Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Ans S t e i e r in a r V. Jetzt, wo die Reaktion herrscht und die Bureaukratie stolzer als je ihr Haupt Ist einmal unseren Behörden ein Verdacht erwachse", so wird keine Untersuchung In einem Landstädtchen Steiermarks tobt ein Betrunkener im Wirthshause und Zur Besetzung aller Stellen werden, wie zur Entschädigung der Herrschaftsinhaber, Das Volk selbst sieht allen diesen Ereignissen ziemlich theilnahmlos zu; eigent¬ Ans S t e i e r in a r V. Jetzt, wo die Reaktion herrscht und die Bureaukratie stolzer als je ihr Haupt Ist einmal unseren Behörden ein Verdacht erwachse», so wird keine Untersuchung In einem Landstädtchen Steiermarks tobt ein Betrunkener im Wirthshause und Zur Besetzung aller Stellen werden, wie zur Entschädigung der Herrschaftsinhaber, Das Volk selbst sieht allen diesen Ereignissen ziemlich theilnahmlos zu; eigent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279345"/> </div> <div n="1"> <head> Ans S t e i e r in a r V.</head><lb/> <p xml:id="ID_1040"> Jetzt, wo die Reaktion herrscht und die Bureaukratie stolzer als je ihr Haupt<lb/> erhebt, Oestreich einen wahren Polizeistaat bildet und die Preßfreiheit zu einem Phan¬<lb/> tom geworden, flüchten sich die Wohlmeinenden, um der allmächtigen Bureaukratie durch<lb/> die Presse entgegen zu treten, wieder hinaus, deun Verfolgung droht jedem, der dem<lb/> System des Schlendrians zu widersprechen wagt, dem liebenswürdigen System, wo der<lb/> Obere infalibel, der Einzelne gegenüber den Behörden Nichts ist, wo felle Blätter von<lb/> Amtswegen Alles loben, was von Oben ausgeht und einen Ton anstimmen, den man<lb/> vor einem Jahre gänzlich vergessen glaubte. — Man nimmt bei uns nichts auf, was<lb/> im mindeste» einem Tadel des Bestehenden ähnlich sieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1041"> Ist einmal unseren Behörden ein Verdacht erwachse», so wird keine Untersuchung<lb/> über den Grund oder Ungrund der Beschuldigung gepflogen, sondern Person oder<lb/> Gemeinde mit Bitterkeit verfolgt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> In einem Landstädtchen Steiermarks tobt ein Betrunkener im Wirthshause und<lb/> schimpft wegen eines Verlornen Prozesses über das Gericht und wie natürlich, über die<lb/> Beamten. Dies horte ein Beamter, berichtete darüber höhern Orts, und alle Bewoh¬<lb/> ner des Städtchens galten jetzt als radikal, als schlechtgesinnt und aussätzig. Die Ver¬<lb/> folgung dehnte sich auf Viele aus, besonders auf den Gerichtsvorstand, welchen man<lb/> entfernte und einen Gesinnungs-Verbesserungs-Commissär dafür hinstellte. Die verwor¬<lb/> fensten Subjekte, wenn sie nur die Rolle von servilen und Konservativen gut zu<lb/> spielen verstehen, kommen zu offizieller Achtung und zu Ansehen, und die ruhig Den¬<lb/> kenden sehen mit Schaudern und Angst einer Zukunft entgegen, die uns eine Menge<lb/> Neuerungen und Verbesserungen verspricht, aber beim gegenwärtigen Geiste der Regie¬<lb/> rung — wenigstens ihrer Machthaber wenig Gutes erwarten läßt. Vor Allem bezieht<lb/> sich unsere Furcht aus die längst ersehnte politische und Gerichtsorganisation des Landes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043"> Zur Besetzung aller Stellen werden, wie zur Entschädigung der Herrschaftsinhaber,<lb/> Commissinen zusammengestellt — Gott erleuchte sie! — Viel ist bei den politischen<lb/> Behörden den Vorstehern und vielleicht zu viel dem Statthalter anheimgestellt. Steier-<lb/> wark wird in drei Theile getheilt, und das ist zweckmäßig. Obersteier umsaßt das<lb/> natürlich begrenzte Hochland — Uutersteier die übrige deutsche Steiermark — der süd¬<lb/> lichste Theil wird die windische Mark bilden. Noch lange wird es aber dauern, bevor<lb/> slavische Literatur und Sprache sich derart cvnsolidirt, daß von einer juridischen Bil¬<lb/> dung der windischen Sprache die Rede sein kann. Sonderbar genug frägt der windi¬<lb/> sche Bauer bei Uebergabe der Verordnungen, welche oft mühsam ins Slavische über¬<lb/> setzt sind, ob wohl die deutsche Uebersetzung ächt sei? Im bejahenden Fall hat er kein<lb/> Bedenken, die Verfügung anzuhören und anzuerkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1044" next="#ID_1045"> Das Volk selbst sieht allen diesen Ereignissen ziemlich theilnahmlos zu; eigent¬<lb/> liches Proletariat in Masse haben wir noch nicht, der Landmann und der Handwerker<lb/> gehen ihrem Geschäft nach und die politischen Kannegießer beschränken sich auf einige<lb/> Schänken in der Stadt. Bisher hat durch Alles nur der eigentliche Bauer gewonnen,<lb/> dennoch ist er nicht so zufrieden, wie man glauben sollte und die neue Rekrutirung<lb/> dürfte bei dem wirklichen Mangel an tauglichen Arbeitern und bei der allgemein als<lb/> unzweckmäßig beklagten Kriegführung in Ungarn Anstand haben und viel böses Blut<lb/> machen. Jedermann wünscht zwar die baldige und sür Oestreich rühmliche Beendigung<lb/> der ungarischen und italienischen Wirren, allein die mörderische Aufopferung, das Preis-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
Ans S t e i e r in a r V.
Jetzt, wo die Reaktion herrscht und die Bureaukratie stolzer als je ihr Haupt
erhebt, Oestreich einen wahren Polizeistaat bildet und die Preßfreiheit zu einem Phan¬
tom geworden, flüchten sich die Wohlmeinenden, um der allmächtigen Bureaukratie durch
die Presse entgegen zu treten, wieder hinaus, deun Verfolgung droht jedem, der dem
System des Schlendrians zu widersprechen wagt, dem liebenswürdigen System, wo der
Obere infalibel, der Einzelne gegenüber den Behörden Nichts ist, wo felle Blätter von
Amtswegen Alles loben, was von Oben ausgeht und einen Ton anstimmen, den man
vor einem Jahre gänzlich vergessen glaubte. — Man nimmt bei uns nichts auf, was
im mindeste» einem Tadel des Bestehenden ähnlich sieht.
Ist einmal unseren Behörden ein Verdacht erwachse», so wird keine Untersuchung
über den Grund oder Ungrund der Beschuldigung gepflogen, sondern Person oder
Gemeinde mit Bitterkeit verfolgt.
In einem Landstädtchen Steiermarks tobt ein Betrunkener im Wirthshause und
schimpft wegen eines Verlornen Prozesses über das Gericht und wie natürlich, über die
Beamten. Dies horte ein Beamter, berichtete darüber höhern Orts, und alle Bewoh¬
ner des Städtchens galten jetzt als radikal, als schlechtgesinnt und aussätzig. Die Ver¬
folgung dehnte sich auf Viele aus, besonders auf den Gerichtsvorstand, welchen man
entfernte und einen Gesinnungs-Verbesserungs-Commissär dafür hinstellte. Die verwor¬
fensten Subjekte, wenn sie nur die Rolle von servilen und Konservativen gut zu
spielen verstehen, kommen zu offizieller Achtung und zu Ansehen, und die ruhig Den¬
kenden sehen mit Schaudern und Angst einer Zukunft entgegen, die uns eine Menge
Neuerungen und Verbesserungen verspricht, aber beim gegenwärtigen Geiste der Regie¬
rung — wenigstens ihrer Machthaber wenig Gutes erwarten läßt. Vor Allem bezieht
sich unsere Furcht aus die längst ersehnte politische und Gerichtsorganisation des Landes.
Zur Besetzung aller Stellen werden, wie zur Entschädigung der Herrschaftsinhaber,
Commissinen zusammengestellt — Gott erleuchte sie! — Viel ist bei den politischen
Behörden den Vorstehern und vielleicht zu viel dem Statthalter anheimgestellt. Steier-
wark wird in drei Theile getheilt, und das ist zweckmäßig. Obersteier umsaßt das
natürlich begrenzte Hochland — Uutersteier die übrige deutsche Steiermark — der süd¬
lichste Theil wird die windische Mark bilden. Noch lange wird es aber dauern, bevor
slavische Literatur und Sprache sich derart cvnsolidirt, daß von einer juridischen Bil¬
dung der windischen Sprache die Rede sein kann. Sonderbar genug frägt der windi¬
sche Bauer bei Uebergabe der Verordnungen, welche oft mühsam ins Slavische über¬
setzt sind, ob wohl die deutsche Uebersetzung ächt sei? Im bejahenden Fall hat er kein
Bedenken, die Verfügung anzuhören und anzuerkennen.
Das Volk selbst sieht allen diesen Ereignissen ziemlich theilnahmlos zu; eigent¬
liches Proletariat in Masse haben wir noch nicht, der Landmann und der Handwerker
gehen ihrem Geschäft nach und die politischen Kannegießer beschränken sich auf einige
Schänken in der Stadt. Bisher hat durch Alles nur der eigentliche Bauer gewonnen,
dennoch ist er nicht so zufrieden, wie man glauben sollte und die neue Rekrutirung
dürfte bei dem wirklichen Mangel an tauglichen Arbeitern und bei der allgemein als
unzweckmäßig beklagten Kriegführung in Ungarn Anstand haben und viel böses Blut
machen. Jedermann wünscht zwar die baldige und sür Oestreich rühmliche Beendigung
der ungarischen und italienischen Wirren, allein die mörderische Aufopferung, das Preis-
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