Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.den ihren Hofstaat und ihre Soldateska, unter welchen das roheste und verwor¬ den ihren Hofstaat und ihre Soldateska, unter welchen das roheste und verwor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279319"/> <p xml:id="ID_949" prev="#ID_948"> den ihren Hofstaat und ihre Soldateska, unter welchen das roheste und verwor¬<lb/> fenste Türkengesindel ist, welches das Land durchzieht, häufig Arnauten; und wie<lb/> die höhern Beamten, so haben auch die untern ihre Trabanten, allzeit fertige<lb/> Vollstrecker der Regierungsbefehle und der Forderung ihrer Brodgeber. Neben<lb/> diesen Beamtenchargen, welche wenigstens zum Theil in naturalisirten Familien<lb/> erblich sind, besteht aber im Lande ein doppelter Adel, der der Aga und der<lb/> Spahia. Die Ahnen oder Aga's sind größere böhmische Grundbesitzer, größtentheils<lb/> Nachkommen des alten böhmischen Adels, sie üben von ihren Schlössern, ummauer¬<lb/> ten Häusern, welche oft mit Schießscharten zur Vertheidigung ausgerüstet und hier<lb/> und da mit allein verrosteten Geschütz versehen sind, über die Einwohner ihres<lb/> Terrains eine Gerichtsbarkeit aus, deren Größe schwerlich genau bestimmt ist; ihnen,<lb/> den alten Gutsherrn, ist die Naja zu Nobotdiensten und servitutem verpflichtet,<lb/> welche oft furchtbar drückend sind. Sie muß dem Aga das Heu mähen, sein Getreide säen<lb/> und einbringen, seine Baumfrüchte für ihn erndten rc. Dieser alte böhmische Adel<lb/> versieht seine Privilegien (Berate), seine alten Adelsdiplome aus der Christenzcit<lb/> und die Vorrechte, welche der Islam gibt, der Regierung gegenüber mit Eifer¬<lb/> sucht. — Außer ihm sitzen die Spahia's als ein neuer Adel in den Dörfern und<lb/> Flecken. Die Spahia's sind erst durch die Türken ins Land gekommen, hatten<lb/> ursprünglich und haben zum Theil noch jetzt kein Grundeigenthum; sie waren die<lb/> freien Reiter des türkischen Heeres, mußten sich in Kriegszeiten mit eigenem Pferd<lb/> und Waffenschmuck der Pforte stellen, und waren jeder Einzelne mit ihrem Unter¬<lb/> halt auf Naturallieferungen der Naja in einem bestimmten Ort angewiesen. Ans<lb/> ihrem erblichen Fideicommiß nationalisirt, sprechen sie höhnisch und nicht türkisch,<lb/> und sind die Helfer und die Polizei der Regierung gegen die Naja. Oft haben<lb/> sie den Han, das Wirthshaus des Dorfes, in Besitz. Dies bildet den Mittel-<lb/> Punkt für die geselligen Zusammenkünfte der Muhamedaner des Ortes , und wenn<lb/> im Dorfe keine Moschee ist, wird auch der Gottesdienst in ihrem Hause gehalten<lb/> und der Hodza, der Priester, hält zu ihnen. In den größern Städten scheinen<lb/> sich im Gemeindewesen hier und da Ueberreste einer alten freien Cvmmuncilverfas-<lb/> sung erhalten zu haben, am meisten in Sarajevo, wo eine Anzahl von böhmischen<lb/> Patrizierfamilien, welche natürlich Muhamedaner sind, dem Pascha gegenüber das<lb/> Regiment der Stadt behauptet hat. Auf dem Lande aber, in dem eigentlichen<lb/> Bosnien, hat die Naja von der ursprünglichen Selbstregierung, welche die Serben<lb/> durch den Rath ihrer Aeltesten, Kneten, ihrer Dvrfvorsteher, Küche, und Kreisvor-<lb/> strher, Bafchknese, zu bewahren wußten, wenig erhalten, sie hat ihre alte Aristo¬<lb/> kratie nicht wie die Serben verloren, sondern als privilegirte Feinde behalten, und<lb/> es ist ein Hauptunterschied zwischen Bosniern und Serben, daß bei den er¬<lb/> stem kein freies Selbstregiment in den kleinen Kreisen des Volkslebens, Muth<lb/> und Selbstgefühl erhalten hat. Die Christen find Hörige ihrer einheimischen Ari¬<lb/> stokratie und außerdem Diener aller Türken geworden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
den ihren Hofstaat und ihre Soldateska, unter welchen das roheste und verwor¬
fenste Türkengesindel ist, welches das Land durchzieht, häufig Arnauten; und wie
die höhern Beamten, so haben auch die untern ihre Trabanten, allzeit fertige
Vollstrecker der Regierungsbefehle und der Forderung ihrer Brodgeber. Neben
diesen Beamtenchargen, welche wenigstens zum Theil in naturalisirten Familien
erblich sind, besteht aber im Lande ein doppelter Adel, der der Aga und der
Spahia. Die Ahnen oder Aga's sind größere böhmische Grundbesitzer, größtentheils
Nachkommen des alten böhmischen Adels, sie üben von ihren Schlössern, ummauer¬
ten Häusern, welche oft mit Schießscharten zur Vertheidigung ausgerüstet und hier
und da mit allein verrosteten Geschütz versehen sind, über die Einwohner ihres
Terrains eine Gerichtsbarkeit aus, deren Größe schwerlich genau bestimmt ist; ihnen,
den alten Gutsherrn, ist die Naja zu Nobotdiensten und servitutem verpflichtet,
welche oft furchtbar drückend sind. Sie muß dem Aga das Heu mähen, sein Getreide säen
und einbringen, seine Baumfrüchte für ihn erndten rc. Dieser alte böhmische Adel
versieht seine Privilegien (Berate), seine alten Adelsdiplome aus der Christenzcit
und die Vorrechte, welche der Islam gibt, der Regierung gegenüber mit Eifer¬
sucht. — Außer ihm sitzen die Spahia's als ein neuer Adel in den Dörfern und
Flecken. Die Spahia's sind erst durch die Türken ins Land gekommen, hatten
ursprünglich und haben zum Theil noch jetzt kein Grundeigenthum; sie waren die
freien Reiter des türkischen Heeres, mußten sich in Kriegszeiten mit eigenem Pferd
und Waffenschmuck der Pforte stellen, und waren jeder Einzelne mit ihrem Unter¬
halt auf Naturallieferungen der Naja in einem bestimmten Ort angewiesen. Ans
ihrem erblichen Fideicommiß nationalisirt, sprechen sie höhnisch und nicht türkisch,
und sind die Helfer und die Polizei der Regierung gegen die Naja. Oft haben
sie den Han, das Wirthshaus des Dorfes, in Besitz. Dies bildet den Mittel-
Punkt für die geselligen Zusammenkünfte der Muhamedaner des Ortes , und wenn
im Dorfe keine Moschee ist, wird auch der Gottesdienst in ihrem Hause gehalten
und der Hodza, der Priester, hält zu ihnen. In den größern Städten scheinen
sich im Gemeindewesen hier und da Ueberreste einer alten freien Cvmmuncilverfas-
sung erhalten zu haben, am meisten in Sarajevo, wo eine Anzahl von böhmischen
Patrizierfamilien, welche natürlich Muhamedaner sind, dem Pascha gegenüber das
Regiment der Stadt behauptet hat. Auf dem Lande aber, in dem eigentlichen
Bosnien, hat die Naja von der ursprünglichen Selbstregierung, welche die Serben
durch den Rath ihrer Aeltesten, Kneten, ihrer Dvrfvorsteher, Küche, und Kreisvor-
strher, Bafchknese, zu bewahren wußten, wenig erhalten, sie hat ihre alte Aristo¬
kratie nicht wie die Serben verloren, sondern als privilegirte Feinde behalten, und
es ist ein Hauptunterschied zwischen Bosniern und Serben, daß bei den er¬
stem kein freies Selbstregiment in den kleinen Kreisen des Volkslebens, Muth
und Selbstgefühl erhalten hat. Die Christen find Hörige ihrer einheimischen Ari¬
stokratie und außerdem Diener aller Türken geworden.
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