Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

um deretwillen ein Hannibal Italien erobert, oder ein englischer Feldherr eine
kriegerische Nation in den fernen Bergen von Indien unterwirft, verdienen allen
Respect.

Wie aber der englische Adel zu dieser Einigung mit dem Wesen des Volks
gekommen ist, das lernen wir nirgend besser als aus Shakespeare. Ich will hier
gleich die Bemerkung vorausschicke", daß die drei Momente, die ich in seiner Dich¬
tung geschieden habe, keineswegs in gleichgiltiger Vereinzelung neben einander
hergehen, daß vielmehr die Probleme des spätern sich aus den Resultaten des
frühern Standpunkts entwickeln. Ich hebe hier nur die eine Frage hervor, die
nach Recht oder Unrecht, eines der schwierigsten Räthsel, an denen der Protestan¬
tismus sich abarbeitet. Das Mittelalter hatte diese Frage seinen Pfaffen überlassen,
es hatte sich von naiven Zwecken bestimmen lassen und erst nach der That sich
bei dem Beichtvater darnach erkundigt, was es mit dem Verhältniß derselben
zum Gesetz des Himmels für eine Bemanduiß habe. Der Beichtvater gab dies
Verhältniß an, und zugleich das gute Werk, wodurch man mit dem Himmel ab¬
zurechnen habe und die Sache war in Ordnung.

Im Heinrich VI., dessen drei Theile ziemlich nach den alten Chroniken copirt
sind, findet sich diese naive Auffassung noch ganz, nur daß die kirchlichen Ver¬
hältnisse schon so gelockert sind, daß auch die Buße zurücktritt, obgleich sich in dem
Plan Heinrichs IV., durch einen Kreuzzug sein begangenes Unrecht zu sühnen, so¬
wie in den guten Werken, die sein Sohn und Nachfolger zu denselben Zwecken
verrichtet, noch sehr deutliche Anklänge an diese Weltanschauung vorfinden. Aber
schon zeigen sich in den Reflexionen, die der Dichter hinzuthut, Spuren von der
höhern Rechtsauffassung, die in Richard zum ersten Mal mit dämonischer Ener¬
gie, in Richard II. und Heinrich IV. mit viel größerer Tiefe, endlich in Stücken
wie Cäsar u. s. w. mit dem vollen Bewußtsein eines sittlichen Princips ausge¬
sprochen werden. Die Natur des Conflicts, welcher in der realen Welt zu einer
Ueberwindung des Mittelalters führte, brachte in der Dichtung diese Dialektik
der Idee hervor. Denn es war hier Recht gegen Recht, oder Unrecht gegen Un¬
recht, von der ersten Usurpation des Hauses Laukaster an , das in der einseitigen
Verfolgung seines guten Rechts mit historischer Nothwendigkeit zum Unrecht, zur
Usurpation geführt wird. In der Partei der weißen Rose tritt dann das Princip
der abstracten Legitimität dem Princip der unmittelbaren Lehnstreue gegenüber.
Es sind diese Principien nur zur Hälfte die Ursachen des Kampfes, denn das
Gewicht der angebornen Tüchtigkeit, sowie der persönlichen Anhänglichkeit gibt
eigentlich den Ausschlag. Zuletzt gerathen sie ganz in Vergessenheit, es bleibt
nur die Pflicht der Blutrache, das Zusammenhalten der Familie, bis auch dieses
letzte sittliche Moment, mit dem noch Richard M. begann, in nothwendiger Folge
in dem souveränen Willen des persönlichen Ehrgeizes untergeht. Die Einseitig¬
keit des Rechts ist das Unrecht: "ummum jus "nennen injuri-,,; mit diesem hö-


um deretwillen ein Hannibal Italien erobert, oder ein englischer Feldherr eine
kriegerische Nation in den fernen Bergen von Indien unterwirft, verdienen allen
Respect.

Wie aber der englische Adel zu dieser Einigung mit dem Wesen des Volks
gekommen ist, das lernen wir nirgend besser als aus Shakespeare. Ich will hier
gleich die Bemerkung vorausschicke», daß die drei Momente, die ich in seiner Dich¬
tung geschieden habe, keineswegs in gleichgiltiger Vereinzelung neben einander
hergehen, daß vielmehr die Probleme des spätern sich aus den Resultaten des
frühern Standpunkts entwickeln. Ich hebe hier nur die eine Frage hervor, die
nach Recht oder Unrecht, eines der schwierigsten Räthsel, an denen der Protestan¬
tismus sich abarbeitet. Das Mittelalter hatte diese Frage seinen Pfaffen überlassen,
es hatte sich von naiven Zwecken bestimmen lassen und erst nach der That sich
bei dem Beichtvater darnach erkundigt, was es mit dem Verhältniß derselben
zum Gesetz des Himmels für eine Bemanduiß habe. Der Beichtvater gab dies
Verhältniß an, und zugleich das gute Werk, wodurch man mit dem Himmel ab¬
zurechnen habe und die Sache war in Ordnung.

Im Heinrich VI., dessen drei Theile ziemlich nach den alten Chroniken copirt
sind, findet sich diese naive Auffassung noch ganz, nur daß die kirchlichen Ver¬
hältnisse schon so gelockert sind, daß auch die Buße zurücktritt, obgleich sich in dem
Plan Heinrichs IV., durch einen Kreuzzug sein begangenes Unrecht zu sühnen, so¬
wie in den guten Werken, die sein Sohn und Nachfolger zu denselben Zwecken
verrichtet, noch sehr deutliche Anklänge an diese Weltanschauung vorfinden. Aber
schon zeigen sich in den Reflexionen, die der Dichter hinzuthut, Spuren von der
höhern Rechtsauffassung, die in Richard zum ersten Mal mit dämonischer Ener¬
gie, in Richard II. und Heinrich IV. mit viel größerer Tiefe, endlich in Stücken
wie Cäsar u. s. w. mit dem vollen Bewußtsein eines sittlichen Princips ausge¬
sprochen werden. Die Natur des Conflicts, welcher in der realen Welt zu einer
Ueberwindung des Mittelalters führte, brachte in der Dichtung diese Dialektik
der Idee hervor. Denn es war hier Recht gegen Recht, oder Unrecht gegen Un¬
recht, von der ersten Usurpation des Hauses Laukaster an , das in der einseitigen
Verfolgung seines guten Rechts mit historischer Nothwendigkeit zum Unrecht, zur
Usurpation geführt wird. In der Partei der weißen Rose tritt dann das Princip
der abstracten Legitimität dem Princip der unmittelbaren Lehnstreue gegenüber.
Es sind diese Principien nur zur Hälfte die Ursachen des Kampfes, denn das
Gewicht der angebornen Tüchtigkeit, sowie der persönlichen Anhänglichkeit gibt
eigentlich den Ausschlag. Zuletzt gerathen sie ganz in Vergessenheit, es bleibt
nur die Pflicht der Blutrache, das Zusammenhalten der Familie, bis auch dieses
letzte sittliche Moment, mit dem noch Richard M. begann, in nothwendiger Folge
in dem souveränen Willen des persönlichen Ehrgeizes untergeht. Die Einseitig¬
keit des Rechts ist das Unrecht: «ummum jus «nennen injuri-,,; mit diesem hö-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279280"/>
            <p xml:id="ID_829" prev="#ID_828"> um deretwillen ein Hannibal Italien erobert, oder ein englischer Feldherr eine<lb/>
kriegerische Nation in den fernen Bergen von Indien unterwirft, verdienen allen<lb/>
Respect.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_830"> Wie aber der englische Adel zu dieser Einigung mit dem Wesen des Volks<lb/>
gekommen ist, das lernen wir nirgend besser als aus Shakespeare. Ich will hier<lb/>
gleich die Bemerkung vorausschicke», daß die drei Momente, die ich in seiner Dich¬<lb/>
tung geschieden habe, keineswegs in gleichgiltiger Vereinzelung neben einander<lb/>
hergehen, daß vielmehr die Probleme des spätern sich aus den Resultaten des<lb/>
frühern Standpunkts entwickeln. Ich hebe hier nur die eine Frage hervor, die<lb/>
nach Recht oder Unrecht, eines der schwierigsten Räthsel, an denen der Protestan¬<lb/>
tismus sich abarbeitet. Das Mittelalter hatte diese Frage seinen Pfaffen überlassen,<lb/>
es hatte sich von naiven Zwecken bestimmen lassen und erst nach der That sich<lb/>
bei dem Beichtvater darnach erkundigt, was es mit dem Verhältniß derselben<lb/>
zum Gesetz des Himmels für eine Bemanduiß habe. Der Beichtvater gab dies<lb/>
Verhältniß an, und zugleich das gute Werk, wodurch man mit dem Himmel ab¬<lb/>
zurechnen habe und die Sache war in Ordnung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Im Heinrich VI., dessen drei Theile ziemlich nach den alten Chroniken copirt<lb/>
sind, findet sich diese naive Auffassung noch ganz, nur daß die kirchlichen Ver¬<lb/>
hältnisse schon so gelockert sind, daß auch die Buße zurücktritt, obgleich sich in dem<lb/>
Plan Heinrichs IV., durch einen Kreuzzug sein begangenes Unrecht zu sühnen, so¬<lb/>
wie in den guten Werken, die sein Sohn und Nachfolger zu denselben Zwecken<lb/>
verrichtet, noch sehr deutliche Anklänge an diese Weltanschauung vorfinden. Aber<lb/>
schon zeigen sich in den Reflexionen, die der Dichter hinzuthut, Spuren von der<lb/>
höhern Rechtsauffassung, die in Richard zum ersten Mal mit dämonischer Ener¬<lb/>
gie, in Richard II. und Heinrich IV. mit viel größerer Tiefe, endlich in Stücken<lb/>
wie Cäsar u. s. w. mit dem vollen Bewußtsein eines sittlichen Princips ausge¬<lb/>
sprochen werden. Die Natur des Conflicts, welcher in der realen Welt zu einer<lb/>
Ueberwindung des Mittelalters führte, brachte in der Dichtung diese Dialektik<lb/>
der Idee hervor. Denn es war hier Recht gegen Recht, oder Unrecht gegen Un¬<lb/>
recht, von der ersten Usurpation des Hauses Laukaster an , das in der einseitigen<lb/>
Verfolgung seines guten Rechts mit historischer Nothwendigkeit zum Unrecht, zur<lb/>
Usurpation geführt wird. In der Partei der weißen Rose tritt dann das Princip<lb/>
der abstracten Legitimität dem Princip der unmittelbaren Lehnstreue gegenüber.<lb/>
Es sind diese Principien nur zur Hälfte die Ursachen des Kampfes, denn das<lb/>
Gewicht der angebornen Tüchtigkeit, sowie der persönlichen Anhänglichkeit gibt<lb/>
eigentlich den Ausschlag. Zuletzt gerathen sie ganz in Vergessenheit, es bleibt<lb/>
nur die Pflicht der Blutrache, das Zusammenhalten der Familie, bis auch dieses<lb/>
letzte sittliche Moment, mit dem noch Richard M. begann, in nothwendiger Folge<lb/>
in dem souveränen Willen des persönlichen Ehrgeizes untergeht. Die Einseitig¬<lb/>
keit des Rechts ist das Unrecht: «ummum jus «nennen injuri-,,; mit diesem hö-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] um deretwillen ein Hannibal Italien erobert, oder ein englischer Feldherr eine kriegerische Nation in den fernen Bergen von Indien unterwirft, verdienen allen Respect. Wie aber der englische Adel zu dieser Einigung mit dem Wesen des Volks gekommen ist, das lernen wir nirgend besser als aus Shakespeare. Ich will hier gleich die Bemerkung vorausschicke», daß die drei Momente, die ich in seiner Dich¬ tung geschieden habe, keineswegs in gleichgiltiger Vereinzelung neben einander hergehen, daß vielmehr die Probleme des spätern sich aus den Resultaten des frühern Standpunkts entwickeln. Ich hebe hier nur die eine Frage hervor, die nach Recht oder Unrecht, eines der schwierigsten Räthsel, an denen der Protestan¬ tismus sich abarbeitet. Das Mittelalter hatte diese Frage seinen Pfaffen überlassen, es hatte sich von naiven Zwecken bestimmen lassen und erst nach der That sich bei dem Beichtvater darnach erkundigt, was es mit dem Verhältniß derselben zum Gesetz des Himmels für eine Bemanduiß habe. Der Beichtvater gab dies Verhältniß an, und zugleich das gute Werk, wodurch man mit dem Himmel ab¬ zurechnen habe und die Sache war in Ordnung. Im Heinrich VI., dessen drei Theile ziemlich nach den alten Chroniken copirt sind, findet sich diese naive Auffassung noch ganz, nur daß die kirchlichen Ver¬ hältnisse schon so gelockert sind, daß auch die Buße zurücktritt, obgleich sich in dem Plan Heinrichs IV., durch einen Kreuzzug sein begangenes Unrecht zu sühnen, so¬ wie in den guten Werken, die sein Sohn und Nachfolger zu denselben Zwecken verrichtet, noch sehr deutliche Anklänge an diese Weltanschauung vorfinden. Aber schon zeigen sich in den Reflexionen, die der Dichter hinzuthut, Spuren von der höhern Rechtsauffassung, die in Richard zum ersten Mal mit dämonischer Ener¬ gie, in Richard II. und Heinrich IV. mit viel größerer Tiefe, endlich in Stücken wie Cäsar u. s. w. mit dem vollen Bewußtsein eines sittlichen Princips ausge¬ sprochen werden. Die Natur des Conflicts, welcher in der realen Welt zu einer Ueberwindung des Mittelalters führte, brachte in der Dichtung diese Dialektik der Idee hervor. Denn es war hier Recht gegen Recht, oder Unrecht gegen Un¬ recht, von der ersten Usurpation des Hauses Laukaster an , das in der einseitigen Verfolgung seines guten Rechts mit historischer Nothwendigkeit zum Unrecht, zur Usurpation geführt wird. In der Partei der weißen Rose tritt dann das Princip der abstracten Legitimität dem Princip der unmittelbaren Lehnstreue gegenüber. Es sind diese Principien nur zur Hälfte die Ursachen des Kampfes, denn das Gewicht der angebornen Tüchtigkeit, sowie der persönlichen Anhänglichkeit gibt eigentlich den Ausschlag. Zuletzt gerathen sie ganz in Vergessenheit, es bleibt nur die Pflicht der Blutrache, das Zusammenhalten der Familie, bis auch dieses letzte sittliche Moment, mit dem noch Richard M. begann, in nothwendiger Folge in dem souveränen Willen des persönlichen Ehrgeizes untergeht. Die Einseitig¬ keit des Rechts ist das Unrecht: «ummum jus «nennen injuri-,,; mit diesem hö-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/254>, abgerufen am 05.02.2025.