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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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nünftige System gekommen ist, und da übrigens unsere ganze constitutionelle Ent¬
wickelung noch im Werden ist, so ist ein verständiges Wort darüber nicht verloren,
auch wenn es eine Wiederholung enthält.

Ich erlaube mir, eine Bemerkung vorauszuschicken. In England, wenn die
beiden Häuser in einer Lebensfrage verschiedner Ansicht sind, und man sich durch
Auflösung und Neuwahl der zweiten überzeugt hat, daß sie wirklich die Stimme
des Volks vertritt, so gibt das Oberhaus entweder freiwillig nach, oder mau
zwingt es dazu, indem die Negierung droht, erforderlichen Falls so viel neue
Pairs zu creiren, daß die Ansicht des Unterhauses durchgeht. Bei uns dagegen
geht man von der Fiction zweier Volkskammern aus, auf deren Zusammensetzung
der Negierung kein Einfluß zustehu soll. Gesetzt nun, in einer Lebensfrage --
also z. B. in Beziehung auf das Steuersystem -- differiren beide Häuser; man
löst sie einmal auf, zweimal, dreimal; die Differenz bleibt -- ein Fall, dessen
Möglichkeit doch Jeder zugeben wird, namentlich so lauge die erste Kammer zum
großen Theil aus dem höhern Grundbesitz, der Bureaukratie und dem reichen
Vürgerstand zusammengesetzt ist -- so frage ich, was soll nun geschehn? Gesetzt,
die Krone überträgt der bisherigen Opposition die Verwaltung, Hansemann, Nod-
bcrtus oder Waldeck -- sie kann ja nichts durchsetzen, so lauge das Oberhaus
in seinem Widerstand beharrt. Es ist freilich möglich, daß änßere Gründe es zum
Nachgeben treiben, aber von einer im Gesetz vorgesehenen Ausgleichung ist keine
Rede. Und wenn wir nun den neuen Staat gründen, dessen einheitliche Entwicke¬
lung voraussichtlich auf Illusionen beruht?

Das Zweikammersystem hat seinen natürlichen Ursprung entweder in dem
Bestehen einer mächtigen und selbstständigen Aristokratie, oder in der föderativem
Einrichtung des Staats. Das erste ist der Fall in England, das zweite in Ame¬
rika. In der Herrencurie des vereinigten Landtags hat die Krone das erstere
System zu verfolgen gesucht; sie uneben die mediatistrten Fürsten und die Standes¬
herren in dieselbe auf, vielleicht mit der leisen Hoffnung, für künftige Mediatist-
rnngen einen angemessenen Ersatz in der edlen Körperschaft der preußischen Ari¬
stokratie zu bieten. Der Versuch scheiterte aus zwei Gründen. Einmal ist der
Geist des preußischen Volkes, so wie seine geschichtliche Entwickelung entschieden
demokratisch; er erträgt wohl sociale Vorzüge, aber keine Exclusivität. Sodann
hatte unser hohe Adel keine politische Berechtigung. Er hatte bis dahin, dem
preußischen Staatsleben fern gestanden; er war kosmopolitisch, deutsch oder was
man will, aber, er gehörte nicht organisch zum wirklichen Staat. Der englische
Lord ist mit tausend Fasern in die Realität des Staatslebens verwachse"; seine
Reisen ins Ausland sind nur Episoden. Mit seiner Betheiligung am Staats¬
leben erlangt er auch die höhere politische Bildung, von der bei unserer Aristokratie
keine Rede war. Einen wie kläglichen Eindruck machten damals die Verhandlungen
des improvisirten Oberhauses, wenn man sie mit denen der Dreiständccurie ver-


nünftige System gekommen ist, und da übrigens unsere ganze constitutionelle Ent¬
wickelung noch im Werden ist, so ist ein verständiges Wort darüber nicht verloren,
auch wenn es eine Wiederholung enthält.

Ich erlaube mir, eine Bemerkung vorauszuschicken. In England, wenn die
beiden Häuser in einer Lebensfrage verschiedner Ansicht sind, und man sich durch
Auflösung und Neuwahl der zweiten überzeugt hat, daß sie wirklich die Stimme
des Volks vertritt, so gibt das Oberhaus entweder freiwillig nach, oder mau
zwingt es dazu, indem die Negierung droht, erforderlichen Falls so viel neue
Pairs zu creiren, daß die Ansicht des Unterhauses durchgeht. Bei uns dagegen
geht man von der Fiction zweier Volkskammern aus, auf deren Zusammensetzung
der Negierung kein Einfluß zustehu soll. Gesetzt nun, in einer Lebensfrage —
also z. B. in Beziehung auf das Steuersystem — differiren beide Häuser; man
löst sie einmal auf, zweimal, dreimal; die Differenz bleibt — ein Fall, dessen
Möglichkeit doch Jeder zugeben wird, namentlich so lauge die erste Kammer zum
großen Theil aus dem höhern Grundbesitz, der Bureaukratie und dem reichen
Vürgerstand zusammengesetzt ist — so frage ich, was soll nun geschehn? Gesetzt,
die Krone überträgt der bisherigen Opposition die Verwaltung, Hansemann, Nod-
bcrtus oder Waldeck — sie kann ja nichts durchsetzen, so lauge das Oberhaus
in seinem Widerstand beharrt. Es ist freilich möglich, daß änßere Gründe es zum
Nachgeben treiben, aber von einer im Gesetz vorgesehenen Ausgleichung ist keine
Rede. Und wenn wir nun den neuen Staat gründen, dessen einheitliche Entwicke¬
lung voraussichtlich auf Illusionen beruht?

Das Zweikammersystem hat seinen natürlichen Ursprung entweder in dem
Bestehen einer mächtigen und selbstständigen Aristokratie, oder in der föderativem
Einrichtung des Staats. Das erste ist der Fall in England, das zweite in Ame¬
rika. In der Herrencurie des vereinigten Landtags hat die Krone das erstere
System zu verfolgen gesucht; sie uneben die mediatistrten Fürsten und die Standes¬
herren in dieselbe auf, vielleicht mit der leisen Hoffnung, für künftige Mediatist-
rnngen einen angemessenen Ersatz in der edlen Körperschaft der preußischen Ari¬
stokratie zu bieten. Der Versuch scheiterte aus zwei Gründen. Einmal ist der
Geist des preußischen Volkes, so wie seine geschichtliche Entwickelung entschieden
demokratisch; er erträgt wohl sociale Vorzüge, aber keine Exclusivität. Sodann
hatte unser hohe Adel keine politische Berechtigung. Er hatte bis dahin, dem
preußischen Staatsleben fern gestanden; er war kosmopolitisch, deutsch oder was
man will, aber, er gehörte nicht organisch zum wirklichen Staat. Der englische
Lord ist mit tausend Fasern in die Realität des Staatslebens verwachse»; seine
Reisen ins Ausland sind nur Episoden. Mit seiner Betheiligung am Staats¬
leben erlangt er auch die höhere politische Bildung, von der bei unserer Aristokratie
keine Rede war. Einen wie kläglichen Eindruck machten damals die Verhandlungen
des improvisirten Oberhauses, wenn man sie mit denen der Dreiständccurie ver-


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[0006] nünftige System gekommen ist, und da übrigens unsere ganze constitutionelle Ent¬ wickelung noch im Werden ist, so ist ein verständiges Wort darüber nicht verloren, auch wenn es eine Wiederholung enthält. Ich erlaube mir, eine Bemerkung vorauszuschicken. In England, wenn die beiden Häuser in einer Lebensfrage verschiedner Ansicht sind, und man sich durch Auflösung und Neuwahl der zweiten überzeugt hat, daß sie wirklich die Stimme des Volks vertritt, so gibt das Oberhaus entweder freiwillig nach, oder mau zwingt es dazu, indem die Negierung droht, erforderlichen Falls so viel neue Pairs zu creiren, daß die Ansicht des Unterhauses durchgeht. Bei uns dagegen geht man von der Fiction zweier Volkskammern aus, auf deren Zusammensetzung der Negierung kein Einfluß zustehu soll. Gesetzt nun, in einer Lebensfrage — also z. B. in Beziehung auf das Steuersystem — differiren beide Häuser; man löst sie einmal auf, zweimal, dreimal; die Differenz bleibt — ein Fall, dessen Möglichkeit doch Jeder zugeben wird, namentlich so lauge die erste Kammer zum großen Theil aus dem höhern Grundbesitz, der Bureaukratie und dem reichen Vürgerstand zusammengesetzt ist — so frage ich, was soll nun geschehn? Gesetzt, die Krone überträgt der bisherigen Opposition die Verwaltung, Hansemann, Nod- bcrtus oder Waldeck — sie kann ja nichts durchsetzen, so lauge das Oberhaus in seinem Widerstand beharrt. Es ist freilich möglich, daß änßere Gründe es zum Nachgeben treiben, aber von einer im Gesetz vorgesehenen Ausgleichung ist keine Rede. Und wenn wir nun den neuen Staat gründen, dessen einheitliche Entwicke¬ lung voraussichtlich auf Illusionen beruht? Das Zweikammersystem hat seinen natürlichen Ursprung entweder in dem Bestehen einer mächtigen und selbstständigen Aristokratie, oder in der föderativem Einrichtung des Staats. Das erste ist der Fall in England, das zweite in Ame¬ rika. In der Herrencurie des vereinigten Landtags hat die Krone das erstere System zu verfolgen gesucht; sie uneben die mediatistrten Fürsten und die Standes¬ herren in dieselbe auf, vielleicht mit der leisen Hoffnung, für künftige Mediatist- rnngen einen angemessenen Ersatz in der edlen Körperschaft der preußischen Ari¬ stokratie zu bieten. Der Versuch scheiterte aus zwei Gründen. Einmal ist der Geist des preußischen Volkes, so wie seine geschichtliche Entwickelung entschieden demokratisch; er erträgt wohl sociale Vorzüge, aber keine Exclusivität. Sodann hatte unser hohe Adel keine politische Berechtigung. Er hatte bis dahin, dem preußischen Staatsleben fern gestanden; er war kosmopolitisch, deutsch oder was man will, aber, er gehörte nicht organisch zum wirklichen Staat. Der englische Lord ist mit tausend Fasern in die Realität des Staatslebens verwachse»; seine Reisen ins Ausland sind nur Episoden. Mit seiner Betheiligung am Staats¬ leben erlangt er auch die höhere politische Bildung, von der bei unserer Aristokratie keine Rede war. Einen wie kläglichen Eindruck machten damals die Verhandlungen des improvisirten Oberhauses, wenn man sie mit denen der Dreiständccurie ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/6>, abgerufen am 15.01.2025.