Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Narren sprechen lehren. Das hinfällige Alter soll sie tanzen lehren, den trotzigen Deu Stoff hat der Dichter, wie er ihn in seinen Novellen vorfand, fast im¬ Aber dennoch ist in dieser phantastischen Welt ein großer Idealismus, wenn man Grenzboten. Hi. 1849. 33
Narren sprechen lehren. Das hinfällige Alter soll sie tanzen lehren, den trotzigen Deu Stoff hat der Dichter, wie er ihn in seinen Novellen vorfand, fast im¬ Aber dennoch ist in dieser phantastischen Welt ein großer Idealismus, wenn man Grenzboten. Hi. 1849. 33
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Narren sprechen lehren. Das hinfällige Alter soll sie tanzen lehren, den trotzigen
Raufbold in Ruhe bannen, den Niesen niederwerfen und den Armen mit Schätzen
beladen. Sie soll sein rasend toll und albern mild, und den Jüngling alt und
den Greis zum Kinde machen. Sie soll argwöhnen, wo keine Ursache ist, und
nicht fürchten, wo sie am meisten mißtrauen sollte; sie soll erbarmend sein nud
allzustreug, höchst trügerisch, wo sie gerecht erscheint, und störrisch, wo sie schein¬
bar lenksam ist. Sie soll Furcht dem Muthe und Muth deu Memmen verleihen;
soll Ursache werden zu Krieg und schrecklichen Thaten, und Zwietracht säen zwi¬
schen Sohn und Vater, dienstfertig und fordernd jedem Zwiespalt, wie trockner
Zunder für das Feuer ist." Es ist kaum nöthig daran zu erinnern, wie voll¬
ständig sich diese Idee in Antonius, Romeo u. s. w. in Fleisch und Blut ver¬
wandelt hat. Daß er selber die Thorheiten der Liebe, die er mit so großer Vir¬
tuosität schildert, ausgeübt habe, darauf deuten u. a. seine Sonette hin, die sich
auf ein zwar natürliches aber nicht recht gesundes Verhältniß beziehen, ein Ver¬
hältniß, wie es in l'wolt't-ni^Ill zwischen Sebastian und Antonio sehr fein und
zart nachgebildet ist. Ich bemerke beiläufig, wie Gervinus ganz mit Recht ans
die Keuschheit Gewicht legt, mit der Shakespeare, so sehr unser prüdes Zeitalter
sich davor entsetzen mag, die bedenklichsten Gegenstände behandelt hat.
Deu Stoff hat der Dichter, wie er ihn in seinen Novellen vorfand, fast im¬
mer treulich festgehalten. Das unbedingt für einen Vorzug auszugeben, wozu
man gegenwärtig geneigt ist, mochte denn doch bedenklich sein. Es ist immer etwas
Jncommensurables, das der herrschenden Idee sich entzieht, das noch uicht ganz
überwundene Mittelalter. Was aber die Behandlung betrifft, so vertieft sie sich von
dem frühesten Werk an ins Innerliche, obgleich darin von ^it's nell, thut c-uds
voll bis zu Hamlet eine ungeheure Gradation stattfindet. In dem ersteren ist
nur mit kleinen, zarten Zügen ein innigerer Zusammenhang hineingedichtet, im
letzteren ist die ursprüngliche Idee ganz auf deu Kopf gestellt. Davon später.
Hier nur noch ein Beispiel, wie selbst die charakteristische Frivolität der alten No¬
velle, ihr phantastisches gedankenloses Wesen, vergeistigt ist. Der Sommernachts-
traum ist nichts als eine Schnurre, so sehr sich unscie Romantik gegen diese Be-
zeichnung sträuben mag, die Komik ist sogar zuweilen gröber als nöthig, und das
Durchschimmern der (hier ironischen) Idee durch die bunte Wirthschaft der Novelle,
was die Romantiker als einen großen Vorzug bewundern, ist in ästhetischer Be¬
ziehung offenbar ein Fehler, ein Mangel an Kraft, denn die Idee soll in der
Poesie nicht durch die Realität blos durchscheinen, sondern sie soll sich realisiren.
Aber dennoch ist in dieser phantastischen Welt ein großer Idealismus, wenn man
sie mit dem entweder allegorisch zugestutztem oder gedankenlosen Elfen- und Geisterwesen
des Mittelalters vergleicht; derselbe Fortschritt, der von den italienischen Masken,
vom spanischen Gracioso, vom altenglischen Hanswurst, der neben der Tragödie
Grenzboten. Hi. 1849. 33
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