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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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schied zurufen mußte: ich Stube für euch keine Stelle mehr in meinem System, ihr
seid sämmtlich gleich werthlos, und ich will mit mal nichts weiter zu thun haben.
Die einzige Aufgabe, die ihm in Beziehung ans die Revolution übrig blieb, konnte
nur die sein, sie in ihrer Totalität noch einmal pragmatisch von seinem politi¬
schen Standpunkt ans zusammenzustellen, und das hat er in seinem nächsten Werk
zu thun versprochen; für den Augenblick mußte ihn seine Neigung in eine ideale
Welt treiben, die er sich' und der schlechten Gegenwart als einen Spiegel vorhalten
konnte, und dies Ideal konnte er nach seiner ans das Concrete gerichteten Natur
nur in einer wirklichen Erscheinung suchen. Er hat es in Shakespeare gefunden.

Man konnte leicht in dieser Darstellung einen ironischen Anflug finden. Einem
so verehrten Mann gegenüber, würde es sich von meiner Seite am wenigsten
geziemen. Niemand kann voller die Berechtigung eines edlen Charakters windigen,
der in dem Umfang seiner Ansprüche ebenso maaßvoll, als unerbittlich in der In-
tensivität derselbe ist. sein Weg war unter allen der allem richtige -- wenn
die Mehrzahl der deutschen Nation von der Vernunft, dem Patriotismus und der
großherzigen Hingebung beseelt wäre, wie der Kritiker selbst. Dieses Wenn ist
die Achillesferse des Pragmatismus und der doctrinären Politik, die trotzdem im¬
mer noch viel höher steht, als die Brutalität einer hohlen Abstraction, wie sie
die rothen und die weißen Radicalen lärmend verkündigen. Aber es sei uns
auch verstattet, dieser doctrinären Strenge gegenüber die Berechtigung eines Pa¬
trioten, wie Gagern, zu vindiciren, der darum am Vaterlands nicht verzweifelt,
weil seine Geschicke nicht unmittelbar die Richtung nehmen, wie sie die politische
Logik vorschreibt.

Ich sagte, das Werk über Shakespeare wäre eine Flucht ins Ideal. Ich
meine das in demselben Sinn, wie ich seine Geschichte der deutschen Literatur
als eine Kritik der romantischen Geschmacksvcrwirruug auffaßte. Durch diese Ge¬
schichte geht wie ein rother Faden der Gedanke: in solcher Misere hat sich euer
ideales Leben bewegt! durch das Werk über Shakespeare: seht ihr entnervten Men¬
schen eines confusen Jahrhunderts, so ist ein Maun! Dabei ist nicht zu vergessen,
daß was in der Literaturgeschichte von der deutsche" Literatur Schlechtes ausge¬
sagt wird, wirklich schlecht ist, so wie umgekehrt die guten Eigenschaften Shakespear's
in dieser Kritik wirklich herausgetrieben werde", nicht blos prophetisch angedeutet,
wie es vou der romantischen Schule geschah. Und es ist der gesunde und libe¬
rale Blick zu bewundern, mit dem gerade diejenigen Seiten des Dichters, die dem
dentschen Gemüth am unbequemsten sind, in ihr Helles Licht gestellt sind. Daß aber
der Gesichtspunkt doch ein verschiedener ist, zeigt sich gleich an einigen Beispielen.
So wird die ungesunde, phantastische Sentimentalität in den Sonetten, die leere
Witzspielerei und die offenbar sehr schülerhafte Composition in "Verlorne Liebes¬
mühe" in Schutz genommen, allerdings dadurch, daß Gervinus Seiten auffindet,
die ihre Berechtigung haben, aber ich frage, ob er eine derartige Objectivität bei


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schied zurufen mußte: ich Stube für euch keine Stelle mehr in meinem System, ihr
seid sämmtlich gleich werthlos, und ich will mit mal nichts weiter zu thun haben.
Die einzige Aufgabe, die ihm in Beziehung ans die Revolution übrig blieb, konnte
nur die sein, sie in ihrer Totalität noch einmal pragmatisch von seinem politi¬
schen Standpunkt ans zusammenzustellen, und das hat er in seinem nächsten Werk
zu thun versprochen; für den Augenblick mußte ihn seine Neigung in eine ideale
Welt treiben, die er sich' und der schlechten Gegenwart als einen Spiegel vorhalten
konnte, und dies Ideal konnte er nach seiner ans das Concrete gerichteten Natur
nur in einer wirklichen Erscheinung suchen. Er hat es in Shakespeare gefunden.

Man konnte leicht in dieser Darstellung einen ironischen Anflug finden. Einem
so verehrten Mann gegenüber, würde es sich von meiner Seite am wenigsten
geziemen. Niemand kann voller die Berechtigung eines edlen Charakters windigen,
der in dem Umfang seiner Ansprüche ebenso maaßvoll, als unerbittlich in der In-
tensivität derselbe ist. sein Weg war unter allen der allem richtige — wenn
die Mehrzahl der deutschen Nation von der Vernunft, dem Patriotismus und der
großherzigen Hingebung beseelt wäre, wie der Kritiker selbst. Dieses Wenn ist
die Achillesferse des Pragmatismus und der doctrinären Politik, die trotzdem im¬
mer noch viel höher steht, als die Brutalität einer hohlen Abstraction, wie sie
die rothen und die weißen Radicalen lärmend verkündigen. Aber es sei uns
auch verstattet, dieser doctrinären Strenge gegenüber die Berechtigung eines Pa¬
trioten, wie Gagern, zu vindiciren, der darum am Vaterlands nicht verzweifelt,
weil seine Geschicke nicht unmittelbar die Richtung nehmen, wie sie die politische
Logik vorschreibt.

Ich sagte, das Werk über Shakespeare wäre eine Flucht ins Ideal. Ich
meine das in demselben Sinn, wie ich seine Geschichte der deutschen Literatur
als eine Kritik der romantischen Geschmacksvcrwirruug auffaßte. Durch diese Ge¬
schichte geht wie ein rother Faden der Gedanke: in solcher Misere hat sich euer
ideales Leben bewegt! durch das Werk über Shakespeare: seht ihr entnervten Men¬
schen eines confusen Jahrhunderts, so ist ein Maun! Dabei ist nicht zu vergessen,
daß was in der Literaturgeschichte von der deutsche» Literatur Schlechtes ausge¬
sagt wird, wirklich schlecht ist, so wie umgekehrt die guten Eigenschaften Shakespear's
in dieser Kritik wirklich herausgetrieben werde», nicht blos prophetisch angedeutet,
wie es vou der romantischen Schule geschah. Und es ist der gesunde und libe¬
rale Blick zu bewundern, mit dem gerade diejenigen Seiten des Dichters, die dem
dentschen Gemüth am unbequemsten sind, in ihr Helles Licht gestellt sind. Daß aber
der Gesichtspunkt doch ein verschiedener ist, zeigt sich gleich an einigen Beispielen.
So wird die ungesunde, phantastische Sentimentalität in den Sonetten, die leere
Witzspielerei und die offenbar sehr schülerhafte Composition in „Verlorne Liebes¬
mühe" in Schutz genommen, allerdings dadurch, daß Gervinus Seiten auffindet,
die ihre Berechtigung haben, aber ich frage, ob er eine derartige Objectivität bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/251>, abgerufen am 05.02.2025.