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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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gleicht -- die drei oder vier Männer ausgenommen, die staatsmännische Bildung
hatten, nicht weil, sondern obgleich.

Dem Entwurf der Constituante unter dem Ministerium Auerswald schwebte
das Föderativsystem vor. Die erste Kammer sollte aus den Vertretern der Pro¬
vinzen und Bezirke bestelln. Es war das eigentlich ein bloßes Anshilfmittel,
weil man keine andere Modalität des Zweikammersystems fand, und das Zwei¬
kammersystem einmal wollte, um der möglichen Leidenschaftlichkeit einer einzigen
souveränen Kammer Schranken zu setzen. Daß aber alle wesentlichen Bedingungen
einer föderativem Verfassung, namentlich die politische Selbstständigkeit der ein¬
zelnen Bezirke, fehlten, darf ich wohl kaum in Erinnerung bringen.

Die Nothwendigkeit, übereilten Entschließungen einen Damm zu setzen, und
der Krone diese sehr mißliche Verpflichtung so viel als irgend möglich zu ersparen,
unterliegt keinem Zweifel. Aber wenn in der ersten Kammer das Gefühl eine
eben so große Rolle spielt, als in der zweiten, wenn man sich hier in eben der
Sphäre unmittelbarer Stimmungen, Wünsche und Vorstellungen bewegt, so haben
wir nichts weiter, als ein Spiel entgegengesetzter Kräfte der nämlichen Gattung,
und von einer Bürgschaft, daß in zweiter Instanz das Urtheil politisch correcter
ausfallen werde, ist keine Rede. Weder das höhere Alter, noch der größere
Reichthum geben eine solche Garantie. Man vergleiche unbefangen die Sitzungen
beider Kammern, und frage sich, in welcher über die verwickelten Fragen des
Rechts- und Staatsleben vorurtheilsfreier und gründlicher verhandelt wird. In
der einen läßt mau seinen Sympathien freien Zug wie in der andern, nur nach
verschiedenen Seiten hin; es fehlt überall die technische Sicherheit, wenn ich diesen
Ausdruck gebrauchen darf. Diese Sicherheit gibt nur die Erfahrung aus bestimm¬
te" Lebenskreisen; ein noch so cingcschnltcr Bureaukrat, wenn er sich als Mensch,
als Volksvertreter oder dergleichen gerirt, wird eben solche Sprünge machen, als
der Student, der noch frisch und übermüthig ius Leben greift.

Wenn die erste Kaminer ihren Beruf erfüllen soll, so muß sie ein bestimmt
vorgezeichuetes Geschäft haben. Sie muß eine technische Commission zur Revision
der von der zweiten Kammer ausgehenden Gesetzentwürfe sein; ein Staatsrath,
um die historische Form beizubehalten. In dem Stadium der Geheimeräthe durfte
die Krone diese Commission nach eignem Ermessen zusammensetzen, in unserm neuen
öffentlichen Leben dagegen muß sie eine solidere Grundlage haben. Sie muß in
sich verewigen, was bestimmte politische Bildung in selbstständig abgeschloßnen
Kreisen erworben hat. Der ritterschaftliche und bäuerliche Grundbesitz hat sich in
seinen Creditinstitnten, der Kaufmannsstand in den Handelskammern zusammenge¬
schlossen; das bürgerliche Interesse ist in den Städteordnungen vertreten, die Ge¬
werbe werdeu folgen. Nehmen wir dazu die Domänen-Verwaltung, die Gerichte,
denen man ein sehr eigenthümliches Leben nicht absprechen wird, und den Stab


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gleicht — die drei oder vier Männer ausgenommen, die staatsmännische Bildung
hatten, nicht weil, sondern obgleich.

Dem Entwurf der Constituante unter dem Ministerium Auerswald schwebte
das Föderativsystem vor. Die erste Kammer sollte aus den Vertretern der Pro¬
vinzen und Bezirke bestelln. Es war das eigentlich ein bloßes Anshilfmittel,
weil man keine andere Modalität des Zweikammersystems fand, und das Zwei¬
kammersystem einmal wollte, um der möglichen Leidenschaftlichkeit einer einzigen
souveränen Kammer Schranken zu setzen. Daß aber alle wesentlichen Bedingungen
einer föderativem Verfassung, namentlich die politische Selbstständigkeit der ein¬
zelnen Bezirke, fehlten, darf ich wohl kaum in Erinnerung bringen.

Die Nothwendigkeit, übereilten Entschließungen einen Damm zu setzen, und
der Krone diese sehr mißliche Verpflichtung so viel als irgend möglich zu ersparen,
unterliegt keinem Zweifel. Aber wenn in der ersten Kammer das Gefühl eine
eben so große Rolle spielt, als in der zweiten, wenn man sich hier in eben der
Sphäre unmittelbarer Stimmungen, Wünsche und Vorstellungen bewegt, so haben
wir nichts weiter, als ein Spiel entgegengesetzter Kräfte der nämlichen Gattung,
und von einer Bürgschaft, daß in zweiter Instanz das Urtheil politisch correcter
ausfallen werde, ist keine Rede. Weder das höhere Alter, noch der größere
Reichthum geben eine solche Garantie. Man vergleiche unbefangen die Sitzungen
beider Kammern, und frage sich, in welcher über die verwickelten Fragen des
Rechts- und Staatsleben vorurtheilsfreier und gründlicher verhandelt wird. In
der einen läßt mau seinen Sympathien freien Zug wie in der andern, nur nach
verschiedenen Seiten hin; es fehlt überall die technische Sicherheit, wenn ich diesen
Ausdruck gebrauchen darf. Diese Sicherheit gibt nur die Erfahrung aus bestimm¬
te» Lebenskreisen; ein noch so cingcschnltcr Bureaukrat, wenn er sich als Mensch,
als Volksvertreter oder dergleichen gerirt, wird eben solche Sprünge machen, als
der Student, der noch frisch und übermüthig ius Leben greift.

Wenn die erste Kaminer ihren Beruf erfüllen soll, so muß sie ein bestimmt
vorgezeichuetes Geschäft haben. Sie muß eine technische Commission zur Revision
der von der zweiten Kammer ausgehenden Gesetzentwürfe sein; ein Staatsrath,
um die historische Form beizubehalten. In dem Stadium der Geheimeräthe durfte
die Krone diese Commission nach eignem Ermessen zusammensetzen, in unserm neuen
öffentlichen Leben dagegen muß sie eine solidere Grundlage haben. Sie muß in
sich verewigen, was bestimmte politische Bildung in selbstständig abgeschloßnen
Kreisen erworben hat. Der ritterschaftliche und bäuerliche Grundbesitz hat sich in
seinen Creditinstitnten, der Kaufmannsstand in den Handelskammern zusammenge¬
schlossen; das bürgerliche Interesse ist in den Städteordnungen vertreten, die Ge¬
werbe werdeu folgen. Nehmen wir dazu die Domänen-Verwaltung, die Gerichte,
denen man ein sehr eigenthümliches Leben nicht absprechen wird, und den Stab


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/7>, abgerufen am 15.01.2025.