Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.den in andern Staaten herrschenden Steuersystemen nachzuweisen versucht hatte, In Leipzig war damals, wie jetzt, eine Colonie östreichischer Flüchtlinge. Bei Wiesuer fiel mir zum ersten Mal die Empfindlichkeit auf, mit welcher Was Wiesners literarische Stellung betrifft, so habe ich vergessen zu bemer¬ den in andern Staaten herrschenden Steuersystemen nachzuweisen versucht hatte, In Leipzig war damals, wie jetzt, eine Colonie östreichischer Flüchtlinge. Bei Wiesuer fiel mir zum ersten Mal die Empfindlichkeit auf, mit welcher Was Wiesners literarische Stellung betrifft, so habe ich vergessen zu bemer¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279174"/> <p xml:id="ID_464" prev="#ID_463"> den in andern Staaten herrschenden Steuersystemen nachzuweisen versucht hatte,<lb/> daß Oestreichs Kräfte noch lange nicht erschöpft seien, und daß das Volk eine<lb/> Erhöhung der Abgaben ganz wohl ertragen könne. Miesner schrieb dagegen eine<lb/> „russisch-politische Arithmetik," um seine Landsleute vor einer neuen Auflage zu<lb/> verwahren: freilich nur auf die allgemeinen Quellen gestützt, die bereits ver¬<lb/> öffentlicht waren, da die nähere Einsicht in die Verhältnisse des Staatshaus¬<lb/> halts nicht offen stand. Tengoborski replicirte in der allgemeinen Zeitung, und<lb/> wie man denken kann, nicht eben fein; eine Antwort Wiesners wurde zu Augs¬<lb/> burg nicht aufgenommen. So ließ er in seinem Unwillen in einer Broschüre freien<lb/> Zug, welche zu einer directen Einmischung der Polizei Veranlassung gab. Viel¬<lb/> leicht war dieser Conflict mit eine Veranlassung, die ihn zur Auswanderung<lb/> bestimmte.</p><lb/> <p xml:id="ID_465"> In Leipzig war damals, wie jetzt, eine Colonie östreichischer Flüchtlinge.<lb/> Nur hatte die Emigration noch keinen so heroischen Charakter; man hatte noch<lb/> keine Barrikaden vertheidigt, noch kein Ministerium: eingesetzt, noch keine dreifar¬<lb/> bigen Schärpen mit Schleppsäbeln und den nöthigen Federhüten getragen. Den<lb/> Stamm bildeten die Lyriker und Humoristen, die Politik bestand im Durchschnitt<lb/> aus Seufzern und Fragezeichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_466"> Bei Wiesuer fiel mir zum ersten Mal die Empfindlichkeit auf, mit welcher<lb/> die Oestreicher die Urtheile der Auswärtigen über ihr Vaterland aufnahmen. Sie<lb/> waren fest davon überzeugt, daß man sich in Norddeutschland, namentlich aber in<lb/> Preußen, unausgesetzt damit beschäftige, Oestreich zu lästern. Waren sie unter<lb/> einander, so ging es über die östreichische Politik her und Alles, was damit zu¬<lb/> sammenhing, mit einem Haß und einer Leidenschaftlichkeit, deren nur die Liebe<lb/> fähig ist. Dem Preußen gegenüber hatten sie sich dagegen auf ein vollständiges<lb/> Lügensystem eingerichtet, nach welchem jede einzelne Einrichtung in Oestreich, wenn<lb/> nicht an sich löblich und vortrefflich, doch wenigstens jeder entsprechenden im Aus¬<lb/> land bei weitem vorzuziehn sein mußte. Am seltsamsten nahm sich dieser Patrio¬<lb/> tismus bei einem „Deutschböhmen" aus, wie Wiesner sich bezeichnete, denn man<lb/> mußte für die engere Heimath, für Böhmen, eintreten, obgleich man als Deut¬<lb/> scher ein entschiedener und leidenschaftlicher Gegner der dort herrschenden liberalen<lb/> Partei, der Czechen war; man mußte für Oestreich eintreten, obgleich mit dem<lb/> ganzen Staatswesen zerfallen; man mußte endlich auch für die Einheit Deutsch¬<lb/> lands in Begeisterung sein, obgleich die Existenz Oestreichs, an der man ebenfalls<lb/> festhielt, damit in Widerspruch stand. Die ganze Verwirrung, die später in der<lb/> östreichischen Partei in der Paulskirche zur Erscheinung kam, malte sich schon in<lb/> diesem Individuum.</p><lb/> <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Was Wiesners literarische Stellung betrifft, so habe ich vergessen zu bemer¬<lb/> ken, daß er auch Versasser eines Trauerspiels war, und daß gute Gründe zu dem<lb/> Verdacht vorliegen, er habe auch sein lyrisches Scherflein auf dem Altar des Va-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
den in andern Staaten herrschenden Steuersystemen nachzuweisen versucht hatte,
daß Oestreichs Kräfte noch lange nicht erschöpft seien, und daß das Volk eine
Erhöhung der Abgaben ganz wohl ertragen könne. Miesner schrieb dagegen eine
„russisch-politische Arithmetik," um seine Landsleute vor einer neuen Auflage zu
verwahren: freilich nur auf die allgemeinen Quellen gestützt, die bereits ver¬
öffentlicht waren, da die nähere Einsicht in die Verhältnisse des Staatshaus¬
halts nicht offen stand. Tengoborski replicirte in der allgemeinen Zeitung, und
wie man denken kann, nicht eben fein; eine Antwort Wiesners wurde zu Augs¬
burg nicht aufgenommen. So ließ er in seinem Unwillen in einer Broschüre freien
Zug, welche zu einer directen Einmischung der Polizei Veranlassung gab. Viel¬
leicht war dieser Conflict mit eine Veranlassung, die ihn zur Auswanderung
bestimmte.
In Leipzig war damals, wie jetzt, eine Colonie östreichischer Flüchtlinge.
Nur hatte die Emigration noch keinen so heroischen Charakter; man hatte noch
keine Barrikaden vertheidigt, noch kein Ministerium: eingesetzt, noch keine dreifar¬
bigen Schärpen mit Schleppsäbeln und den nöthigen Federhüten getragen. Den
Stamm bildeten die Lyriker und Humoristen, die Politik bestand im Durchschnitt
aus Seufzern und Fragezeichen.
Bei Wiesuer fiel mir zum ersten Mal die Empfindlichkeit auf, mit welcher
die Oestreicher die Urtheile der Auswärtigen über ihr Vaterland aufnahmen. Sie
waren fest davon überzeugt, daß man sich in Norddeutschland, namentlich aber in
Preußen, unausgesetzt damit beschäftige, Oestreich zu lästern. Waren sie unter
einander, so ging es über die östreichische Politik her und Alles, was damit zu¬
sammenhing, mit einem Haß und einer Leidenschaftlichkeit, deren nur die Liebe
fähig ist. Dem Preußen gegenüber hatten sie sich dagegen auf ein vollständiges
Lügensystem eingerichtet, nach welchem jede einzelne Einrichtung in Oestreich, wenn
nicht an sich löblich und vortrefflich, doch wenigstens jeder entsprechenden im Aus¬
land bei weitem vorzuziehn sein mußte. Am seltsamsten nahm sich dieser Patrio¬
tismus bei einem „Deutschböhmen" aus, wie Wiesner sich bezeichnete, denn man
mußte für die engere Heimath, für Böhmen, eintreten, obgleich man als Deut¬
scher ein entschiedener und leidenschaftlicher Gegner der dort herrschenden liberalen
Partei, der Czechen war; man mußte für Oestreich eintreten, obgleich mit dem
ganzen Staatswesen zerfallen; man mußte endlich auch für die Einheit Deutsch¬
lands in Begeisterung sein, obgleich die Existenz Oestreichs, an der man ebenfalls
festhielt, damit in Widerspruch stand. Die ganze Verwirrung, die später in der
östreichischen Partei in der Paulskirche zur Erscheinung kam, malte sich schon in
diesem Individuum.
Was Wiesners literarische Stellung betrifft, so habe ich vergessen zu bemer¬
ken, daß er auch Versasser eines Trauerspiels war, und daß gute Gründe zu dem
Verdacht vorliegen, er habe auch sein lyrisches Scherflein auf dem Altar des Va-
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