende von andern Orden, und sie selbst kamen uuter anderer
Tracht schon wenige Jahre darauf wieder zum Vorschein, um ihr altes Werk wie¬
der aufzunehmen. Der Jlluminatismns aber war nichts als ein Rausch, den sich
einige feurige Köpfe noch dazu in einem Stosse getrunken hatten, der auf die
groben altbairischen Nerven gar keine Wirkung ausübte.

Erst die französische Revolution warf diese altbairische Pfaffenherrlichkeit über
den Haufen. — Zunächst brachte er eine neue Dynastie, die Zweibrückner Linie
der pfälzischen Wittelsbacher auf den orthodoxen Thron. Herzog Max war zwar
dem Namen nach auch Katholik,' aber er brachte von seiner Heimat hart an der
Grenze des antichristlichen Frankreichs allerlei Traditionen mit nach München her¬
über, die sich nicht gut mit der altbairischen Frömmigkeit vertrugen. Sein eige¬
nes Haus war erst seit Menschengedenken katholisch geworden, wie es offen auf
der Hand lag, nur der lockende» altbairischen Erbschaft wegen, und bewahrte uoch
immer einen gewissen protestantische» Familienzng. Ihn selbst hatte der Einfluß
eines burschikos-liberalen Naturells und einer damit vortrefflich harmonirenden
Erziehung dem Katholizismus bis auf eine laxe Theilnahme an den äußern Cul-


Grenzboten. III. 1849. 41
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[0321] Die Ultramontanen und Pietisten in Baiern. Das ehemalige Churfürstenthum Baiern besaß noch im vorigen Jahrhundert neben andern erheblichen Vorzügen auch den, daß es sich von aller Ansteckung lutherischer und anderer Ketzerei stets frei gehalten hatte. Ein Jahrtausend hin¬ durch war daselbst die katholische Messe die einzige Form der Gottesverehrung, die nicht mit Staupbesen und Landesverweisung bestraft wurde. Zu derselben Zeit, wo Jedermann im ganzen heiligen römischen Reiche nach seiner Fa?on selig werden und Steuern bezahlen durste, wo die ersten geistlichen Fürsten der Chri¬ stenheit, die Träger der Churhüte vou Köln und Mainz, nicht blos ketzerische Pro¬ fessoren an ihre Universitäten, sondern auch ketzerische Räthe in ihre Geheime Rathscollegien beriefen, wurde in den Städten und Märkten Baierns nicht einmal ein lutherischer Schneider oder Schuster als Schutzbürger zugelassen. Zwar sah sich auch Baiern zu der Aufhebung der Jesuiten 1773 genöthigt, und gleichzeitig erregte» die illumiuatistischen Professoren in Ingolstadt einen nicht geringen Lärmen. Aber neben den Jesuiten gab es ja auch uoch Kapuziner und Franziskaner und Dutzende von andern Orden, und sie selbst kamen uuter anderer Tracht schon wenige Jahre darauf wieder zum Vorschein, um ihr altes Werk wie¬ der aufzunehmen. Der Jlluminatismns aber war nichts als ein Rausch, den sich einige feurige Köpfe noch dazu in einem Stosse getrunken hatten, der auf die groben altbairischen Nerven gar keine Wirkung ausübte. Erst die französische Revolution warf diese altbairische Pfaffenherrlichkeit über den Haufen. — Zunächst brachte er eine neue Dynastie, die Zweibrückner Linie der pfälzischen Wittelsbacher auf den orthodoxen Thron. Herzog Max war zwar dem Namen nach auch Katholik,' aber er brachte von seiner Heimat hart an der Grenze des antichristlichen Frankreichs allerlei Traditionen mit nach München her¬ über, die sich nicht gut mit der altbairischen Frömmigkeit vertrugen. Sein eige¬ nes Haus war erst seit Menschengedenken katholisch geworden, wie es offen auf der Hand lag, nur der lockende» altbairischen Erbschaft wegen, und bewahrte uoch immer einen gewissen protestantische» Familienzng. Ihn selbst hatte der Einfluß eines burschikos-liberalen Naturells und einer damit vortrefflich harmonirenden Erziehung dem Katholizismus bis auf eine laxe Theilnahme an den äußern Cul- Grenzboten. III. 1849. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/321>, abgerufen am 05.02.2025.