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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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sich in den Vordergrund drängten, übersah, seiner Idee zu Liebe; daß er endlich
die tiefen und gründlichen Studien, mit denen damals die theologische Kritik das
Wesen des Christenthums überwand, für etwas Unfruchtbares und Negatives
ansah im Verhältniß zu diesem leeren und wüsten Getreide eines armseligen Restes
des alten Rationalismus.

Endlich gab der preußische Centrallaudtag den Anknüpfungspunkt für die
ersehnte politische Thätigkeit. Die constitutionelle Partei, die bisher in der
kleinstaatlichen Krähwinkelei verkümmert war, hatte in dem größten deutschen
Staate ein festes Centrum gefunden. Es kam nun auf zweierlei an: einmal Preu¬
ßen in einen wahrhaft constitutionellen Staat zu verwandeln, und zweitens die
kleinen deutschen Staaten an den Gedanken zu gewöhnen, für diesen Fall Preußen
die Hegemonie zu übertragen. Dieser Gedanke war es, der die Führer der kon¬
stitutionellen Opposition zu Gründung eines Centralorgans veranlaßte, welches
nach beiden Seiten hin wirken sollte. Es wurde unter Gervinus' Leitung ein
Blatt, wie selbst in England und Frankreich noch keines dagewesen war: doctri-
när, wie kein anderes, denn was es Historisches gab, galt nur als Bekräftigung
jenes Grundsatzes, und doch staatsmäunisch, denn es ging ans sämmtliche Fragen,
die bisher Privatgut der Bureaukratie gewesen waren, mit Gründlichkeit und Sach¬
kenntniß ein. Gleichmäßig angefeindet von der spezifisch preußischen Partei und
deren Organe, wie von dem süddeutschen Partikularismus > den Ultramontanen
und Socialisten, ging es gleichmäßig und fest, ohne einen Augenblick zu schwan¬
ken, seinen ernsten Gang, die Fahne der Zukunft in den Händen.

So kam die Revolution. Es war die Partei der Deutschen Zeitung, welche
nach Beseitigung der Republikaner die Bewegung in ihre Hände nahm. Der po¬
litische Führer derselben, Heinrich von Gagern, sprach die Richtung, welche ihr
zu geben sei, im Sinn jenes Blattes zu Darmstadt kurz vor Zusammentritt des
Vorparlaments auf das Deutlichste aus. Aber die Sachlage hatte sich geändert.
Der 14. März führte Oestreich, ohne die Grundlage seiner Macht, die Armee zu
gefährden, die vielmehr in dem italienischen Kriege hinreichende Gelegenheit fand,
ihren alten Ruhm zu bewahren, in die Reihe der deutschen constitutionellen Staa¬
ten ein, und machte die Einberufung der östreichischen Deputieren zum deutschen
Parlament unvermeidlich, während der 18. März den bisherigen Bau des preu¬
ßischen Staats auf eine Weise erschütterte, daß selbst seine Existenz in Frage
gestellt schien. Es war natürlich, daß die Sympathien für Oestreich sich in
dem Grade vermehrten, als Preußens Stern im Sinken war, daß, wenn man
einmal das Princip der Volkssouveränität proclamirte und damit die Ueberzeugung
aussprach, die Nationalversammlung habe nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht, Deutschland neu zu constituiren und die von ihm abgefallenen Großstaaten
zu erobern, es war natürlich, daß man auf die Eroberung des gesammten Deutsch-


Grenzboten. "I. 1849. !!2

sich in den Vordergrund drängten, übersah, seiner Idee zu Liebe; daß er endlich
die tiefen und gründlichen Studien, mit denen damals die theologische Kritik das
Wesen des Christenthums überwand, für etwas Unfruchtbares und Negatives
ansah im Verhältniß zu diesem leeren und wüsten Getreide eines armseligen Restes
des alten Rationalismus.

Endlich gab der preußische Centrallaudtag den Anknüpfungspunkt für die
ersehnte politische Thätigkeit. Die constitutionelle Partei, die bisher in der
kleinstaatlichen Krähwinkelei verkümmert war, hatte in dem größten deutschen
Staate ein festes Centrum gefunden. Es kam nun auf zweierlei an: einmal Preu¬
ßen in einen wahrhaft constitutionellen Staat zu verwandeln, und zweitens die
kleinen deutschen Staaten an den Gedanken zu gewöhnen, für diesen Fall Preußen
die Hegemonie zu übertragen. Dieser Gedanke war es, der die Führer der kon¬
stitutionellen Opposition zu Gründung eines Centralorgans veranlaßte, welches
nach beiden Seiten hin wirken sollte. Es wurde unter Gervinus' Leitung ein
Blatt, wie selbst in England und Frankreich noch keines dagewesen war: doctri-
när, wie kein anderes, denn was es Historisches gab, galt nur als Bekräftigung
jenes Grundsatzes, und doch staatsmäunisch, denn es ging ans sämmtliche Fragen,
die bisher Privatgut der Bureaukratie gewesen waren, mit Gründlichkeit und Sach¬
kenntniß ein. Gleichmäßig angefeindet von der spezifisch preußischen Partei und
deren Organe, wie von dem süddeutschen Partikularismus > den Ultramontanen
und Socialisten, ging es gleichmäßig und fest, ohne einen Augenblick zu schwan¬
ken, seinen ernsten Gang, die Fahne der Zukunft in den Händen.

So kam die Revolution. Es war die Partei der Deutschen Zeitung, welche
nach Beseitigung der Republikaner die Bewegung in ihre Hände nahm. Der po¬
litische Führer derselben, Heinrich von Gagern, sprach die Richtung, welche ihr
zu geben sei, im Sinn jenes Blattes zu Darmstadt kurz vor Zusammentritt des
Vorparlaments auf das Deutlichste aus. Aber die Sachlage hatte sich geändert.
Der 14. März führte Oestreich, ohne die Grundlage seiner Macht, die Armee zu
gefährden, die vielmehr in dem italienischen Kriege hinreichende Gelegenheit fand,
ihren alten Ruhm zu bewahren, in die Reihe der deutschen constitutionellen Staa¬
ten ein, und machte die Einberufung der östreichischen Deputieren zum deutschen
Parlament unvermeidlich, während der 18. März den bisherigen Bau des preu¬
ßischen Staats auf eine Weise erschütterte, daß selbst seine Existenz in Frage
gestellt schien. Es war natürlich, daß die Sympathien für Oestreich sich in
dem Grade vermehrten, als Preußens Stern im Sinken war, daß, wenn man
einmal das Princip der Volkssouveränität proclamirte und damit die Ueberzeugung
aussprach, die Nationalversammlung habe nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht, Deutschland neu zu constituiren und die von ihm abgefallenen Großstaaten
zu erobern, es war natürlich, daß man auf die Eroberung des gesammten Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/249>, abgerufen am 05.02.2025.