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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Briefe eines deutschen Reisenden.
^Aus'Wie,,. >

Sie wissen, daß seit 14 Tagen die ungarische Grenze möglichst hermetisch ge¬
sperrt ist. Die Insurgenten bcziehcMun CÄouial-, Luxus- und Fabrikwaaren ganz aus
England, durch Vermittlung türkischerWairde, unsere Kaufleute und Spediteure
aber sind vor der Schmach bewahrt, an/Rebellen Geld zu verdienen, und besehen
auch nicht einen böswilligen Kreuzer meW^. Außer dem national-ökonomischen
Segen hat die Sperre auch eiuen publizistischen Vortheil zur Folge. Früher
pflegten hin- und herreisende Kaufleute, wie im Orient, als lebendige Zeitungen
zu dienen, und mau glaubte ihnen mehr als den gedruckten; jedenfalls brachten
sie manche Kunde, die das richtige Verständniß der sibyllinischen k. k. Bulletins
erleichterte. Dies hat jetzt aufgehört, die gutgesinnten Journale haben diese ge¬
fährliche Concurrenz nicht mehr zu fürchten, und es gelingt ihnen daher, die
Magyaren täglich zwei, dreimal auf's Haupt zu schlagen. Bem und Pertzel sind
etwa zehnmal vernichtet worden, währeud Kossuth und Görgey bereits zwanzigmal
sich "übergeben" (wie man hier sagt) und selber gebunden ausgeliefert haben.
Eine mäßige Berechnung der Wunden, welche Bem von hiesigen Stahlfedern bei¬
gebracht wurden, ergibt, daß vou ihm höchstens noch das linke Ohrläppchen und
ein Schatten der großen Zehe des rechten Fußes übrig sein können, aber mit
Hilfe dieser zwei Gliedmaßen manövrirt der polnische Satanas in Siebenbürgen
und im Banat dermaßen, daß dem armen alten Puchner und dem Russen Lüders
der Schweiß von der Stirne rinnt.

Klimpern gehört zum Handwerk, und da man in modernen Bürgerkriegen fast
noch mehr Dinte als Blut vergießt, so läßt sich wohl annehmen, daß drüben wie
hüben Einiges gelogen wird. Die Methode ist jedoch sehr verschieden. Nach
dem zu urtheilen, was mir von ungarischen Zeitungen zu Gesichte kam, muß ich
den Kaiserlichen die Palme zuerkennen. Großes leisten die deutschgeschriebenen
Blätter in Pesth, deren Autoren, ausgediente Theaterrcferenten der fenster und
feigsten Sorte, jetzt als.charaktervolle Publizisten an der schwarzgelben Fahne
gutzumachen streben, was sie im letzten Winter an der magyarischen Tricolore
versündigt haben; denn als Windischgrätz in Pesth residirte, arbeiteten dieselben
Tacitusse mit derselben Feder gegen Debreczin, die sie jetzt gegen Wien aus¬
spritzen. Dagegen trägt alles Schriftwerk, was von Bem und DembinSki ausgeht,
das Gepräge chevaleresken Anstandes und großer Einfachheit. Die Aufrufe,
Schilderungen und Verordnungen ans eigentlich ungarischer Quelle klingen oft
von dem hyperbolischer Pathos wieder, das diesem schwer- und heißblutigen,


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Briefe eines deutschen Reisenden.
^Aus'Wie,,. >

Sie wissen, daß seit 14 Tagen die ungarische Grenze möglichst hermetisch ge¬
sperrt ist. Die Insurgenten bcziehcMun CÄouial-, Luxus- und Fabrikwaaren ganz aus
England, durch Vermittlung türkischerWairde, unsere Kaufleute und Spediteure
aber sind vor der Schmach bewahrt, an/Rebellen Geld zu verdienen, und besehen
auch nicht einen böswilligen Kreuzer meW^. Außer dem national-ökonomischen
Segen hat die Sperre auch eiuen publizistischen Vortheil zur Folge. Früher
pflegten hin- und herreisende Kaufleute, wie im Orient, als lebendige Zeitungen
zu dienen, und mau glaubte ihnen mehr als den gedruckten; jedenfalls brachten
sie manche Kunde, die das richtige Verständniß der sibyllinischen k. k. Bulletins
erleichterte. Dies hat jetzt aufgehört, die gutgesinnten Journale haben diese ge¬
fährliche Concurrenz nicht mehr zu fürchten, und es gelingt ihnen daher, die
Magyaren täglich zwei, dreimal auf's Haupt zu schlagen. Bem und Pertzel sind
etwa zehnmal vernichtet worden, währeud Kossuth und Görgey bereits zwanzigmal
sich „übergeben" (wie man hier sagt) und selber gebunden ausgeliefert haben.
Eine mäßige Berechnung der Wunden, welche Bem von hiesigen Stahlfedern bei¬
gebracht wurden, ergibt, daß vou ihm höchstens noch das linke Ohrläppchen und
ein Schatten der großen Zehe des rechten Fußes übrig sein können, aber mit
Hilfe dieser zwei Gliedmaßen manövrirt der polnische Satanas in Siebenbürgen
und im Banat dermaßen, daß dem armen alten Puchner und dem Russen Lüders
der Schweiß von der Stirne rinnt.

Klimpern gehört zum Handwerk, und da man in modernen Bürgerkriegen fast
noch mehr Dinte als Blut vergießt, so läßt sich wohl annehmen, daß drüben wie
hüben Einiges gelogen wird. Die Methode ist jedoch sehr verschieden. Nach
dem zu urtheilen, was mir von ungarischen Zeitungen zu Gesichte kam, muß ich
den Kaiserlichen die Palme zuerkennen. Großes leisten die deutschgeschriebenen
Blätter in Pesth, deren Autoren, ausgediente Theaterrcferenten der fenster und
feigsten Sorte, jetzt als.charaktervolle Publizisten an der schwarzgelben Fahne
gutzumachen streben, was sie im letzten Winter an der magyarischen Tricolore
versündigt haben; denn als Windischgrätz in Pesth residirte, arbeiteten dieselben
Tacitusse mit derselben Feder gegen Debreczin, die sie jetzt gegen Wien aus¬
spritzen. Dagegen trägt alles Schriftwerk, was von Bem und DembinSki ausgeht,
das Gepräge chevaleresken Anstandes und großer Einfachheit. Die Aufrufe,
Schilderungen und Verordnungen ans eigentlich ungarischer Quelle klingen oft
von dem hyperbolischer Pathos wieder, das diesem schwer- und heißblutigen,


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[0123] Briefe eines deutschen Reisenden. ^Aus'Wie,,. > Sie wissen, daß seit 14 Tagen die ungarische Grenze möglichst hermetisch ge¬ sperrt ist. Die Insurgenten bcziehcMun CÄouial-, Luxus- und Fabrikwaaren ganz aus England, durch Vermittlung türkischerWairde, unsere Kaufleute und Spediteure aber sind vor der Schmach bewahrt, an/Rebellen Geld zu verdienen, und besehen auch nicht einen böswilligen Kreuzer meW^. Außer dem national-ökonomischen Segen hat die Sperre auch eiuen publizistischen Vortheil zur Folge. Früher pflegten hin- und herreisende Kaufleute, wie im Orient, als lebendige Zeitungen zu dienen, und mau glaubte ihnen mehr als den gedruckten; jedenfalls brachten sie manche Kunde, die das richtige Verständniß der sibyllinischen k. k. Bulletins erleichterte. Dies hat jetzt aufgehört, die gutgesinnten Journale haben diese ge¬ fährliche Concurrenz nicht mehr zu fürchten, und es gelingt ihnen daher, die Magyaren täglich zwei, dreimal auf's Haupt zu schlagen. Bem und Pertzel sind etwa zehnmal vernichtet worden, währeud Kossuth und Görgey bereits zwanzigmal sich „übergeben" (wie man hier sagt) und selber gebunden ausgeliefert haben. Eine mäßige Berechnung der Wunden, welche Bem von hiesigen Stahlfedern bei¬ gebracht wurden, ergibt, daß vou ihm höchstens noch das linke Ohrläppchen und ein Schatten der großen Zehe des rechten Fußes übrig sein können, aber mit Hilfe dieser zwei Gliedmaßen manövrirt der polnische Satanas in Siebenbürgen und im Banat dermaßen, daß dem armen alten Puchner und dem Russen Lüders der Schweiß von der Stirne rinnt. Klimpern gehört zum Handwerk, und da man in modernen Bürgerkriegen fast noch mehr Dinte als Blut vergießt, so läßt sich wohl annehmen, daß drüben wie hüben Einiges gelogen wird. Die Methode ist jedoch sehr verschieden. Nach dem zu urtheilen, was mir von ungarischen Zeitungen zu Gesichte kam, muß ich den Kaiserlichen die Palme zuerkennen. Großes leisten die deutschgeschriebenen Blätter in Pesth, deren Autoren, ausgediente Theaterrcferenten der fenster und feigsten Sorte, jetzt als.charaktervolle Publizisten an der schwarzgelben Fahne gutzumachen streben, was sie im letzten Winter an der magyarischen Tricolore versündigt haben; denn als Windischgrätz in Pesth residirte, arbeiteten dieselben Tacitusse mit derselben Feder gegen Debreczin, die sie jetzt gegen Wien aus¬ spritzen. Dagegen trägt alles Schriftwerk, was von Bem und DembinSki ausgeht, das Gepräge chevaleresken Anstandes und großer Einfachheit. Die Aufrufe, Schilderungen und Verordnungen ans eigentlich ungarischer Quelle klingen oft von dem hyperbolischer Pathos wieder, das diesem schwer- und heißblutigen, 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/123>, abgerufen am 05.02.2025.