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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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halborientalischen Neitervolk eigen ist. Indessen, ein Völklein von fünf Millionen,
zu dessen Unterjochung, sich zwei kolossale europäische Großmächte virilms nullis kaum
ausreichen, darf schon mit stolzerem Sporengeklirr von sich sprechen, und wenn
eine Dosis Terrorismus jemals zu entschuldigen ist, so mag es in so ungleichem
Kampf eines zur Verzweiflung getriebenen Stammes sein. Das Publikum, zu
dem Kossuth, Görgcy, Klapka u. s. w. reden, ist an starken Wein gewöhnt, und
lächerlich wäre es, von Männern, die mit dem Strick um den Hals fechten, die
pragmatische Ruhe und die statistische Genauigkeit ihrer künftigen Biographen im
Konversationslexikon der Gegenwart zu fordern.

Wie accompagnirt nun die hiesige Presse den Waffenlärm an der Theiß und
Donau! Aus der verzweifelten Bildersprache und den sturmgcjagtcn Annalen der
Magyaren weht ein Hauch von Poesie, aus der gedruckten Wiener Gutgesinntheit
das Gegentheil, (worunter ich nicht etwa gute Prosa verstanden wissen will). Die
sichere Ferne des Kriegsschauplatzes, das Bewußtsein numerischer Ueberlegenheit
und "der Gerechtigkeit ihrer Sache" sollte den kaiserlichen Annalenschrei-
bcrn doch etwas mehr Unparteilichkeit und Ruhe einflößen. Statt dessen nimmt
ihnen die Leidenschaft so sehr alle Besonnenheit, alles Gedächtniß und Geschick,
daß sie sich weher thun als den Magyaren, und es ist komisch, wenn die Gut¬
gesinnten darüber wüthen, daß Oestreich von böswilligen Korrespondenten in aus¬
wärtigen Blättern angeschwärzt werde, während sie, um diesem Unheil vorzubeu¬
gen, die Ausfuhr sämmtlicher Wiener Journale aus Oestreich verbieten müßten.
Eine Legion hämischer Korrespondenten könnte sich ja bei einer Sue'schen oder
Dumasschen Erfindungsgabe nicht all das tragikomische Zeug erdichten, was
"Lloyd" und "Wiener Zeitung" aus Oestreich melden. Selbst die offiziellen
Gassenzeitungen, ich meine die Plakate der Civil- und Militärbehörden, kommen
von den Gassenccken in die Journale und so in's Ausland, wo sie, wie ich merke,
in usum nonuli, stets getreulich abgedruckt und mit Frage- und Ausrufungszeichen
commentirt werden. Was übrigens die halb und ganz offiziellen Kriegsberichte
betrifft, so kann jeder Schulknabe die plumpen Widersprüche darin nachweisen.
Zum Beweise haben sie selbst bei dem kindlichen Wiener Publikum aller Farben,
trotz des Zwangskurses, den sie gleich den neuen Ccntralcasscnschcinen besitzen,
allen und jeden Kredit verloren.

Lüge, ihr Herren, lügt in's Aschgraue, aber thut es mit einigem Verstand
und schlagt nicht jeden Augenblick aller Erd- und Völkerkunde, der Regel de Tri
und dem Einmaleins in's Gesicht. So unterhalten sich, um ein echtuugariscl es
Beispiel anzuführen, die Blätter seit einer Woche von dem steigenden Cours des
Pferdefleisches in Venedig! Wahrscheinlich hat der Erfinder dieses patrioti¬
schen Gerüchtes von Heu- oder Cecpfcrden geträumt. Die Lagunenkavallcric hat
durch die venetianische Hungersnoth schwerlich gelitten. Daß der geborene Vene---'
klarer das Pferd nur aus Büchern kennt, wie die Wiener Lyriker den Pegasus,


halborientalischen Neitervolk eigen ist. Indessen, ein Völklein von fünf Millionen,
zu dessen Unterjochung, sich zwei kolossale europäische Großmächte virilms nullis kaum
ausreichen, darf schon mit stolzerem Sporengeklirr von sich sprechen, und wenn
eine Dosis Terrorismus jemals zu entschuldigen ist, so mag es in so ungleichem
Kampf eines zur Verzweiflung getriebenen Stammes sein. Das Publikum, zu
dem Kossuth, Görgcy, Klapka u. s. w. reden, ist an starken Wein gewöhnt, und
lächerlich wäre es, von Männern, die mit dem Strick um den Hals fechten, die
pragmatische Ruhe und die statistische Genauigkeit ihrer künftigen Biographen im
Konversationslexikon der Gegenwart zu fordern.

Wie accompagnirt nun die hiesige Presse den Waffenlärm an der Theiß und
Donau! Aus der verzweifelten Bildersprache und den sturmgcjagtcn Annalen der
Magyaren weht ein Hauch von Poesie, aus der gedruckten Wiener Gutgesinntheit
das Gegentheil, (worunter ich nicht etwa gute Prosa verstanden wissen will). Die
sichere Ferne des Kriegsschauplatzes, das Bewußtsein numerischer Ueberlegenheit
und „der Gerechtigkeit ihrer Sache" sollte den kaiserlichen Annalenschrei-
bcrn doch etwas mehr Unparteilichkeit und Ruhe einflößen. Statt dessen nimmt
ihnen die Leidenschaft so sehr alle Besonnenheit, alles Gedächtniß und Geschick,
daß sie sich weher thun als den Magyaren, und es ist komisch, wenn die Gut¬
gesinnten darüber wüthen, daß Oestreich von böswilligen Korrespondenten in aus¬
wärtigen Blättern angeschwärzt werde, während sie, um diesem Unheil vorzubeu¬
gen, die Ausfuhr sämmtlicher Wiener Journale aus Oestreich verbieten müßten.
Eine Legion hämischer Korrespondenten könnte sich ja bei einer Sue'schen oder
Dumasschen Erfindungsgabe nicht all das tragikomische Zeug erdichten, was
„Lloyd" und „Wiener Zeitung" aus Oestreich melden. Selbst die offiziellen
Gassenzeitungen, ich meine die Plakate der Civil- und Militärbehörden, kommen
von den Gassenccken in die Journale und so in's Ausland, wo sie, wie ich merke,
in usum nonuli, stets getreulich abgedruckt und mit Frage- und Ausrufungszeichen
commentirt werden. Was übrigens die halb und ganz offiziellen Kriegsberichte
betrifft, so kann jeder Schulknabe die plumpen Widersprüche darin nachweisen.
Zum Beweise haben sie selbst bei dem kindlichen Wiener Publikum aller Farben,
trotz des Zwangskurses, den sie gleich den neuen Ccntralcasscnschcinen besitzen,
allen und jeden Kredit verloren.

Lüge, ihr Herren, lügt in's Aschgraue, aber thut es mit einigem Verstand
und schlagt nicht jeden Augenblick aller Erd- und Völkerkunde, der Regel de Tri
und dem Einmaleins in's Gesicht. So unterhalten sich, um ein echtuugariscl es
Beispiel anzuführen, die Blätter seit einer Woche von dem steigenden Cours des
Pferdefleisches in Venedig! Wahrscheinlich hat der Erfinder dieses patrioti¬
schen Gerüchtes von Heu- oder Cecpfcrden geträumt. Die Lagunenkavallcric hat
durch die venetianische Hungersnoth schwerlich gelitten. Daß der geborene Vene---'
klarer das Pferd nur aus Büchern kennt, wie die Wiener Lyriker den Pegasus,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/124>, abgerufen am 05.02.2025.