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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Nach altem türkischen Brauch lag die ganze Last der Abgaben ans der Naja,
der Sohn des Islams ist der freie Mann, welcher Waffen trägt und sein Blut
und Leben dem Staat zu geben hat, die Naja darf keine Waffen führen, sie muß
zahle". Zwei Steuern liegen auf der böhmischen Naja, die Kopfsteuer, Haraz,
welche von Jedem bezahlt wird, der nicht Muhamedaner ist, sei er ein Einge-
borner des Landes oder ein Fremder, und die Porez, eine Produktensteuer, der
zehnte Theil von allen Bodenfrüchten. Da zu diesen hohen Steuern noch andre
Naturalabgaben, für den Spcchia sogar die Hälfte von allem Heu und der ganzen
Obsterndte, und dazu noch die Dienstleistungen für den Aga kommen, und da
bei der Eintreibung dieser Steuern jede Art von Druck und Erpressung ungestraft
bleibt, so wird man nicht irren, wenn man die Christen in Bosnien für die un¬
glücklichsten unter ihren slavischen Stammgenossen hüte.

Die politischen Krämpfe dieses Volkes entstehen durch seine Eintheilung in
drei Parteien. Man muß die Stellung derselben sich klar machen, wenn man den
gegenwärtigen Aufstand verstehen will. -- Die muhamedanischen Bosnier, obgleich
der Zahl nach die kleinere Hälfte der Bevölkerung, sind die Kaste, durch welche
alle Bewegungen dieses Landes hervorgerufen und entschieden werden. Sie sind
die Freien, die waffentragenden Kinder des Landes, sie besitzen die Schlösser, die
Wälder und mehr als die Hälfte des Grundes. Wenn sie als Äuhamcdauer mit den
Osmanli gemeinsame Sache gegen die Naja mache", wie sie noch in dem Krieg mit
Serbien von 1807 bis 26 thaten, so ist der Sieg der Türken unzweifelhaft, wenn
sie aber einmal dazu kommen, sich als Laudeekinder gegenüber den ächten Türken
zu fühlen und sich mit der Naja gegen die Regierung zu verbinden, so wird die
Lage der Regierungspartei eine verzweifelte. Denn der größte Theil der Beg's,
Aga's, ja der Pascha's ist selbst aus dem böhmischen Adel, den alten Familien
des Landes, hervorgegangen, ja die muhamedanische Bevölkerung gab auch einen
Theil der Soldaten her. Entweder werden diese selbst Lust haben, sich aus die Seite
der Volkspartei zu schlagen, oder wenn sie ans Eigennutz die Treue bewahren,
wenigstens ihren Brüdern und Genossen gegenüber den Muth und die Energie
verlieren. Zwar ist ein großer Theil der alten Schlösser und Herrenhäuser von
solchen bewohnt, welche erbliche Beamte der Pforte sind und das größte Interesse
haben, der Negierung treu zu bleiben, deren verhaßte Werkzeuge sie waren;
aber gerade diesen wird das Unwetter an, stärksten um die Köpfe toben, sie wer¬
den sich hinter die Schießscharten ihres Hauses zurückziehn und angstvoll auf jede
rothe Turbankappe blicken, die sich ihrem Castell nähert. --

Eine solche verhängnißvolle Zeit ist für Bosnien jetzt gekommen; zum ersten
Mal, so viel wir wissen, verbinden sich Muhamedaner und Christen gegen die
Regierung der Osmanli.

Zweierlei war nöthig, um diese große Umwälzung in der Stimmung des Vol¬
kes hervorzubringen. Das allmälige Aufglühen des nationalen Selbstgefühls bei


Nach altem türkischen Brauch lag die ganze Last der Abgaben ans der Naja,
der Sohn des Islams ist der freie Mann, welcher Waffen trägt und sein Blut
und Leben dem Staat zu geben hat, die Naja darf keine Waffen führen, sie muß
zahle». Zwei Steuern liegen auf der böhmischen Naja, die Kopfsteuer, Haraz,
welche von Jedem bezahlt wird, der nicht Muhamedaner ist, sei er ein Einge-
borner des Landes oder ein Fremder, und die Porez, eine Produktensteuer, der
zehnte Theil von allen Bodenfrüchten. Da zu diesen hohen Steuern noch andre
Naturalabgaben, für den Spcchia sogar die Hälfte von allem Heu und der ganzen
Obsterndte, und dazu noch die Dienstleistungen für den Aga kommen, und da
bei der Eintreibung dieser Steuern jede Art von Druck und Erpressung ungestraft
bleibt, so wird man nicht irren, wenn man die Christen in Bosnien für die un¬
glücklichsten unter ihren slavischen Stammgenossen hüte.

Die politischen Krämpfe dieses Volkes entstehen durch seine Eintheilung in
drei Parteien. Man muß die Stellung derselben sich klar machen, wenn man den
gegenwärtigen Aufstand verstehen will. — Die muhamedanischen Bosnier, obgleich
der Zahl nach die kleinere Hälfte der Bevölkerung, sind die Kaste, durch welche
alle Bewegungen dieses Landes hervorgerufen und entschieden werden. Sie sind
die Freien, die waffentragenden Kinder des Landes, sie besitzen die Schlösser, die
Wälder und mehr als die Hälfte des Grundes. Wenn sie als Äuhamcdauer mit den
Osmanli gemeinsame Sache gegen die Naja mache», wie sie noch in dem Krieg mit
Serbien von 1807 bis 26 thaten, so ist der Sieg der Türken unzweifelhaft, wenn
sie aber einmal dazu kommen, sich als Laudeekinder gegenüber den ächten Türken
zu fühlen und sich mit der Naja gegen die Regierung zu verbinden, so wird die
Lage der Regierungspartei eine verzweifelte. Denn der größte Theil der Beg's,
Aga's, ja der Pascha's ist selbst aus dem böhmischen Adel, den alten Familien
des Landes, hervorgegangen, ja die muhamedanische Bevölkerung gab auch einen
Theil der Soldaten her. Entweder werden diese selbst Lust haben, sich aus die Seite
der Volkspartei zu schlagen, oder wenn sie ans Eigennutz die Treue bewahren,
wenigstens ihren Brüdern und Genossen gegenüber den Muth und die Energie
verlieren. Zwar ist ein großer Theil der alten Schlösser und Herrenhäuser von
solchen bewohnt, welche erbliche Beamte der Pforte sind und das größte Interesse
haben, der Negierung treu zu bleiben, deren verhaßte Werkzeuge sie waren;
aber gerade diesen wird das Unwetter an, stärksten um die Köpfe toben, sie wer¬
den sich hinter die Schießscharten ihres Hauses zurückziehn und angstvoll auf jede
rothe Turbankappe blicken, die sich ihrem Castell nähert. —

Eine solche verhängnißvolle Zeit ist für Bosnien jetzt gekommen; zum ersten
Mal, so viel wir wissen, verbinden sich Muhamedaner und Christen gegen die
Regierung der Osmanli.

Zweierlei war nöthig, um diese große Umwälzung in der Stimmung des Vol¬
kes hervorzubringen. Das allmälige Aufglühen des nationalen Selbstgefühls bei


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[0294] Nach altem türkischen Brauch lag die ganze Last der Abgaben ans der Naja, der Sohn des Islams ist der freie Mann, welcher Waffen trägt und sein Blut und Leben dem Staat zu geben hat, die Naja darf keine Waffen führen, sie muß zahle». Zwei Steuern liegen auf der böhmischen Naja, die Kopfsteuer, Haraz, welche von Jedem bezahlt wird, der nicht Muhamedaner ist, sei er ein Einge- borner des Landes oder ein Fremder, und die Porez, eine Produktensteuer, der zehnte Theil von allen Bodenfrüchten. Da zu diesen hohen Steuern noch andre Naturalabgaben, für den Spcchia sogar die Hälfte von allem Heu und der ganzen Obsterndte, und dazu noch die Dienstleistungen für den Aga kommen, und da bei der Eintreibung dieser Steuern jede Art von Druck und Erpressung ungestraft bleibt, so wird man nicht irren, wenn man die Christen in Bosnien für die un¬ glücklichsten unter ihren slavischen Stammgenossen hüte. Die politischen Krämpfe dieses Volkes entstehen durch seine Eintheilung in drei Parteien. Man muß die Stellung derselben sich klar machen, wenn man den gegenwärtigen Aufstand verstehen will. — Die muhamedanischen Bosnier, obgleich der Zahl nach die kleinere Hälfte der Bevölkerung, sind die Kaste, durch welche alle Bewegungen dieses Landes hervorgerufen und entschieden werden. Sie sind die Freien, die waffentragenden Kinder des Landes, sie besitzen die Schlösser, die Wälder und mehr als die Hälfte des Grundes. Wenn sie als Äuhamcdauer mit den Osmanli gemeinsame Sache gegen die Naja mache», wie sie noch in dem Krieg mit Serbien von 1807 bis 26 thaten, so ist der Sieg der Türken unzweifelhaft, wenn sie aber einmal dazu kommen, sich als Laudeekinder gegenüber den ächten Türken zu fühlen und sich mit der Naja gegen die Regierung zu verbinden, so wird die Lage der Regierungspartei eine verzweifelte. Denn der größte Theil der Beg's, Aga's, ja der Pascha's ist selbst aus dem böhmischen Adel, den alten Familien des Landes, hervorgegangen, ja die muhamedanische Bevölkerung gab auch einen Theil der Soldaten her. Entweder werden diese selbst Lust haben, sich aus die Seite der Volkspartei zu schlagen, oder wenn sie ans Eigennutz die Treue bewahren, wenigstens ihren Brüdern und Genossen gegenüber den Muth und die Energie verlieren. Zwar ist ein großer Theil der alten Schlösser und Herrenhäuser von solchen bewohnt, welche erbliche Beamte der Pforte sind und das größte Interesse haben, der Negierung treu zu bleiben, deren verhaßte Werkzeuge sie waren; aber gerade diesen wird das Unwetter an, stärksten um die Köpfe toben, sie wer¬ den sich hinter die Schießscharten ihres Hauses zurückziehn und angstvoll auf jede rothe Turbankappe blicken, die sich ihrem Castell nähert. — Eine solche verhängnißvolle Zeit ist für Bosnien jetzt gekommen; zum ersten Mal, so viel wir wissen, verbinden sich Muhamedaner und Christen gegen die Regierung der Osmanli. Zweierlei war nöthig, um diese große Umwälzung in der Stimmung des Vol¬ kes hervorzubringen. Das allmälige Aufglühen des nationalen Selbstgefühls bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/294>, abgerufen am 11.02.2025.