Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Zwecke zu verfolgen im Stande ist, wird durch Revolutionen nicht gefördert. Die Betrachten wir die "Literaturgeschichte" in diesem Licht, so lernen wir ihren Nehmen wir an, daß in einem Zeitalter früherer, unreiferer Bildung z. B. In diesem Zusammenhang wird das Motto des vorletzten Theils, das aus Lieben, du Händlerin? Ich lieb' dich nicht Zwecke zu verfolgen im Stande ist, wird durch Revolutionen nicht gefördert. Die Betrachten wir die „Literaturgeschichte" in diesem Licht, so lernen wir ihren Nehmen wir an, daß in einem Zeitalter früherer, unreiferer Bildung z. B. In diesem Zusammenhang wird das Motto des vorletzten Theils, das aus Lieben, du Händlerin? Ich lieb' dich nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279273"/> <p xml:id="ID_801" prev="#ID_800"> Zwecke zu verfolgen im Stande ist, wird durch Revolutionen nicht gefördert. Die<lb/> Thätigkeit des Ganzen fällt aber mit den Thaten der Einzelnen zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_802"> Betrachten wir die „Literaturgeschichte" in diesem Licht, so lernen wir ihren<lb/> großen Einfluß begreifen und würdigen. Es ist eine Empörung des gesunden<lb/> Menschenverstandes gegen die babylonische Sprachverwirrung der modernen Scho¬<lb/> lastik. Die vereinzelte Kritik konnte gegen den herrschenden Unverstand nicht auf¬<lb/> kommen, sie wurde hingenommen und vergessen; sobald aber das Ganze unserer<lb/> Literatur mit der eisernen Konsequenz eines energischen Charakters dem Schema<lb/> des romantischen Katechismus entrissen wurde, mußten der Nation die Augen auf¬<lb/> gehn. Wenn Gewinns einem Wolfram von Eschenbach mit unbarmherziger Strenge<lb/> zu Leibe ging, so lag ihm nichts an der Enthüllung des mittelalterlichen Poeten;<lb/> jeder Schwertstreich, der gegen die alten Nittergestalteu geführt wurde, traf in<lb/> das Herz der modernen Romantik. Gervinus war — man verzeihe mir das un¬<lb/> edle Bild — der kritische Herkules, der den Augiasstall unserer Aesthetik reinigte.</p><lb/> <p xml:id="ID_803"> Nehmen wir an, daß in einem Zeitalter früherer, unreiferer Bildung z. B.<lb/> ein Nicolai mit größeren Anlage» und größerer Gelehrsamkeit, aber mit demselben<lb/> nüchternen Ernst, als dieser vereinsamte Philister im gelobten Lande verschrobener<lb/> Genialität, an eine ähnliche Aufgabe gegangen wäre, so hätte das Unternehmen<lb/> einen geringen Erfolg gehabt. Zu einem kritischen Werk dieser Art gehört das<lb/> sichere Bewußtsein des Sieges, das Gefühl, daß der Stern des Gegners im<lb/> Sinken ist. Die Nicolai waren in ihrer Opposition gegen die neue Richtung<lb/> hämisch, gedrückt, ungerecht, weil der Strom der Romantik im Wachsen war.<lb/> Erst das Gefühl der Überlegenheit gibt die Fähigkeit und das Recht, liberal zu<lb/> sein. Und liberal ist Gervinus, trotz seines sittlich-ästhetischen Ernstes, überall,<lb/> wo er mit dem Gegner nicht in unmittelbare Berührung kommt. Die Form seiner<lb/> Kritik war eine höhere, als die des alten Rationalismus sein konnte, denn sie<lb/> hatte ihren Gegensatz nicht durch einfaches Ablehnen, sondern durch gewissenhaftes<lb/> Studium überwunden. Nur wo dieses Studium nicht ausgereicht hatte, hört auch<lb/> die Liberalität und Gewissenhaftigkeit auf, und so bleibt es immer ein Mangel<lb/> auch der ästhetischen Kritik, daß Gervinus die Schule der philosophisch-theologi¬<lb/> schen Speculation nicht durchgemacht hat. Daher z. B. die Ungerechtigkeit gegen<lb/> die „herzlosen" Atheisten, denen wunderlicher Weise ein Mangel an allem Gefühl<lb/> und an allem Glauben zugeschrieben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_804"> In diesem Zusammenhang wird das Motto des vorletzten Theils, das aus<lb/> Percy die Ironie gegen alles poetische Floskelwesen entlehnt, und die Schlu߬<lb/> ermahnung an die Deutschen, jetzt vorläufig die Poesie eine Weile ruhen zu las¬<lb/> sen und sich in einer fruchtbareren Thätigkeit zu ergehen, vollkommen begreiflich.</p><lb/> <quote> Lieben, du Händlerin? Ich lieb' dich nicht<lb/> Und frage nichts nach dir. Ist dies 'ne Welt<lb/> Zum Puppenspielen und zum Lippenfechttn?</quote><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
Zwecke zu verfolgen im Stande ist, wird durch Revolutionen nicht gefördert. Die
Thätigkeit des Ganzen fällt aber mit den Thaten der Einzelnen zusammen.
Betrachten wir die „Literaturgeschichte" in diesem Licht, so lernen wir ihren
großen Einfluß begreifen und würdigen. Es ist eine Empörung des gesunden
Menschenverstandes gegen die babylonische Sprachverwirrung der modernen Scho¬
lastik. Die vereinzelte Kritik konnte gegen den herrschenden Unverstand nicht auf¬
kommen, sie wurde hingenommen und vergessen; sobald aber das Ganze unserer
Literatur mit der eisernen Konsequenz eines energischen Charakters dem Schema
des romantischen Katechismus entrissen wurde, mußten der Nation die Augen auf¬
gehn. Wenn Gewinns einem Wolfram von Eschenbach mit unbarmherziger Strenge
zu Leibe ging, so lag ihm nichts an der Enthüllung des mittelalterlichen Poeten;
jeder Schwertstreich, der gegen die alten Nittergestalteu geführt wurde, traf in
das Herz der modernen Romantik. Gervinus war — man verzeihe mir das un¬
edle Bild — der kritische Herkules, der den Augiasstall unserer Aesthetik reinigte.
Nehmen wir an, daß in einem Zeitalter früherer, unreiferer Bildung z. B.
ein Nicolai mit größeren Anlage» und größerer Gelehrsamkeit, aber mit demselben
nüchternen Ernst, als dieser vereinsamte Philister im gelobten Lande verschrobener
Genialität, an eine ähnliche Aufgabe gegangen wäre, so hätte das Unternehmen
einen geringen Erfolg gehabt. Zu einem kritischen Werk dieser Art gehört das
sichere Bewußtsein des Sieges, das Gefühl, daß der Stern des Gegners im
Sinken ist. Die Nicolai waren in ihrer Opposition gegen die neue Richtung
hämisch, gedrückt, ungerecht, weil der Strom der Romantik im Wachsen war.
Erst das Gefühl der Überlegenheit gibt die Fähigkeit und das Recht, liberal zu
sein. Und liberal ist Gervinus, trotz seines sittlich-ästhetischen Ernstes, überall,
wo er mit dem Gegner nicht in unmittelbare Berührung kommt. Die Form seiner
Kritik war eine höhere, als die des alten Rationalismus sein konnte, denn sie
hatte ihren Gegensatz nicht durch einfaches Ablehnen, sondern durch gewissenhaftes
Studium überwunden. Nur wo dieses Studium nicht ausgereicht hatte, hört auch
die Liberalität und Gewissenhaftigkeit auf, und so bleibt es immer ein Mangel
auch der ästhetischen Kritik, daß Gervinus die Schule der philosophisch-theologi¬
schen Speculation nicht durchgemacht hat. Daher z. B. die Ungerechtigkeit gegen
die „herzlosen" Atheisten, denen wunderlicher Weise ein Mangel an allem Gefühl
und an allem Glauben zugeschrieben wird.
In diesem Zusammenhang wird das Motto des vorletzten Theils, das aus
Percy die Ironie gegen alles poetische Floskelwesen entlehnt, und die Schlu߬
ermahnung an die Deutschen, jetzt vorläufig die Poesie eine Weile ruhen zu las¬
sen und sich in einer fruchtbareren Thätigkeit zu ergehen, vollkommen begreiflich.
Lieben, du Händlerin? Ich lieb' dich nicht
Und frage nichts nach dir. Ist dies 'ne Welt
Zum Puppenspielen und zum Lippenfechttn?
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