Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Bibelsprüchen antworteten, wenn man sie nach dein nächsten Weg fragte, und mit Warum hat England die beste Verfassung nnter allen Staaten? Weil jeder 33*
Bibelsprüchen antworteten, wenn man sie nach dein nächsten Weg fragte, und mit Warum hat England die beste Verfassung nnter allen Staaten? Weil jeder 33*
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Bibelsprüchen antworteten, wenn man sie nach dein nächsten Weg fragte, und mit
Psalmen, wenn man sie gehen hieß. Aber diese frommen Priester dienten einem
starken und eifrigen Gott, und nahmen das Schwert in die Hand, wenn die
Mauern von Jericho vor ihren Psalmgcsängen nicht einstürzten. Einer von diesen
Heiligen war Oliver Cromwell, er hat die Augen verdreht, genäselt und Psalmen
gesungen, wie einer, aber der Geist Alt-Englands ist mächtig gewesen in ihm,
und der Heilige wurde ein Held und ein großer Staatsmann. Znlejzt ward es
auch den Frommen zu unbequem in dem lustigen grünen England, und sie wan¬
derten einer nach dem andern in die Urwälder von Amerika, wo sie in dem
Drang unmittelbar praktischer Beschäftigung gesundeten. Unsere Priester dagegen
spielten das Staatswesen in die Hände der Herren, und so bekamen wir bald so
viel Herren, daß der Deutsche bald nichts anderes kannte, als Hofprediger, Hof-
lakeien, Hofräthe und Hofseifensteder, die Maitressen mit höchstem Gefolge unge¬
rechnet. Und was nicht in diese Kategorie gehörte, wurde Rekrut und später
Feldwebel. Unser Leben war entweder ein Krähwinkel oder eine Kaserne, und
darüber ist der tüchtige deutsche Stamm verkümmert, und wird sich erst wieder
erheben, wenn er aus der neuen Bühne, die ihm jetzt eröffnet ist, mit einiger
Mühe gelernt haben wird, ans eignen Füßen zu stehn.
Warum hat England die beste Verfassung nnter allen Staaten? Weil jeder
Einzelne autonom, selbstständig und bis zum Eigensinn, ja bis zum Spleen un¬
abhängig ist. Ein Volk, in dem jeder Einzelne sich Nasen und Ohren abschneiden
läßt, nur um nicht den Penny Steuer zu zahlen, der ihm unrechtmäßig auferlegt
war, verdient, frei zu sein. Damals uuter der jungfräulichen Königin war das
Recht der Engländer noch keineswegs so fest; sie ließ einmal das Hans der Ge¬
meinen, das eine neue Steuer verweigerte, eine Stunde lang auf den Knien lie¬
gen, und schalt es während der ganzen Zeit ans das Heftigste ans; der Puri-
tanismus mußte kommen, die verschiedenen Momente der freisinnigen Opposition
in einander zu schmelzen. Aber dafür gewann unter ihr der Engländer einen
großen Blick übers Meer hinaus; er konnte sich rühmen, die Macht des stolzesten
Königs gebrochen zu haben, und überall für die Freiheit der Völker einzustehn.
Zugleich kam über das Meer Kunde von dem Wissenswerthen aller Zeiten, nicht ans
einmal, sondern einzeln, so daß es sich organisch in dem Geist der Nation verbreiten
konnte. Die Bühne Shakespeares hat überall eine sehr weite, ja universelle Per-
spective; aber ihr Centrum steht immer fest in der Heimath, nnter den englischen
Eichenherzen, und wenn der britische Gentleman die Welt als bunte Bülme be¬
trachtet, und mit ihr Possen treibt, wie mit sich selbst, so hat er das Recht zu
diesem Humor, denn man kann lange an ihm herumspotten, ehe man den Adel
seiner Natur wcgspotten wird. Das unterscheidet Prinz Heinrich, Percy, Mciculio,
den Bastard u. s. w. von den humoristischen Molusken, wie wir sie in der deut¬
schen Literatur zu D ujzenden um uns sehen. Die niederländische Malerei wie die
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