Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und daß die Gondelstadt nie einen Reitsattel oder Wagen sah, kann seine gute
Gesinnung freilich nicht anfechten.

Auf eine pfiffige Taktik der gutgesinnten Blätter gegen Ungarn muß ich Sie
aufmerksam machen. Jeden Morgen und Abend wird eine Kartätschenladung haar¬
sträubender Berichte von unnützen Gräuelthaten und unausführbaren Verräthercieu
der Magyaren losgcfeuert. Nach einigen Tagen, wenn die mit Pomp auspo¬
saunte grausige "Morithat" die Runde durch alle Provinzialblätter gemacht und
den Weg bis nach Augsburg, Berlin und Frankfurt gefunden hat, pflegt sie ohne
Aufsehen, in irgend einem kleinlauten Winkel des loyalen Blattes mit kleiner
Schrift widerrufen zu werden. Zuweilen widerlegt sich das abenteuerliche Mon¬
strum von selbst dnrch einen Nachbarartikel aus der Nebenspalte. Neuerdings ist
die ganze detaillirte Geschichte von der Pesthcr Contrerevolution gegen Kossiith
für eine leere, aber wohlgemeinte Voraussetzung erklärt worden, und als das Ge¬
rücht, Görgey sei übergegangen, durch den Kanonendonner bei Anz schlagend wi¬
derlegt wurde, erklärte die Preßburger Zeitung, Görgey habe wohl die Absicht
gehabt, überzugehen, allein es fehle ihm an Muth dazu. -- Vor Raab und
Anz stellten unsere Rnhmesherolde den jungen Kaiser, auf ihre eigene Verantwor¬
tung, in deu dichtesten Kugelregen, Görgey aber ließen sie unter dem Schutz der
Kanonen der Festung (Komorn) verweilen. Anz liegt ans dem rechten Ufer, Ko-
morn auf der Schüttiuselspitze, und die Donau ist dort ziemlich breit. Die mi¬
kroskopischen Augen des Bulletins ernannten jedoch, trotz der ungeheuern Entfer¬
nung, den Görgey an seinem rothen Attila, und am nächste" Tage meldete ein
nachträglicher Bericht, daß Görgey in derselben Affaire, wo er sich so weit vom
Schuß hielt, verwundet wurde. Kossutl), heißt es anderswo, sucht dem Volk die
russische Intervention als ein Ammenmärchen, einen blinden Schreckschuß u. s. w.
darzustellen. Aber in demselben Blatt findet sich ein magyarischer Aufruf, der an
den Straßen Pesth's kleben soll, worin das Vaterland in Gefahr erklärt und die
Nation aufgerufen wird, huudcrttausendarmig drciuzuschlagen, gegen die russische
Schergenarmee. So geht's mit Grazie i" inlinitnm.

Vollends jedoch "erbricht sich das Laster," sobald Fama den unbedeutendsten
Vortheil über die Magyaren Hieltet. Sogleich besteigt die servile Tugend das
alte Steckenpferd und schimpft über die "Feigheit" der Rebellen. Wie ritter¬
lich, wie würdig und wie klug? Denn je größer die Feigheit der Insurgenten,
desto höher wächst der Lorbeerwald des vereinigten russisch-östreichischen Heeres.
Geben Sie Acht! Es ist möglich, daß die Trauben reisen und faulen und daß
der Schnee auf dem breiten Scheitel des Nabeubergs flimmert, ohne daß wir das
letzte Bulletin von Paokicvich oder Haynan gelesen haben und doch wird an der
Langwierigkeit des Krieges Niemand Schuld gewesen sein als eben die erbärmliche
Feigheit der Magyaren!! --




und daß die Gondelstadt nie einen Reitsattel oder Wagen sah, kann seine gute
Gesinnung freilich nicht anfechten.

Auf eine pfiffige Taktik der gutgesinnten Blätter gegen Ungarn muß ich Sie
aufmerksam machen. Jeden Morgen und Abend wird eine Kartätschenladung haar¬
sträubender Berichte von unnützen Gräuelthaten und unausführbaren Verräthercieu
der Magyaren losgcfeuert. Nach einigen Tagen, wenn die mit Pomp auspo¬
saunte grausige „Morithat" die Runde durch alle Provinzialblätter gemacht und
den Weg bis nach Augsburg, Berlin und Frankfurt gefunden hat, pflegt sie ohne
Aufsehen, in irgend einem kleinlauten Winkel des loyalen Blattes mit kleiner
Schrift widerrufen zu werden. Zuweilen widerlegt sich das abenteuerliche Mon¬
strum von selbst dnrch einen Nachbarartikel aus der Nebenspalte. Neuerdings ist
die ganze detaillirte Geschichte von der Pesthcr Contrerevolution gegen Kossiith
für eine leere, aber wohlgemeinte Voraussetzung erklärt worden, und als das Ge¬
rücht, Görgey sei übergegangen, durch den Kanonendonner bei Anz schlagend wi¬
derlegt wurde, erklärte die Preßburger Zeitung, Görgey habe wohl die Absicht
gehabt, überzugehen, allein es fehle ihm an Muth dazu. — Vor Raab und
Anz stellten unsere Rnhmesherolde den jungen Kaiser, auf ihre eigene Verantwor¬
tung, in deu dichtesten Kugelregen, Görgey aber ließen sie unter dem Schutz der
Kanonen der Festung (Komorn) verweilen. Anz liegt ans dem rechten Ufer, Ko-
morn auf der Schüttiuselspitze, und die Donau ist dort ziemlich breit. Die mi¬
kroskopischen Augen des Bulletins ernannten jedoch, trotz der ungeheuern Entfer¬
nung, den Görgey an seinem rothen Attila, und am nächste» Tage meldete ein
nachträglicher Bericht, daß Görgey in derselben Affaire, wo er sich so weit vom
Schuß hielt, verwundet wurde. Kossutl), heißt es anderswo, sucht dem Volk die
russische Intervention als ein Ammenmärchen, einen blinden Schreckschuß u. s. w.
darzustellen. Aber in demselben Blatt findet sich ein magyarischer Aufruf, der an
den Straßen Pesth's kleben soll, worin das Vaterland in Gefahr erklärt und die
Nation aufgerufen wird, huudcrttausendarmig drciuzuschlagen, gegen die russische
Schergenarmee. So geht's mit Grazie i» inlinitnm.

Vollends jedoch „erbricht sich das Laster," sobald Fama den unbedeutendsten
Vortheil über die Magyaren Hieltet. Sogleich besteigt die servile Tugend das
alte Steckenpferd und schimpft über die „Feigheit" der Rebellen. Wie ritter¬
lich, wie würdig und wie klug? Denn je größer die Feigheit der Insurgenten,
desto höher wächst der Lorbeerwald des vereinigten russisch-östreichischen Heeres.
Geben Sie Acht! Es ist möglich, daß die Trauben reisen und faulen und daß
der Schnee auf dem breiten Scheitel des Nabeubergs flimmert, ohne daß wir das
letzte Bulletin von Paokicvich oder Haynan gelesen haben und doch wird an der
Langwierigkeit des Krieges Niemand Schuld gewesen sein als eben die erbärmliche
Feigheit der Magyaren!! —




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279151"/>
          <p xml:id="ID_387" prev="#ID_386"> und daß die Gondelstadt nie einen Reitsattel oder Wagen sah, kann seine gute<lb/>
Gesinnung freilich nicht anfechten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_388"> Auf eine pfiffige Taktik der gutgesinnten Blätter gegen Ungarn muß ich Sie<lb/>
aufmerksam machen. Jeden Morgen und Abend wird eine Kartätschenladung haar¬<lb/>
sträubender Berichte von unnützen Gräuelthaten und unausführbaren Verräthercieu<lb/>
der Magyaren losgcfeuert. Nach einigen Tagen, wenn die mit Pomp auspo¬<lb/>
saunte grausige &#x201E;Morithat" die Runde durch alle Provinzialblätter gemacht und<lb/>
den Weg bis nach Augsburg, Berlin und Frankfurt gefunden hat, pflegt sie ohne<lb/>
Aufsehen, in irgend einem kleinlauten Winkel des loyalen Blattes mit kleiner<lb/>
Schrift widerrufen zu werden. Zuweilen widerlegt sich das abenteuerliche Mon¬<lb/>
strum von selbst dnrch einen Nachbarartikel aus der Nebenspalte. Neuerdings ist<lb/>
die ganze detaillirte Geschichte von der Pesthcr Contrerevolution gegen Kossiith<lb/>
für eine leere, aber wohlgemeinte Voraussetzung erklärt worden, und als das Ge¬<lb/>
rücht, Görgey sei übergegangen, durch den Kanonendonner bei Anz schlagend wi¬<lb/>
derlegt wurde, erklärte die Preßburger Zeitung, Görgey habe wohl die Absicht<lb/>
gehabt, überzugehen, allein es fehle ihm an Muth dazu. &#x2014; Vor Raab und<lb/>
Anz stellten unsere Rnhmesherolde den jungen Kaiser, auf ihre eigene Verantwor¬<lb/>
tung, in deu dichtesten Kugelregen, Görgey aber ließen sie unter dem Schutz der<lb/>
Kanonen der Festung (Komorn) verweilen. Anz liegt ans dem rechten Ufer, Ko-<lb/>
morn auf der Schüttiuselspitze, und die Donau ist dort ziemlich breit. Die mi¬<lb/>
kroskopischen Augen des Bulletins ernannten jedoch, trotz der ungeheuern Entfer¬<lb/>
nung, den Görgey an seinem rothen Attila, und am nächste» Tage meldete ein<lb/>
nachträglicher Bericht, daß Görgey in derselben Affaire, wo er sich so weit vom<lb/>
Schuß hielt, verwundet wurde. Kossutl), heißt es anderswo, sucht dem Volk die<lb/>
russische Intervention als ein Ammenmärchen, einen blinden Schreckschuß u. s. w.<lb/>
darzustellen. Aber in demselben Blatt findet sich ein magyarischer Aufruf, der an<lb/>
den Straßen Pesth's kleben soll, worin das Vaterland in Gefahr erklärt und die<lb/>
Nation aufgerufen wird, huudcrttausendarmig drciuzuschlagen, gegen die russische<lb/>
Schergenarmee.  So geht's mit Grazie i» inlinitnm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_389"> Vollends jedoch &#x201E;erbricht sich das Laster," sobald Fama den unbedeutendsten<lb/>
Vortheil über die Magyaren Hieltet. Sogleich besteigt die servile Tugend das<lb/>
alte Steckenpferd und schimpft über die &#x201E;Feigheit" der Rebellen. Wie ritter¬<lb/>
lich, wie würdig und wie klug? Denn je größer die Feigheit der Insurgenten,<lb/>
desto höher wächst der Lorbeerwald des vereinigten russisch-östreichischen Heeres.<lb/>
Geben Sie Acht! Es ist möglich, daß die Trauben reisen und faulen und daß<lb/>
der Schnee auf dem breiten Scheitel des Nabeubergs flimmert, ohne daß wir das<lb/>
letzte Bulletin von Paokicvich oder Haynan gelesen haben und doch wird an der<lb/>
Langwierigkeit des Krieges Niemand Schuld gewesen sein als eben die erbärmliche<lb/>
Feigheit der Magyaren!! &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] und daß die Gondelstadt nie einen Reitsattel oder Wagen sah, kann seine gute Gesinnung freilich nicht anfechten. Auf eine pfiffige Taktik der gutgesinnten Blätter gegen Ungarn muß ich Sie aufmerksam machen. Jeden Morgen und Abend wird eine Kartätschenladung haar¬ sträubender Berichte von unnützen Gräuelthaten und unausführbaren Verräthercieu der Magyaren losgcfeuert. Nach einigen Tagen, wenn die mit Pomp auspo¬ saunte grausige „Morithat" die Runde durch alle Provinzialblätter gemacht und den Weg bis nach Augsburg, Berlin und Frankfurt gefunden hat, pflegt sie ohne Aufsehen, in irgend einem kleinlauten Winkel des loyalen Blattes mit kleiner Schrift widerrufen zu werden. Zuweilen widerlegt sich das abenteuerliche Mon¬ strum von selbst dnrch einen Nachbarartikel aus der Nebenspalte. Neuerdings ist die ganze detaillirte Geschichte von der Pesthcr Contrerevolution gegen Kossiith für eine leere, aber wohlgemeinte Voraussetzung erklärt worden, und als das Ge¬ rücht, Görgey sei übergegangen, durch den Kanonendonner bei Anz schlagend wi¬ derlegt wurde, erklärte die Preßburger Zeitung, Görgey habe wohl die Absicht gehabt, überzugehen, allein es fehle ihm an Muth dazu. — Vor Raab und Anz stellten unsere Rnhmesherolde den jungen Kaiser, auf ihre eigene Verantwor¬ tung, in deu dichtesten Kugelregen, Görgey aber ließen sie unter dem Schutz der Kanonen der Festung (Komorn) verweilen. Anz liegt ans dem rechten Ufer, Ko- morn auf der Schüttiuselspitze, und die Donau ist dort ziemlich breit. Die mi¬ kroskopischen Augen des Bulletins ernannten jedoch, trotz der ungeheuern Entfer¬ nung, den Görgey an seinem rothen Attila, und am nächste» Tage meldete ein nachträglicher Bericht, daß Görgey in derselben Affaire, wo er sich so weit vom Schuß hielt, verwundet wurde. Kossutl), heißt es anderswo, sucht dem Volk die russische Intervention als ein Ammenmärchen, einen blinden Schreckschuß u. s. w. darzustellen. Aber in demselben Blatt findet sich ein magyarischer Aufruf, der an den Straßen Pesth's kleben soll, worin das Vaterland in Gefahr erklärt und die Nation aufgerufen wird, huudcrttausendarmig drciuzuschlagen, gegen die russische Schergenarmee. So geht's mit Grazie i» inlinitnm. Vollends jedoch „erbricht sich das Laster," sobald Fama den unbedeutendsten Vortheil über die Magyaren Hieltet. Sogleich besteigt die servile Tugend das alte Steckenpferd und schimpft über die „Feigheit" der Rebellen. Wie ritter¬ lich, wie würdig und wie klug? Denn je größer die Feigheit der Insurgenten, desto höher wächst der Lorbeerwald des vereinigten russisch-östreichischen Heeres. Geben Sie Acht! Es ist möglich, daß die Trauben reisen und faulen und daß der Schnee auf dem breiten Scheitel des Nabeubergs flimmert, ohne daß wir das letzte Bulletin von Paokicvich oder Haynan gelesen haben und doch wird an der Langwierigkeit des Krieges Niemand Schuld gewesen sein als eben die erbärmliche Feigheit der Magyaren!! —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/125>, abgerufen am 05.02.2025.