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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Es wiederholte sich, was wir überall in Deutschland seit der Märzerhebnng
des vorigen Jahres gesehen. Die demokratische Partei, in 7 verbundenen Ver¬
einen vertreten, nahm zuerst die Bewegung in die Hand, ertrotzte vom Senat die
Zusammenberufung einer ans Urwahlcu hervorgegangenen constituirenden Versamm¬
lung, nud bevölkerte diese zum größten Theile mit ihren Kandidaten, Der Senat,
statt sich an die Spitze der einmal nothwendigen Bewegung zu setzen, ließ sich von
ihr überflügeln und war nachmals unpolitisch genug, sich jede Concession abringen
zu lassen, verblendet genug, da Halbes zu gewähren, wo er am Ende das Ganze
nicht verweigern konnte. So verfuhr er z. B. in Betreff der Grundrechte, die er
erst dann wirklich publiciren ließ (als Placat), nachdem die demokratischen Vereine
den Druck und die Verbreitung derselben beschlossen. Es ist nicht zu leugnen,
daß die demokratische Partei, in diesem Augenblick durch 12 verbundene Vereine
repräsentirt, viel Gutes und das Gute schnell bewirkt hat, es läßt sich nicht leug¬
nen, daß sie manche talentvolle, redliche und vor allen Dingen gemäßigte Män¬
ner in ihren Reihen zählt; aber diese bilden nur zu sehr die Minderheit, Eitel¬
keit, Anmaßung und Selbstsucht spielen bei den Meisten, namentlich bei Vielen,
die in die Constituante gewählt wurden, die Hauptrolle und sittlicher Ernst, Würde
und Fähigkeit, die persönliche Ansicht dem Allgemeinen unterzuordnen', sind Tu¬
genden, die zu oft bei ihnen vermißt werden. Daher diese persönliche, unehr¬
liche, der würdevollen Haltung gänzlich entbehrende Art des parlamentarischen
Kampfes, diese hohlen Tiraden und leeren Phrase", die weniger der Sache, als
dem Beifallklatschen einer oft die Schranken des Anstandes überspringenden Gal¬
lerte gellen. Und doch -- diese Partei der entschiedenen Linken, im Gegensatz
zu anderen verwandten Erscheinungen, ist fern von Vertretung partikulärer In¬
teressen, sie ist wahrhaft deutsch. Das hat sie namentlich bei den Verhandlungen
über die deutschen Grundrechte bewiesen. Der Vcrfassuugsausschuß hatte nämlich
einen, bereits von der constituirenden Versammlung genehmigten Entwurf der
Grundrechte ausgearbeitet. Ju demselben waren diejenigen Paragraphen der Grund¬
rechte zusammengestellt, welche einen allgemeinen Charakter haben, als: Unver¬
letzlichkeit der persönlichen Freiheit, Glaubens,-Gewissens-,Preßfreiheit, Vereins-
nnd Vcrsammlnngsrecht n. s. w.; diese sollen in ihrer Zusammenstellung einen
eigenen Abschnitt in der künftigen Verfassung bilden. Daneben sind speciellere
Bestimmungen der deutschen Grundrechte, z. B. die des Art. 9 über die richter¬
liche Gewalt, das Gerichtsverfahren u. s. w. besonderen Titeln der künftigen Ver-
fassung vorbehalte", während andere, z. B. über Aufhebung der Frobnden, inso¬
fern für diese der wirkliche Boden bestehender Verhältnisse fehlt, ausgeschieden sind.

Um bei dieser Art der Redaction -- deren Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßig-
keit dahingestellt sei -...... jedem Misivctsiändnisse vorzubeugen, als ob die deutschen
Grundrechte in ihrer Tctalität keine unbedingte Giltigl'eit für Hamburg haben
sollten, ist ein an die Spitze der Verfassung zu stellender Artikel vorgeschlagen


Es wiederholte sich, was wir überall in Deutschland seit der Märzerhebnng
des vorigen Jahres gesehen. Die demokratische Partei, in 7 verbundenen Ver¬
einen vertreten, nahm zuerst die Bewegung in die Hand, ertrotzte vom Senat die
Zusammenberufung einer ans Urwahlcu hervorgegangenen constituirenden Versamm¬
lung, nud bevölkerte diese zum größten Theile mit ihren Kandidaten, Der Senat,
statt sich an die Spitze der einmal nothwendigen Bewegung zu setzen, ließ sich von
ihr überflügeln und war nachmals unpolitisch genug, sich jede Concession abringen
zu lassen, verblendet genug, da Halbes zu gewähren, wo er am Ende das Ganze
nicht verweigern konnte. So verfuhr er z. B. in Betreff der Grundrechte, die er
erst dann wirklich publiciren ließ (als Placat), nachdem die demokratischen Vereine
den Druck und die Verbreitung derselben beschlossen. Es ist nicht zu leugnen,
daß die demokratische Partei, in diesem Augenblick durch 12 verbundene Vereine
repräsentirt, viel Gutes und das Gute schnell bewirkt hat, es läßt sich nicht leug¬
nen, daß sie manche talentvolle, redliche und vor allen Dingen gemäßigte Män¬
ner in ihren Reihen zählt; aber diese bilden nur zu sehr die Minderheit, Eitel¬
keit, Anmaßung und Selbstsucht spielen bei den Meisten, namentlich bei Vielen,
die in die Constituante gewählt wurden, die Hauptrolle und sittlicher Ernst, Würde
und Fähigkeit, die persönliche Ansicht dem Allgemeinen unterzuordnen', sind Tu¬
genden, die zu oft bei ihnen vermißt werden. Daher diese persönliche, unehr¬
liche, der würdevollen Haltung gänzlich entbehrende Art des parlamentarischen
Kampfes, diese hohlen Tiraden und leeren Phrase», die weniger der Sache, als
dem Beifallklatschen einer oft die Schranken des Anstandes überspringenden Gal¬
lerte gellen. Und doch — diese Partei der entschiedenen Linken, im Gegensatz
zu anderen verwandten Erscheinungen, ist fern von Vertretung partikulärer In¬
teressen, sie ist wahrhaft deutsch. Das hat sie namentlich bei den Verhandlungen
über die deutschen Grundrechte bewiesen. Der Vcrfassuugsausschuß hatte nämlich
einen, bereits von der constituirenden Versammlung genehmigten Entwurf der
Grundrechte ausgearbeitet. Ju demselben waren diejenigen Paragraphen der Grund¬
rechte zusammengestellt, welche einen allgemeinen Charakter haben, als: Unver¬
letzlichkeit der persönlichen Freiheit, Glaubens,-Gewissens-,Preßfreiheit, Vereins-
nnd Vcrsammlnngsrecht n. s. w.; diese sollen in ihrer Zusammenstellung einen
eigenen Abschnitt in der künftigen Verfassung bilden. Daneben sind speciellere
Bestimmungen der deutschen Grundrechte, z. B. die des Art. 9 über die richter¬
liche Gewalt, das Gerichtsverfahren u. s. w. besonderen Titeln der künftigen Ver-
fassung vorbehalte», während andere, z. B. über Aufhebung der Frobnden, inso¬
fern für diese der wirkliche Boden bestehender Verhältnisse fehlt, ausgeschieden sind.

Um bei dieser Art der Redaction — deren Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßig-
keit dahingestellt sei -...... jedem Misivctsiändnisse vorzubeugen, als ob die deutschen
Grundrechte in ihrer Tctalität keine unbedingte Giltigl'eit für Hamburg haben
sollten, ist ein an die Spitze der Verfassung zu stellender Artikel vorgeschlagen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/66>, abgerufen am 15.01.2025.