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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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der Kaufmann können diese Stockungen des Consnms ihrer Waaren und deren
Entwerthung nicht mehr lange ertragen, der Kleinhändler in Oestreich ist auf
dem besten Wege zu Grunde zu gehn. Dadurch aber wird das Volk aussätzig, wider¬
spenstig. Es kommt zu Excessen, zu Zusammenrottungen, "die ganz unpolitischer
Natur sind," Bäckerladen werden gestürmt, Juden gehöhnt, bis die Aufregung
der Massen sich endlich an irgend ein Stichwort klammert, gegen eine einzelne
Negicrungsmaßregel erhebt, und eine sociale Empörung ist fertig, deren Dämpfung
durch Truppen so lange möglich ist, als diese bezahlt werden können, aber noth¬
wendig eine fortdauernde Reihe von Belagerungszuständen, Ausnahmegesetzen n. s. w.
herbeiführt. Unterdeß wird das Volk völlig demoralistrt, ein bitterer Haß gegen
die Gewalt frißt sich in ihm ein, und zuletzt kommt plötzlich, aus kleiner Veran¬
lassung eine Explosion, welche den Kaiserthron in Stücken wirft, und den Staat
der Tyrannei und Bestialität freigewordener Slaven Preis gibt. -- Ist diese
Schilderung übertriebe"? -- Ich versichere Euch, auf dem Wege, welchen die
östreichische Regierung jetzt geht, wird das Furchtbare sich in wenigen Jahren vollen¬
den. Schon steht Oestreich am Anfange des Endes.

Wie schmerzlich auch die Empfindungen sind, welche diese Reflexion begleiten,
sie erlangt dadurch noch nicht das Recht, beachtet zu werden. Ein Unglück pro-
phezeihn, gegen welches menschliche Kraft gar nichts vermag, ist im besten Fall
eine Grausamkeit, oft ein Unrecht. -- Wohl aber gibt es für Oestreich eine Ret¬
tung, eine vollständige, schnelle, aber es ist fast die letzte Stunde gekommen, in
welcher davon die Rede sein darf.

Es ist jetzt ein Jahr her, da enthielt dies Blatt ein Sendschreiben *) an den
damaligen Staatsminister Pillersdorf, in welchem die Zukunft Oestreichs besprochen
wurde. Der Brief enthielt einen Theil der Grundsätze, nach welchen ein neuer
östreichischer Bundesstaate zu organisiren sei. Jener Brief ist das Programm der
Grenzboten bis heut geblieben, noch heut steht die Redaktion fest auf den Ueber¬
zeugungen, welche damals für spezifisch östreichisch und reaktionär gehalten wurden,
noch ist Oestreich seiner Bestimmung, den Bundesstaat der einzigen Form seiner
Existenz, welche Dauer haben kann, nicht naher gerückt. -- Und doch hat sich so Vieles
geändert. Jetzt lebt Pillersdorf als Privatmann, nicht in der Sonne ministerieller
Gunst, und das grüne Blatt wird in Wien verboten, weil es noch jetzt für sein Ideal
eines östreichischen Staates kämpft, nicht mehr gegen die revolutionären Demokraten
von 48, sondern gegen eine revolutionäre Regierung, welche in kurzsichtiger Thor¬
heit die Völker allen Schrecken einer tödtlichen Krisis überliefert!





*) Grenzboten 1848, Ur. 27.

der Kaufmann können diese Stockungen des Consnms ihrer Waaren und deren
Entwerthung nicht mehr lange ertragen, der Kleinhändler in Oestreich ist auf
dem besten Wege zu Grunde zu gehn. Dadurch aber wird das Volk aussätzig, wider¬
spenstig. Es kommt zu Excessen, zu Zusammenrottungen, „die ganz unpolitischer
Natur sind," Bäckerladen werden gestürmt, Juden gehöhnt, bis die Aufregung
der Massen sich endlich an irgend ein Stichwort klammert, gegen eine einzelne
Negicrungsmaßregel erhebt, und eine sociale Empörung ist fertig, deren Dämpfung
durch Truppen so lange möglich ist, als diese bezahlt werden können, aber noth¬
wendig eine fortdauernde Reihe von Belagerungszuständen, Ausnahmegesetzen n. s. w.
herbeiführt. Unterdeß wird das Volk völlig demoralistrt, ein bitterer Haß gegen
die Gewalt frißt sich in ihm ein, und zuletzt kommt plötzlich, aus kleiner Veran¬
lassung eine Explosion, welche den Kaiserthron in Stücken wirft, und den Staat
der Tyrannei und Bestialität freigewordener Slaven Preis gibt. — Ist diese
Schilderung übertriebe»? — Ich versichere Euch, auf dem Wege, welchen die
östreichische Regierung jetzt geht, wird das Furchtbare sich in wenigen Jahren vollen¬
den. Schon steht Oestreich am Anfange des Endes.

Wie schmerzlich auch die Empfindungen sind, welche diese Reflexion begleiten,
sie erlangt dadurch noch nicht das Recht, beachtet zu werden. Ein Unglück pro-
phezeihn, gegen welches menschliche Kraft gar nichts vermag, ist im besten Fall
eine Grausamkeit, oft ein Unrecht. — Wohl aber gibt es für Oestreich eine Ret¬
tung, eine vollständige, schnelle, aber es ist fast die letzte Stunde gekommen, in
welcher davon die Rede sein darf.

Es ist jetzt ein Jahr her, da enthielt dies Blatt ein Sendschreiben *) an den
damaligen Staatsminister Pillersdorf, in welchem die Zukunft Oestreichs besprochen
wurde. Der Brief enthielt einen Theil der Grundsätze, nach welchen ein neuer
östreichischer Bundesstaate zu organisiren sei. Jener Brief ist das Programm der
Grenzboten bis heut geblieben, noch heut steht die Redaktion fest auf den Ueber¬
zeugungen, welche damals für spezifisch östreichisch und reaktionär gehalten wurden,
noch ist Oestreich seiner Bestimmung, den Bundesstaat der einzigen Form seiner
Existenz, welche Dauer haben kann, nicht naher gerückt. — Und doch hat sich so Vieles
geändert. Jetzt lebt Pillersdorf als Privatmann, nicht in der Sonne ministerieller
Gunst, und das grüne Blatt wird in Wien verboten, weil es noch jetzt für sein Ideal
eines östreichischen Staates kämpft, nicht mehr gegen die revolutionären Demokraten
von 48, sondern gegen eine revolutionäre Regierung, welche in kurzsichtiger Thor¬
heit die Völker allen Schrecken einer tödtlichen Krisis überliefert!





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/318>, abgerufen am 10.02.2025.