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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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land ausging. Die Partei der Centren war darin mit der Linken ziemlich einig,
und unterschied sich nur durch den Grad der Macht, die sie den Einzelstaaten
lassen wollte, zu Nutzen und Frommen des Ganzen. Es war ferner natürlich,
daß Gervinus, der die logische Consequenz seiner frühern Prämissen mit der gan¬
zen Energie seines Charakters festhielt, im Kreise der Eiuheitsschwärmer verein¬
samte, und sich endlich von der activen Theilnahme an der Tagespolitik zurückzog.

Diese isolirte Stellung horte keineswegs ans, als im October die Constella-
tion sich wieder dahin änderte, daß man auf den alten Plau zurückging. Denn
Gervinus kam es darauf an, einen neuen dentschen Staat zu gründen, der frei
und unabhängig seine eigne Politik verfolgen könne. Nur darum wollte er die
Trennung von Oestreich. Wenn daher Gagern von einer engen Allianz mit Oest¬
reich sprach, die weiter gehen sollte, als eine blos völkerrechtliche, so wieß Ger-
vinus ganz mit Recht nach, daß damit die Hauptsache, die mau durch jene Wen¬
dung erreichen wollte, verloren ginge. Noch schärfer war seine Opposition (in den
bekannten Korrespondenzen vom Rhein, die schon damals mit der allgemeinen
Tendenz der deutschen Zeitung nicht Hand in Hand gingen) seit der preußischen Note
vom 23. Januar, die ihrem wesentlichen Inhalt nach keineswegs dem Gagern'schen
Programm entgegengesetzt war, sondern die nur nach zwei Seite" hin die weiteren
Consequenzen zog, einmal, indem sie den rechtlichen, so wie factischen Fortbestand
des deutschen Staatenbundes, trotz des "engeren Bundesstaats," der innerhalb
desselben geschlossen werden sollte, behauptete, sodann, indem sie den letzteren von
dem freien Beitritt der einzelnen souveränen Staaten abhängig machte. Es war
nur eine weitere und von diesem Standpunkt aus vollkommen richtige Konsequenz,
wenn sie die von der Nationalversammlung entworfene Verfassung nur als eine
Borlage betrachtete, die erst durch die Einwilligung der betreffenden Staaten
Rechtskraft erhalten könne, denn es schien allerdings inconsequent, daß die von
den Abgeordneten des gestimmten Deutschland gegebene Verfassung nur für einen
Theil desselben, für diesen aber unabweisliche Giltigkeit haben sollte.

Die Erklärung vom 3. April und die weiteren Schritte der preußischen Ne¬
gierung zogen das letzte Resultat. Die Sache hatte sich so gewendet, daß Preu¬
ßen der Fortdauer seiner alten militärischen Kraft sich bewußt geworden war und
nun es nicht mehr für nöthig hielt, in Deutschland aufzugehen, d. h. sich von
Deutschland erobern zu lassen, wenn anch unter noch so ehrenvollen Bedingungen,
daß es' vielmehr deu Versuch wagte, uach seiner alten Anlage, die nur durch vor¬
übergehende Umstände aus den Angen gesetzt war, Deutschland oder wenigstens
von Deutschland so viel als möglich zu erobern. Eine Tendenz, welche der ur¬
sprünglichen Idee des deutschen Parlaments so vollkommen entgegengesetzt war, daß
wohl eine politische Versammlung, wie die von Gotha, auf diese neue Wendung
eingehn konnte, nicht aber der Logiker der Revolution, der bei dem festen Gewebe
seiner Schlußfolgerungen stehn blieb, und nun sämmtlichen Parteien ohne Unter-


land ausging. Die Partei der Centren war darin mit der Linken ziemlich einig,
und unterschied sich nur durch den Grad der Macht, die sie den Einzelstaaten
lassen wollte, zu Nutzen und Frommen des Ganzen. Es war ferner natürlich,
daß Gervinus, der die logische Consequenz seiner frühern Prämissen mit der gan¬
zen Energie seines Charakters festhielt, im Kreise der Eiuheitsschwärmer verein¬
samte, und sich endlich von der activen Theilnahme an der Tagespolitik zurückzog.

Diese isolirte Stellung horte keineswegs ans, als im October die Constella-
tion sich wieder dahin änderte, daß man auf den alten Plau zurückging. Denn
Gervinus kam es darauf an, einen neuen dentschen Staat zu gründen, der frei
und unabhängig seine eigne Politik verfolgen könne. Nur darum wollte er die
Trennung von Oestreich. Wenn daher Gagern von einer engen Allianz mit Oest¬
reich sprach, die weiter gehen sollte, als eine blos völkerrechtliche, so wieß Ger-
vinus ganz mit Recht nach, daß damit die Hauptsache, die mau durch jene Wen¬
dung erreichen wollte, verloren ginge. Noch schärfer war seine Opposition (in den
bekannten Korrespondenzen vom Rhein, die schon damals mit der allgemeinen
Tendenz der deutschen Zeitung nicht Hand in Hand gingen) seit der preußischen Note
vom 23. Januar, die ihrem wesentlichen Inhalt nach keineswegs dem Gagern'schen
Programm entgegengesetzt war, sondern die nur nach zwei Seite» hin die weiteren
Consequenzen zog, einmal, indem sie den rechtlichen, so wie factischen Fortbestand
des deutschen Staatenbundes, trotz des „engeren Bundesstaats," der innerhalb
desselben geschlossen werden sollte, behauptete, sodann, indem sie den letzteren von
dem freien Beitritt der einzelnen souveränen Staaten abhängig machte. Es war
nur eine weitere und von diesem Standpunkt aus vollkommen richtige Konsequenz,
wenn sie die von der Nationalversammlung entworfene Verfassung nur als eine
Borlage betrachtete, die erst durch die Einwilligung der betreffenden Staaten
Rechtskraft erhalten könne, denn es schien allerdings inconsequent, daß die von
den Abgeordneten des gestimmten Deutschland gegebene Verfassung nur für einen
Theil desselben, für diesen aber unabweisliche Giltigkeit haben sollte.

Die Erklärung vom 3. April und die weiteren Schritte der preußischen Ne¬
gierung zogen das letzte Resultat. Die Sache hatte sich so gewendet, daß Preu¬
ßen der Fortdauer seiner alten militärischen Kraft sich bewußt geworden war und
nun es nicht mehr für nöthig hielt, in Deutschland aufzugehen, d. h. sich von
Deutschland erobern zu lassen, wenn anch unter noch so ehrenvollen Bedingungen,
daß es' vielmehr deu Versuch wagte, uach seiner alten Anlage, die nur durch vor¬
übergehende Umstände aus den Angen gesetzt war, Deutschland oder wenigstens
von Deutschland so viel als möglich zu erobern. Eine Tendenz, welche der ur¬
sprünglichen Idee des deutschen Parlaments so vollkommen entgegengesetzt war, daß
wohl eine politische Versammlung, wie die von Gotha, auf diese neue Wendung
eingehn konnte, nicht aber der Logiker der Revolution, der bei dem festen Gewebe
seiner Schlußfolgerungen stehn blieb, und nun sämmtlichen Parteien ohne Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/250>, abgerufen am 05.02.2025.