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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ter mit grandioser Einseitigkeit in Amerika eine eigne Welt gegründet hat,
das aber hier, zwischen das conventionelle Adelswesen und das düster brütende.
Christenthum eingeengt, sich durch Humor und Originalität befreite.

Es läßt sich in den Werken des Dichters nachweisen, wie seine erste Ent¬
wickln ngsstnfe darin lag, daß er sich von dem Mittelalter befreite, während in
seinem späteren Alter der Geist des Protestantismus über ihn kam und ihn mit
eben so tiefen als düstern Gedanken durchschauerte. Seine eigentliche Natur war
jener altenglische Realismus, der aber mit sehr wenig Ausnahmen in seinen Wer¬
ken nirgend rein und unzersetzt von fremden Elementen auftritt.

Ich meine das nicht blos so, daß jene verschiedenen Stufen der Weltbildung
den Inhalt seiner Werke ausmache", vielmehr spricht diese Differenz sich auch in dem
Geist aus, der sie belebte. Verfolgen wir nun diese drei Momente im Einzelnen.

Zuerst das Ritterthum. Bekanntlich war der normännische Adel der
erste der Welt, in der Tapferkeit wie in der Galanterie. Die Zeit der Kreuz¬
züge fand ihren berühmtesten Helden in Richard Löwenherz, und in Beziehung
auf die folgenden Jahrhunderte darf man nur den Froissart aufschlagen, den
Homer des Mittelalters, um über das Uebergewicht der englischen Waffen außer
Zweifel zu sein. Die langen Bürgerkriege hatten zwar diesen Adel ausgerottet,
wie im Gedicht die Häuser der Tybalt und Mercutiv, und ein neues Herrscher¬
haus mußte sich auf deu Bürger stützen, da die alten Barone in die Gruft ihrer
Väter gegangen waren. Aber der Geist dieses Adels war keineswegs gebrochen,
wenn auch die alten Namen an neue Geschlechter vererbt waren, er hatte die
Idee der Lehnstreue und der Legitimität viel tiefer in sich verarbeitet, als in den
romanischen Nationen geschehen war, er sammelte sich von Neuem um den glän¬
zenden Hof der Elisabeth, er trat unter den Stuarts in der Par'dei der Kavaliere
den bürgerlich-puritanischen Runde'öpfen gegenüber, und setzte dann den alten Krieg
der rothen zur weißen Rose in den parlamentarischen Kämpfen der Whigs und
Tones fort, bis endlich der tiefer eingehende Streit bürgerlicher Interessen diese
alten aristokratischen Coterien absorbirte, bis die Tones einen Peel an ihre Spitze
stellten, die Whigs sich mit einem Cobden verbanden. Aber ein Volk, das noch
im 19. Jahrhundert einen Dichter wie Walter Scott hervorgebracht hat, ist mit
dem Adel noch nicht fertig, und das ist keineswegs ein Mangel, denn so ver¬
derblich der Adel für die Entwicklung eines Volks ist, wenn er die Kräfte des¬
selben absorbirt oder wenn er es mit äußerlicher Gewalt unterdrückt, so heilsam
ist er, wenn er mit seinem freien Blick zu deu engern Zwecken des Kaufmanns,
Fabrikanten u. s. w. in ein bestimmtes, bildendes Verhältniß tritt. Englands
Größe liegt nicht lediglich in seinem Handel und Manufacturen, sondern in der
Vermittelung, welche diese Interesse" mit dein kriegerischen Geist der Normannen
aus der Hastingöschlacht und de" Tage" von Cressy und Agincourt gesunde" haben.
Ein bloßes Kräinervolk wird die Weltgeschichte nie fördern; aber merlantileJnteressen,


ter mit grandioser Einseitigkeit in Amerika eine eigne Welt gegründet hat,
das aber hier, zwischen das conventionelle Adelswesen und das düster brütende.
Christenthum eingeengt, sich durch Humor und Originalität befreite.

Es läßt sich in den Werken des Dichters nachweisen, wie seine erste Ent¬
wickln ngsstnfe darin lag, daß er sich von dem Mittelalter befreite, während in
seinem späteren Alter der Geist des Protestantismus über ihn kam und ihn mit
eben so tiefen als düstern Gedanken durchschauerte. Seine eigentliche Natur war
jener altenglische Realismus, der aber mit sehr wenig Ausnahmen in seinen Wer¬
ken nirgend rein und unzersetzt von fremden Elementen auftritt.

Ich meine das nicht blos so, daß jene verschiedenen Stufen der Weltbildung
den Inhalt seiner Werke ausmache», vielmehr spricht diese Differenz sich auch in dem
Geist aus, der sie belebte. Verfolgen wir nun diese drei Momente im Einzelnen.

Zuerst das Ritterthum. Bekanntlich war der normännische Adel der
erste der Welt, in der Tapferkeit wie in der Galanterie. Die Zeit der Kreuz¬
züge fand ihren berühmtesten Helden in Richard Löwenherz, und in Beziehung
auf die folgenden Jahrhunderte darf man nur den Froissart aufschlagen, den
Homer des Mittelalters, um über das Uebergewicht der englischen Waffen außer
Zweifel zu sein. Die langen Bürgerkriege hatten zwar diesen Adel ausgerottet,
wie im Gedicht die Häuser der Tybalt und Mercutiv, und ein neues Herrscher¬
haus mußte sich auf deu Bürger stützen, da die alten Barone in die Gruft ihrer
Väter gegangen waren. Aber der Geist dieses Adels war keineswegs gebrochen,
wenn auch die alten Namen an neue Geschlechter vererbt waren, er hatte die
Idee der Lehnstreue und der Legitimität viel tiefer in sich verarbeitet, als in den
romanischen Nationen geschehen war, er sammelte sich von Neuem um den glän¬
zenden Hof der Elisabeth, er trat unter den Stuarts in der Par'dei der Kavaliere
den bürgerlich-puritanischen Runde'öpfen gegenüber, und setzte dann den alten Krieg
der rothen zur weißen Rose in den parlamentarischen Kämpfen der Whigs und
Tones fort, bis endlich der tiefer eingehende Streit bürgerlicher Interessen diese
alten aristokratischen Coterien absorbirte, bis die Tones einen Peel an ihre Spitze
stellten, die Whigs sich mit einem Cobden verbanden. Aber ein Volk, das noch
im 19. Jahrhundert einen Dichter wie Walter Scott hervorgebracht hat, ist mit
dem Adel noch nicht fertig, und das ist keineswegs ein Mangel, denn so ver¬
derblich der Adel für die Entwicklung eines Volks ist, wenn er die Kräfte des¬
selben absorbirt oder wenn er es mit äußerlicher Gewalt unterdrückt, so heilsam
ist er, wenn er mit seinem freien Blick zu deu engern Zwecken des Kaufmanns,
Fabrikanten u. s. w. in ein bestimmtes, bildendes Verhältniß tritt. Englands
Größe liegt nicht lediglich in seinem Handel und Manufacturen, sondern in der
Vermittelung, welche diese Interesse» mit dein kriegerischen Geist der Normannen
aus der Hastingöschlacht und de» Tage» von Cressy und Agincourt gesunde» haben.
Ein bloßes Kräinervolk wird die Weltgeschichte nie fördern; aber merlantileJnteressen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/253>, abgerufen am 05.02.2025.