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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Bilder ans Hamburg.



Auch Hamburg bat seine drei Tage gehabt wie Paris, wie Brüssel, und
lange bevor in den Märztagen zu Wien und Berlin Geschützesdvnner krachte, pras¬
selte und krachte es in den Straßen der stolzen Hansestadt bei Trommelwirbel und
Hornsignalen. Zwar keine Barrikadenschlachtcn waren es, von denen die Erde
erdröhnte und der Himmel sich röthete, aber es war ein eben so entsetzlicher Kampf,
ein furchtbarer Kampf der Elemente; es waren züngelnde Flammen, prasselnd
stürzende Balken, krachende Minen, um Häuser zu sprengen. Mit den zusammen-
brechenden Häuser" und Tempeln brach auch damals die alte Zeit zusammen und
stieg als ein neuer Phönix aus der Lohe empor. Dieselben Hamburger, die noch
kurz zuvor so gute Leute waren und so gut aßen und tranken, deren Theolo¬
gen zwar wohl über Bedeutung des Abendmahles stritten, über die Bedeutung
des Mittagsmahles aber ganz einig waren -- diese Hamburger wie sie einst Heine
geschildert, fingen mit einem Mal an, auch über Politik zu sprechen, verlangten
mit einem Male eine Einsicht in das Getriebe ihrer verrosteten Staatsmaschine
und forderten Rechenschaft von der Verwendung der ungeheuren Summen, welche
der heißhungrige Magen der Verwaltungsbehörden so lange und mit so erstaunli¬
chem Appetite verschlungen hatte. Hamburg wollte nicht mehr das zweifelhafte
Lob in Anspruch nehmen, die Vaterstadt des Rauchfleisches zu sein, der Hambur¬
ger begriff, daß es noch etwas höheres gebe, als "die Hände in beide Hosen¬
taschen zu stecken, wie Einer, der eben fragen will: Was habe ich zu bezahlen?"
wollte auch einmal eine Frage frei haben, nicht an das Schicksal, aber an
^n hochweisen Rath, er wollte -- es war ein Abmachen -- bei dem Neubau
seiner Straßen und Häuser auch seine Verfassung ein wenig um- und ausbauen,
ganz allmälig, langsam nach guter deutscher Art. 'Der Hamburger ist ein Prakti¬
ker Mann, aber sein politisches Bauunternehmen sing er unbeholfen an; es
ging ihm nicht recht von der Hand, mit der er bisher Geld zu zählen und ein-
ZUsäckeln gelernt. Die kindliche Ehrfurcht nud der fromme Glaube an die Unfehl¬
barkeit der Perrückentöpfe war noch zu tief bei ihm gewurzelt, und wenn ihm
^ehe die Franzoseu nachmals gezeigt hätten, wie man kurzen Prozeß macht, wenn
^ zu lange Zeit dauert, ".jm-is iwllus lvxum^no aei-i^in-et-t svlvoio," -- so
hatte noch ein Menschenalter mit dem Neformiren hingehen können. Allmälig ge¬
schah es aber dem Hamburger, wie es dem Menschen überhaupt gar leicht zu ge¬
schehen pflegt, er gerieth von einem Extrem in das andere, und dem Schnecken-
^"ge folgte Ueberstürzen; doch fängt der gesunde Sinn der Bevölkerung nachge¬
be an, den Strom der Bewegung in das ruhige Bett der wahrhaft vernünfti¬
gen rechten Mitte hinüberzuleiten.


Bilder ans Hamburg.



Auch Hamburg bat seine drei Tage gehabt wie Paris, wie Brüssel, und
lange bevor in den Märztagen zu Wien und Berlin Geschützesdvnner krachte, pras¬
selte und krachte es in den Straßen der stolzen Hansestadt bei Trommelwirbel und
Hornsignalen. Zwar keine Barrikadenschlachtcn waren es, von denen die Erde
erdröhnte und der Himmel sich röthete, aber es war ein eben so entsetzlicher Kampf,
ein furchtbarer Kampf der Elemente; es waren züngelnde Flammen, prasselnd
stürzende Balken, krachende Minen, um Häuser zu sprengen. Mit den zusammen-
brechenden Häuser» und Tempeln brach auch damals die alte Zeit zusammen und
stieg als ein neuer Phönix aus der Lohe empor. Dieselben Hamburger, die noch
kurz zuvor so gute Leute waren und so gut aßen und tranken, deren Theolo¬
gen zwar wohl über Bedeutung des Abendmahles stritten, über die Bedeutung
des Mittagsmahles aber ganz einig waren — diese Hamburger wie sie einst Heine
geschildert, fingen mit einem Mal an, auch über Politik zu sprechen, verlangten
mit einem Male eine Einsicht in das Getriebe ihrer verrosteten Staatsmaschine
und forderten Rechenschaft von der Verwendung der ungeheuren Summen, welche
der heißhungrige Magen der Verwaltungsbehörden so lange und mit so erstaunli¬
chem Appetite verschlungen hatte. Hamburg wollte nicht mehr das zweifelhafte
Lob in Anspruch nehmen, die Vaterstadt des Rauchfleisches zu sein, der Hambur¬
ger begriff, daß es noch etwas höheres gebe, als „die Hände in beide Hosen¬
taschen zu stecken, wie Einer, der eben fragen will: Was habe ich zu bezahlen?"
wollte auch einmal eine Frage frei haben, nicht an das Schicksal, aber an
^n hochweisen Rath, er wollte — es war ein Abmachen — bei dem Neubau
seiner Straßen und Häuser auch seine Verfassung ein wenig um- und ausbauen,
ganz allmälig, langsam nach guter deutscher Art. 'Der Hamburger ist ein Prakti¬
ker Mann, aber sein politisches Bauunternehmen sing er unbeholfen an; es
ging ihm nicht recht von der Hand, mit der er bisher Geld zu zählen und ein-
ZUsäckeln gelernt. Die kindliche Ehrfurcht nud der fromme Glaube an die Unfehl¬
barkeit der Perrückentöpfe war noch zu tief bei ihm gewurzelt, und wenn ihm
^ehe die Franzoseu nachmals gezeigt hätten, wie man kurzen Prozeß macht, wenn
^ zu lange Zeit dauert, „.jm-is iwllus lvxum^no aei-i^in-et-t svlvoio," — so
hatte noch ein Menschenalter mit dem Neformiren hingehen können. Allmälig ge¬
schah es aber dem Hamburger, wie es dem Menschen überhaupt gar leicht zu ge¬
schehen pflegt, er gerieth von einem Extrem in das andere, und dem Schnecken-
^"ge folgte Ueberstürzen; doch fängt der gesunde Sinn der Bevölkerung nachge¬
be an, den Strom der Bewegung in das ruhige Bett der wahrhaft vernünfti¬
gen rechten Mitte hinüberzuleiten.


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[0065] Bilder ans Hamburg. Auch Hamburg bat seine drei Tage gehabt wie Paris, wie Brüssel, und lange bevor in den Märztagen zu Wien und Berlin Geschützesdvnner krachte, pras¬ selte und krachte es in den Straßen der stolzen Hansestadt bei Trommelwirbel und Hornsignalen. Zwar keine Barrikadenschlachtcn waren es, von denen die Erde erdröhnte und der Himmel sich röthete, aber es war ein eben so entsetzlicher Kampf, ein furchtbarer Kampf der Elemente; es waren züngelnde Flammen, prasselnd stürzende Balken, krachende Minen, um Häuser zu sprengen. Mit den zusammen- brechenden Häuser» und Tempeln brach auch damals die alte Zeit zusammen und stieg als ein neuer Phönix aus der Lohe empor. Dieselben Hamburger, die noch kurz zuvor so gute Leute waren und so gut aßen und tranken, deren Theolo¬ gen zwar wohl über Bedeutung des Abendmahles stritten, über die Bedeutung des Mittagsmahles aber ganz einig waren — diese Hamburger wie sie einst Heine geschildert, fingen mit einem Mal an, auch über Politik zu sprechen, verlangten mit einem Male eine Einsicht in das Getriebe ihrer verrosteten Staatsmaschine und forderten Rechenschaft von der Verwendung der ungeheuren Summen, welche der heißhungrige Magen der Verwaltungsbehörden so lange und mit so erstaunli¬ chem Appetite verschlungen hatte. Hamburg wollte nicht mehr das zweifelhafte Lob in Anspruch nehmen, die Vaterstadt des Rauchfleisches zu sein, der Hambur¬ ger begriff, daß es noch etwas höheres gebe, als „die Hände in beide Hosen¬ taschen zu stecken, wie Einer, der eben fragen will: Was habe ich zu bezahlen?" wollte auch einmal eine Frage frei haben, nicht an das Schicksal, aber an ^n hochweisen Rath, er wollte — es war ein Abmachen — bei dem Neubau seiner Straßen und Häuser auch seine Verfassung ein wenig um- und ausbauen, ganz allmälig, langsam nach guter deutscher Art. 'Der Hamburger ist ein Prakti¬ ker Mann, aber sein politisches Bauunternehmen sing er unbeholfen an; es ging ihm nicht recht von der Hand, mit der er bisher Geld zu zählen und ein- ZUsäckeln gelernt. Die kindliche Ehrfurcht nud der fromme Glaube an die Unfehl¬ barkeit der Perrückentöpfe war noch zu tief bei ihm gewurzelt, und wenn ihm ^ehe die Franzoseu nachmals gezeigt hätten, wie man kurzen Prozeß macht, wenn ^ zu lange Zeit dauert, „.jm-is iwllus lvxum^no aei-i^in-et-t svlvoio," — so hatte noch ein Menschenalter mit dem Neformiren hingehen können. Allmälig ge¬ schah es aber dem Hamburger, wie es dem Menschen überhaupt gar leicht zu ge¬ schehen pflegt, er gerieth von einem Extrem in das andere, und dem Schnecken- ^"ge folgte Ueberstürzen; doch fängt der gesunde Sinn der Bevölkerung nachge¬ be an, den Strom der Bewegung in das ruhige Bett der wahrhaft vernünfti¬ gen rechten Mitte hinüberzuleiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/65>, abgerufen am 15.01.2025.