Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Ein seltsames Motto für eine Geschichte der Poesie, als Kunstwerk betrachtet, Die Abneigung gegen die Romantik beruhte zum Theil auf der Einsicht in Indem man nun nach allen Seiten hin ängstlich sich umsah, ob es nicht Ein seltsames Motto für eine Geschichte der Poesie, als Kunstwerk betrachtet, Die Abneigung gegen die Romantik beruhte zum Theil auf der Einsicht in Indem man nun nach allen Seiten hin ängstlich sich umsah, ob es nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279274"/> <p xml:id="ID_805"> Ein seltsames Motto für eine Geschichte der Poesie, als Kunstwerk betrachtet,<lb/> aber vollkommen passend als Resultat einer kritischen That, die eine überwundene<lb/> Periode abschließen soll. Es wird uns denn auch verständlich, wie der Kritiker,<lb/> in der Ungeduld diesem neuen Schaffen Raum zu geben, dem Volke gleichsam<lb/> den Trost hinwirft, die classische Zeit seiner Literatur läge hinter ihm, und eine<lb/> Dichtung, wie die von Schiller und Goethe, sei nicht wieder möglich, während er<lb/> aus seiner eignen Kritik besser wissen mußte, als jeder Andere, daß diese Phase<lb/> der Bildung nichts weniger als eine classische gewesen sei,</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> Die Abneigung gegen die Romantik beruhte zum Theil auf der Einsicht in<lb/> ihren Nihilismus. Wer seine Pointen nach der Maßgabe seiner Laune oder Stim¬<lb/> mung sucht, wird sich nie zur Verfolgung eines bestimmten Ziels, also auch nie<lb/> zu einer eigentlichen That zusammenraffen können. Gervinus glaubte aber die<lb/> Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß unsere ganze Poesie so weit von Romantik<lb/> inficirt sei, daß sie in eine neue Wendung zu leite», eine größere Krastaustren<lb/> gnug erfordere, als der kühne Griff nach einer ganz neuen Thätigkeit. Als solche<lb/> schwebte ihm die Politik vor, freilich wohl noch nicht in ganz festen Umrissen,<lb/> denn der Aufruf zu einer Erhebung war ziemlich allgemein gehalten, und schloß<lb/> die Idee einer eigentlichen Revolution aus, ließ dagegen die Vorstellung eines<lb/> Nationaltrieges durchschimmern. Es lag eine gewisse nervöse Unruhe in diesem<lb/> Verlangen, daß etwas gethan werden müsse. Gervinus selber hatte das Glück<lb/> gehabt, eine That zu thun in der einzigen Form, wie sie damals dem deutschen<lb/> Politiker vergönrt war: er hatte gelitten für das Recht, indem er gegen das<lb/> Unrecht protestirt hatte. Das gab ihm eine bestimmte Position nach beiden Seiten<lb/> hin, daun die Anerkennung von Seiten der Konstitutionellen siel zusammen mit<lb/> der Verachtung der Radikalen, die von dem reactionären Begriff des Rechts nichts<lb/> mehr wissen wollten. Diese Stellung wurde noch weiter bestimmt und befestigt<lb/> durch das Verhältniß der Parteien in Heidelberg, wo er seine akademische Laufbahn<lb/> wieder antrat.</p><lb/> <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Indem man nun nach allen Seiten hin ängstlich sich umsah, ob es nicht<lb/> irgendwo etwas zu thun gebe, ereignete sich der Vorfall mit dem heiligen Rock in<lb/> Trier, der Brief des katholischen Priesters Johannes Ronge in den Vaterlands¬<lb/> blättern, die Bildung der deutschkatholischen Gemeinden und gleich darauf die<lb/> lichtsrcundlichen Proteste. Hier gab es nun eine That, etwas Positives; nun<lb/> wurde nicht mehr abstract negirt, soudern construirt; es war eine Anlage, aus<lb/> der sich etwas Reelles entwickeln konnte. — Nur jene Ungeduld nach Thaten<lb/> macht es erklärlich, daß Gervinus sich über eine so vollkommen lnhalt- und prin¬<lb/> cipienlose Bewegung täuschen ließ, daß er es für möglich hielt, eine kirchliche<lb/> Reformation könne sich erneuern in einer Zeit, wo man der unbequemen Kirche<lb/> nur den Widerwillen der weltlichen Gesinnung, nicht aber den Feuereifer eiues<lb/> erfüllten Glaubens gegenüberstellte; daß er die Nichtsnutzigkeit der Personen, die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Ein seltsames Motto für eine Geschichte der Poesie, als Kunstwerk betrachtet,
aber vollkommen passend als Resultat einer kritischen That, die eine überwundene
Periode abschließen soll. Es wird uns denn auch verständlich, wie der Kritiker,
in der Ungeduld diesem neuen Schaffen Raum zu geben, dem Volke gleichsam
den Trost hinwirft, die classische Zeit seiner Literatur läge hinter ihm, und eine
Dichtung, wie die von Schiller und Goethe, sei nicht wieder möglich, während er
aus seiner eignen Kritik besser wissen mußte, als jeder Andere, daß diese Phase
der Bildung nichts weniger als eine classische gewesen sei,
Die Abneigung gegen die Romantik beruhte zum Theil auf der Einsicht in
ihren Nihilismus. Wer seine Pointen nach der Maßgabe seiner Laune oder Stim¬
mung sucht, wird sich nie zur Verfolgung eines bestimmten Ziels, also auch nie
zu einer eigentlichen That zusammenraffen können. Gervinus glaubte aber die
Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß unsere ganze Poesie so weit von Romantik
inficirt sei, daß sie in eine neue Wendung zu leite», eine größere Krastaustren
gnug erfordere, als der kühne Griff nach einer ganz neuen Thätigkeit. Als solche
schwebte ihm die Politik vor, freilich wohl noch nicht in ganz festen Umrissen,
denn der Aufruf zu einer Erhebung war ziemlich allgemein gehalten, und schloß
die Idee einer eigentlichen Revolution aus, ließ dagegen die Vorstellung eines
Nationaltrieges durchschimmern. Es lag eine gewisse nervöse Unruhe in diesem
Verlangen, daß etwas gethan werden müsse. Gervinus selber hatte das Glück
gehabt, eine That zu thun in der einzigen Form, wie sie damals dem deutschen
Politiker vergönrt war: er hatte gelitten für das Recht, indem er gegen das
Unrecht protestirt hatte. Das gab ihm eine bestimmte Position nach beiden Seiten
hin, daun die Anerkennung von Seiten der Konstitutionellen siel zusammen mit
der Verachtung der Radikalen, die von dem reactionären Begriff des Rechts nichts
mehr wissen wollten. Diese Stellung wurde noch weiter bestimmt und befestigt
durch das Verhältniß der Parteien in Heidelberg, wo er seine akademische Laufbahn
wieder antrat.
Indem man nun nach allen Seiten hin ängstlich sich umsah, ob es nicht
irgendwo etwas zu thun gebe, ereignete sich der Vorfall mit dem heiligen Rock in
Trier, der Brief des katholischen Priesters Johannes Ronge in den Vaterlands¬
blättern, die Bildung der deutschkatholischen Gemeinden und gleich darauf die
lichtsrcundlichen Proteste. Hier gab es nun eine That, etwas Positives; nun
wurde nicht mehr abstract negirt, soudern construirt; es war eine Anlage, aus
der sich etwas Reelles entwickeln konnte. — Nur jene Ungeduld nach Thaten
macht es erklärlich, daß Gervinus sich über eine so vollkommen lnhalt- und prin¬
cipienlose Bewegung täuschen ließ, daß er es für möglich hielt, eine kirchliche
Reformation könne sich erneuern in einer Zeit, wo man der unbequemen Kirche
nur den Widerwillen der weltlichen Gesinnung, nicht aber den Feuereifer eiues
erfüllten Glaubens gegenüberstellte; daß er die Nichtsnutzigkeit der Personen, die
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