Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.her, seine Späße macht, zum Clown führt, der wesentlich in die Tragödie ver¬ Es ist dies die eigentliche Grundlage des realen und des poetischen Lebens her, seine Späße macht, zum Clown führt, der wesentlich in die Tragödie ver¬ Es ist dies die eigentliche Grundlage des realen und des poetischen Lebens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279284"/> <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> her, seine Späße macht, zum Clown führt, der wesentlich in die Tragödie ver¬<lb/> webt ist, (Falstaff), derselbe Fortschritt vom romanischen Cavalier zum englischen<lb/> Gentleman, vom arkadischen Schäfer zu den Waldsamen in z?on lito it —<lb/> von der Ironie zum Humor. Dieser Fortschritt besteht darin, daß das Fleisch<lb/> und Blut, welches das spiritualtstische Mittelalter mit der Ironie seines uns das<lb/> Ueberirdische gerichteten Glaubens in seiner empirischen, unvermittelter Rohheit<lb/> läßt, daß mit einem Wort die Natur in der protestantischen Poesie als eigentli¬<lb/> cher Träger des Geistes sich idealisirt — wie das englische Bürgerthum sich idea-<lb/> lisirte durch den ihm inwohnenden Geist der Freiheit und Originalität, nicht, wie<lb/> bei den Romanen (und beiläufig in den südlichen Malerschulen) durch Nachäffung<lb/> des ihm entgegengesetzten idealen Standes. Dies sührt uns auf das zweite<lb/> Moment in der Shakesspeareschen Poesie.</p><lb/> <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Es ist dies die eigentliche Grundlage des realen und des poetischen Lebens<lb/> bei den Engländern und bei den Deutschen überhaupt. Denn auch wir haben sie<lb/> gekannt, diese Natnrwnchsigteit, obgleich uus jetzt keine Ahnung mehr davon ge¬<lb/> blieben ist. Wenn man zuweilen fragt, warum wir jetzt keine Humoristen mehr<lb/> haben, warum in unserer Malerei wie in unserer BellcNistik ewig der blasse lang¬<lb/> weilige Mondschein strahlt, so ist die Antwort eben so einfach als traurig. Wo<lb/> soll der Dichter oder der Maler in unserm verkümmerten Leben Figuren finden,<lb/> bei denen er mit Behagen verweilt? Figuren, die man prügeln konnte, über die<lb/> man aber lacht. Man vergleiche den Jean Paul mit Boz: hier welch überspru¬<lb/> delnde Lustigkeit, welch buntes, in frischer Mannigfaltigkeit durcheinander wogendes<lb/> Treiben! Dort uur ein Sehnen nach der Natur, die der arme Träumer zuletzt in<lb/> Aepfelblüthen, Flötentönen und ähnlichen irrationeller Erscheinungen zu suchen hat.<lb/> Und doch hat es eine Zeit gegeben, wo es auch in Deutschland an Ursprünglich¬<lb/> keit nicht fehlte. Man nehme ein beliebiges Buch von Luther oder Hans Sachs<lb/> zur Hand, und man wird finden, hier ist Stoff genug zu zwanzig Dickens! Warum<lb/> unser Leben so in die Misere gerathen ist, kann man leicht erkennen. Zuerst haben uns<lb/> die Pfaffen verdorben, und dann die Kleinstaaterei. Die mittelalterlichen Pfaffen<lb/> haben mich gegen den Teufel gepredigt, und die Ungläubigen und Ketzer verbren¬<lb/> nen lassen, aber wenn es dunkel wurde, warfen sie die Kaputze herunter vom<lb/> feisten Gesicht nud tanzten im lustigen Hexen-Sabbat mit den übrigen Weltkindern.<lb/> Aber nachdem der heilige Geist in alle Welt gefahren war, stand auf der einen<lb/> Seite der mürrische Bruder Lutheraner, und jammerte über das Elend dieser<lb/> Welt, auf der andern der gottselige Bruder Jesuit, nud verdrehte die Augen<lb/> und lispelte von der Glorie der gebenedeiten Jungfrau Maria. Das ganze Le¬<lb/> ben wurde ein Mittelding zwischen einer Betstube und einem Hospital. Und hät¬<lb/> ten diese Frommen noch wenigstens aus ihre eigne Faust im Weinberge des Herrn<lb/> gewirkt, wie es in England geschah! Auch dort gab es eine Ueberzahl solcher<lb/> kurzgeschorner, langohriger, näselnder und augeuverdrehender Heiligen, die mit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
her, seine Späße macht, zum Clown führt, der wesentlich in die Tragödie ver¬
webt ist, (Falstaff), derselbe Fortschritt vom romanischen Cavalier zum englischen
Gentleman, vom arkadischen Schäfer zu den Waldsamen in z?on lito it —
von der Ironie zum Humor. Dieser Fortschritt besteht darin, daß das Fleisch
und Blut, welches das spiritualtstische Mittelalter mit der Ironie seines uns das
Ueberirdische gerichteten Glaubens in seiner empirischen, unvermittelter Rohheit
läßt, daß mit einem Wort die Natur in der protestantischen Poesie als eigentli¬
cher Träger des Geistes sich idealisirt — wie das englische Bürgerthum sich idea-
lisirte durch den ihm inwohnenden Geist der Freiheit und Originalität, nicht, wie
bei den Romanen (und beiläufig in den südlichen Malerschulen) durch Nachäffung
des ihm entgegengesetzten idealen Standes. Dies sührt uns auf das zweite
Moment in der Shakesspeareschen Poesie.
Es ist dies die eigentliche Grundlage des realen und des poetischen Lebens
bei den Engländern und bei den Deutschen überhaupt. Denn auch wir haben sie
gekannt, diese Natnrwnchsigteit, obgleich uus jetzt keine Ahnung mehr davon ge¬
blieben ist. Wenn man zuweilen fragt, warum wir jetzt keine Humoristen mehr
haben, warum in unserer Malerei wie in unserer BellcNistik ewig der blasse lang¬
weilige Mondschein strahlt, so ist die Antwort eben so einfach als traurig. Wo
soll der Dichter oder der Maler in unserm verkümmerten Leben Figuren finden,
bei denen er mit Behagen verweilt? Figuren, die man prügeln konnte, über die
man aber lacht. Man vergleiche den Jean Paul mit Boz: hier welch überspru¬
delnde Lustigkeit, welch buntes, in frischer Mannigfaltigkeit durcheinander wogendes
Treiben! Dort uur ein Sehnen nach der Natur, die der arme Träumer zuletzt in
Aepfelblüthen, Flötentönen und ähnlichen irrationeller Erscheinungen zu suchen hat.
Und doch hat es eine Zeit gegeben, wo es auch in Deutschland an Ursprünglich¬
keit nicht fehlte. Man nehme ein beliebiges Buch von Luther oder Hans Sachs
zur Hand, und man wird finden, hier ist Stoff genug zu zwanzig Dickens! Warum
unser Leben so in die Misere gerathen ist, kann man leicht erkennen. Zuerst haben uns
die Pfaffen verdorben, und dann die Kleinstaaterei. Die mittelalterlichen Pfaffen
haben mich gegen den Teufel gepredigt, und die Ungläubigen und Ketzer verbren¬
nen lassen, aber wenn es dunkel wurde, warfen sie die Kaputze herunter vom
feisten Gesicht nud tanzten im lustigen Hexen-Sabbat mit den übrigen Weltkindern.
Aber nachdem der heilige Geist in alle Welt gefahren war, stand auf der einen
Seite der mürrische Bruder Lutheraner, und jammerte über das Elend dieser
Welt, auf der andern der gottselige Bruder Jesuit, nud verdrehte die Augen
und lispelte von der Glorie der gebenedeiten Jungfrau Maria. Das ganze Le¬
ben wurde ein Mittelding zwischen einer Betstube und einem Hospital. Und hät¬
ten diese Frommen noch wenigstens aus ihre eigne Faust im Weinberge des Herrn
gewirkt, wie es in England geschah! Auch dort gab es eine Ueberzahl solcher
kurzgeschorner, langohriger, näselnder und augeuverdrehender Heiligen, die mit
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