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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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der Armee, so haben wir ziemlich alle Sphären des unmittelbaren politischen Ver¬
standes zusammen. , ,

Ein solcher Staatsrath ist keine Volksvertretung und soll sie auch nicht vorstellen;
darum kann er mit der Volksvertretung auch nicht gleiche Rechte haben. Wenn wir aber
sür jedes Gesetz, das in der zweiten Kammer berathen wird, nach der Analogie
Englands eine dreimalige Lesung bestimmen, und dem Staatsrath die Ausgabe
stellen, zweimal diese Entwürfe zu revidiren, nach Maßgabe der ihm geschäftlich
näher bekannten materiellen Vorlagen; wenn wir ferner die Verwaltungsmaßregeln,
die der ständischen Controle unterliegen, in beiden Häusern zur Berathung brin¬
gen, so ist eine ebenso segensreiche als neidlose Stellung des Staatsraths die un¬
mittelbare Folge; seine Gründe werden in den meisten Fällen entscheidend wirken,
und von einem Competenzconflict ist keine Rede.

Wie die Sachen jetzt stehn, läßt sich freilich voraussetzen, daß ein solcher Vor¬
schlag von beiden Parteien verworfen werden würde. Wir kehren zu der Realität
zurück.

Die Kammer besteht aus drei Hauptbestandtheilen; dem großen Grundbesitz,
dem Beamtenthum und der Bourgeoisie. Die specifisch sogenannte Intelligenz ist
wenig vertreten, eine Professorenversammlung, wie man die Paulskirche bezeichnet
hat, wird man diese Kammer nicht nennen können. Es sind fünf ganze oder halbe
Geistliche vorhanden, darunter der Couststorialrath Nitsch, dem eine eigne Cha¬
rakteristik bestimmt ist, und vier Professoren (Dahlmann zähle ich nicht mit,
weil sein Erscheinen überhaupt fraglich ist): Walter, Baumstark, Rosen¬
kranz und Stahl. Von den beiden ersten, welche der alten Constituante ange¬
hörten, haben Sie schon Portraits; Rosenkranz und Stahl, wohl die bedeutendsten
Redner der Versammlung, sind in ihrem parlamentarischen Leben noch jung. Ich
werde sie am besten schildern, wenn ich eine der Sitzungen herausgreife, in denen
der für diese Kammer wichtigste Gegenstand verhandelt wurde, die deutsche Frage.
In ihr sollte sich das nlle Preußen, als dessen Vertreter man sie anzusehn doch
einmal geneigt ist, über eine neue Phase der Geschichte aussprechen.

Das einzige wesentliche Amendement, welches zu dem Commissionsentwurf
gestellt war, rührte vom Major Vincke her, dem Bruder oder Vetter des be¬
rühmten Freiherrn. Es unterschied sich dadurch, daß es einerseits die Idee von
Deutschlands Einheit mit größerer Wärme auffaßte, und außerdem bestimmter
auf die nicht in der Thronrede, wohl aber in den preußischen Noten ausgespro¬
chene Ansicht von dem engern Bundesstaat unter Preußens Hegemonie einging.
Einen Tag vorher hatte der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Gras Arnim,
der Kammer die telegraphische Depesche über den Welcker'schen Antrag mitgetheilt,
und man war im ersten Eifer der Ansicht gewesen, die Berathung über diesen
Paragraphen der Adresse müsse ausgesetzt bleiben, bis man nähere Nachricht aus
Frankfurt erhalten. Man ging nunmehr davon ab, der Präsident der Kammer,


der Armee, so haben wir ziemlich alle Sphären des unmittelbaren politischen Ver¬
standes zusammen. , ,

Ein solcher Staatsrath ist keine Volksvertretung und soll sie auch nicht vorstellen;
darum kann er mit der Volksvertretung auch nicht gleiche Rechte haben. Wenn wir aber
sür jedes Gesetz, das in der zweiten Kammer berathen wird, nach der Analogie
Englands eine dreimalige Lesung bestimmen, und dem Staatsrath die Ausgabe
stellen, zweimal diese Entwürfe zu revidiren, nach Maßgabe der ihm geschäftlich
näher bekannten materiellen Vorlagen; wenn wir ferner die Verwaltungsmaßregeln,
die der ständischen Controle unterliegen, in beiden Häusern zur Berathung brin¬
gen, so ist eine ebenso segensreiche als neidlose Stellung des Staatsraths die un¬
mittelbare Folge; seine Gründe werden in den meisten Fällen entscheidend wirken,
und von einem Competenzconflict ist keine Rede.

Wie die Sachen jetzt stehn, läßt sich freilich voraussetzen, daß ein solcher Vor¬
schlag von beiden Parteien verworfen werden würde. Wir kehren zu der Realität
zurück.

Die Kammer besteht aus drei Hauptbestandtheilen; dem großen Grundbesitz,
dem Beamtenthum und der Bourgeoisie. Die specifisch sogenannte Intelligenz ist
wenig vertreten, eine Professorenversammlung, wie man die Paulskirche bezeichnet
hat, wird man diese Kammer nicht nennen können. Es sind fünf ganze oder halbe
Geistliche vorhanden, darunter der Couststorialrath Nitsch, dem eine eigne Cha¬
rakteristik bestimmt ist, und vier Professoren (Dahlmann zähle ich nicht mit,
weil sein Erscheinen überhaupt fraglich ist): Walter, Baumstark, Rosen¬
kranz und Stahl. Von den beiden ersten, welche der alten Constituante ange¬
hörten, haben Sie schon Portraits; Rosenkranz und Stahl, wohl die bedeutendsten
Redner der Versammlung, sind in ihrem parlamentarischen Leben noch jung. Ich
werde sie am besten schildern, wenn ich eine der Sitzungen herausgreife, in denen
der für diese Kammer wichtigste Gegenstand verhandelt wurde, die deutsche Frage.
In ihr sollte sich das nlle Preußen, als dessen Vertreter man sie anzusehn doch
einmal geneigt ist, über eine neue Phase der Geschichte aussprechen.

Das einzige wesentliche Amendement, welches zu dem Commissionsentwurf
gestellt war, rührte vom Major Vincke her, dem Bruder oder Vetter des be¬
rühmten Freiherrn. Es unterschied sich dadurch, daß es einerseits die Idee von
Deutschlands Einheit mit größerer Wärme auffaßte, und außerdem bestimmter
auf die nicht in der Thronrede, wohl aber in den preußischen Noten ausgespro¬
chene Ansicht von dem engern Bundesstaat unter Preußens Hegemonie einging.
Einen Tag vorher hatte der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Gras Arnim,
der Kammer die telegraphische Depesche über den Welcker'schen Antrag mitgetheilt,
und man war im ersten Eifer der Ansicht gewesen, die Berathung über diesen
Paragraphen der Adresse müsse ausgesetzt bleiben, bis man nähere Nachricht aus
Frankfurt erhalten. Man ging nunmehr davon ab, der Präsident der Kammer,


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[0008] der Armee, so haben wir ziemlich alle Sphären des unmittelbaren politischen Ver¬ standes zusammen. , , Ein solcher Staatsrath ist keine Volksvertretung und soll sie auch nicht vorstellen; darum kann er mit der Volksvertretung auch nicht gleiche Rechte haben. Wenn wir aber sür jedes Gesetz, das in der zweiten Kammer berathen wird, nach der Analogie Englands eine dreimalige Lesung bestimmen, und dem Staatsrath die Ausgabe stellen, zweimal diese Entwürfe zu revidiren, nach Maßgabe der ihm geschäftlich näher bekannten materiellen Vorlagen; wenn wir ferner die Verwaltungsmaßregeln, die der ständischen Controle unterliegen, in beiden Häusern zur Berathung brin¬ gen, so ist eine ebenso segensreiche als neidlose Stellung des Staatsraths die un¬ mittelbare Folge; seine Gründe werden in den meisten Fällen entscheidend wirken, und von einem Competenzconflict ist keine Rede. Wie die Sachen jetzt stehn, läßt sich freilich voraussetzen, daß ein solcher Vor¬ schlag von beiden Parteien verworfen werden würde. Wir kehren zu der Realität zurück. Die Kammer besteht aus drei Hauptbestandtheilen; dem großen Grundbesitz, dem Beamtenthum und der Bourgeoisie. Die specifisch sogenannte Intelligenz ist wenig vertreten, eine Professorenversammlung, wie man die Paulskirche bezeichnet hat, wird man diese Kammer nicht nennen können. Es sind fünf ganze oder halbe Geistliche vorhanden, darunter der Couststorialrath Nitsch, dem eine eigne Cha¬ rakteristik bestimmt ist, und vier Professoren (Dahlmann zähle ich nicht mit, weil sein Erscheinen überhaupt fraglich ist): Walter, Baumstark, Rosen¬ kranz und Stahl. Von den beiden ersten, welche der alten Constituante ange¬ hörten, haben Sie schon Portraits; Rosenkranz und Stahl, wohl die bedeutendsten Redner der Versammlung, sind in ihrem parlamentarischen Leben noch jung. Ich werde sie am besten schildern, wenn ich eine der Sitzungen herausgreife, in denen der für diese Kammer wichtigste Gegenstand verhandelt wurde, die deutsche Frage. In ihr sollte sich das nlle Preußen, als dessen Vertreter man sie anzusehn doch einmal geneigt ist, über eine neue Phase der Geschichte aussprechen. Das einzige wesentliche Amendement, welches zu dem Commissionsentwurf gestellt war, rührte vom Major Vincke her, dem Bruder oder Vetter des be¬ rühmten Freiherrn. Es unterschied sich dadurch, daß es einerseits die Idee von Deutschlands Einheit mit größerer Wärme auffaßte, und außerdem bestimmter auf die nicht in der Thronrede, wohl aber in den preußischen Noten ausgespro¬ chene Ansicht von dem engern Bundesstaat unter Preußens Hegemonie einging. Einen Tag vorher hatte der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Gras Arnim, der Kammer die telegraphische Depesche über den Welcker'schen Antrag mitgetheilt, und man war im ersten Eifer der Ansicht gewesen, die Berathung über diesen Paragraphen der Adresse müsse ausgesetzt bleiben, bis man nähere Nachricht aus Frankfurt erhalten. Man ging nunmehr davon ab, der Präsident der Kammer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/8>, abgerufen am 15.01.2025.