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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Preußische Briefe.



Fünfter Vries.
Die erste Kammer.

Das Gebäude, in welchem die erste Kammer ihre Sitzungen hält, ist das
Miniaturl'lib der zweiten. Der eigentliche Raum ist halb so groß, dem Zahlen-
verhältniß der beiden Kammern entsprechend, und so siud auch die Tribunen.
Dennoch stehen aus leicht begreiflichen Gründen die Einlaßkarten für die erste
Kammer bedeutend niedriger im Cours, bei welcher Gelegenheit ich indeß die
frivole Bemerkung nicht unterdrücken kann, daß hier die Tribunen reicher sind an
schönen Frauen. Was Gott mit der einen Hand nimmt, gibt er mit der andern
wieder. Die Kleinheit des Locals macht eine sehr elegante Einrichtung möglich:
das Licht sällt nämlich ganz von Oben durch eine Glasdecke hinein.

Die meisten Reden beginnen mit der Versicherung, man finde sich hier eben
so gut in einer Volkskammer, als an einem andern Orte. Hui s'exeus"?, 8'ilccnso.
Es glaubt keiner recht daran, und die Minister selbst, obgleich sie ziemlich alle
Mitglieder der Kammer sind, und obgleich es in ihrem Interesse liegt, auf dies
Institut das möglichste Gewicht zu legen, zeigen bei jeder Gelegenheit unwillkürlich,
daß ihnen die diesseitigen Verhandlungen weniger bedeutend sind.

Die erste Kammer ist keine Volkskammer, darüber ist gar kein Streit möglich.
Ich würde darauf nicht so viel geben, daß dnrch den Census die Zahl der Ur¬
Wähler ziemlich beschränkt ist; aber auch die Selbstständigkeit dieser Urwähler ist
eine prekäre, das hat sich bei den Nachwahlen gezeigt, wo man nach Belieben
diesen oder jenen Minister und hohen Staatsbeamten, der anderwärts kein Unter¬
kommen gefunden hatte, einschob. Die Kaminer kann ihrem Zweck, die conserva-
tive Sache zu stützen, nicht entsprechen, denn sie wird weder von der Meinung
getragen, noch hat sie Kraft und Bedeutung in sich selbst, trotz der vielen Nota¬
bilitäten, die in ihr sitzen: ihr Urtheil im Einzelnen wird man respectiren, aber
als Ganzes haben sie kein Schick. Es ist hier der Ort, einmal wieder einen
Blick auf das Zweikammersystem zu werfen. Wir haben es schon einige Male
gethan, da mau aber noch in keinem der deutschen Staaten auf das allem ver-


Grcnzbote". II. I"is. 1
Preußische Briefe.



Fünfter Vries.
Die erste Kammer.

Das Gebäude, in welchem die erste Kammer ihre Sitzungen hält, ist das
Miniaturl'lib der zweiten. Der eigentliche Raum ist halb so groß, dem Zahlen-
verhältniß der beiden Kammern entsprechend, und so siud auch die Tribunen.
Dennoch stehen aus leicht begreiflichen Gründen die Einlaßkarten für die erste
Kammer bedeutend niedriger im Cours, bei welcher Gelegenheit ich indeß die
frivole Bemerkung nicht unterdrücken kann, daß hier die Tribunen reicher sind an
schönen Frauen. Was Gott mit der einen Hand nimmt, gibt er mit der andern
wieder. Die Kleinheit des Locals macht eine sehr elegante Einrichtung möglich:
das Licht sällt nämlich ganz von Oben durch eine Glasdecke hinein.

Die meisten Reden beginnen mit der Versicherung, man finde sich hier eben
so gut in einer Volkskammer, als an einem andern Orte. Hui s'exeus«?, 8'ilccnso.
Es glaubt keiner recht daran, und die Minister selbst, obgleich sie ziemlich alle
Mitglieder der Kammer sind, und obgleich es in ihrem Interesse liegt, auf dies
Institut das möglichste Gewicht zu legen, zeigen bei jeder Gelegenheit unwillkürlich,
daß ihnen die diesseitigen Verhandlungen weniger bedeutend sind.

Die erste Kammer ist keine Volkskammer, darüber ist gar kein Streit möglich.
Ich würde darauf nicht so viel geben, daß dnrch den Census die Zahl der Ur¬
Wähler ziemlich beschränkt ist; aber auch die Selbstständigkeit dieser Urwähler ist
eine prekäre, das hat sich bei den Nachwahlen gezeigt, wo man nach Belieben
diesen oder jenen Minister und hohen Staatsbeamten, der anderwärts kein Unter¬
kommen gefunden hatte, einschob. Die Kaminer kann ihrem Zweck, die conserva-
tive Sache zu stützen, nicht entsprechen, denn sie wird weder von der Meinung
getragen, noch hat sie Kraft und Bedeutung in sich selbst, trotz der vielen Nota¬
bilitäten, die in ihr sitzen: ihr Urtheil im Einzelnen wird man respectiren, aber
als Ganzes haben sie kein Schick. Es ist hier der Ort, einmal wieder einen
Blick auf das Zweikammersystem zu werfen. Wir haben es schon einige Male
gethan, da mau aber noch in keinem der deutschen Staaten auf das allem ver-


Grcnzbote». II. I«is. 1
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[0005] Preußische Briefe. Fünfter Vries. Die erste Kammer. Das Gebäude, in welchem die erste Kammer ihre Sitzungen hält, ist das Miniaturl'lib der zweiten. Der eigentliche Raum ist halb so groß, dem Zahlen- verhältniß der beiden Kammern entsprechend, und so siud auch die Tribunen. Dennoch stehen aus leicht begreiflichen Gründen die Einlaßkarten für die erste Kammer bedeutend niedriger im Cours, bei welcher Gelegenheit ich indeß die frivole Bemerkung nicht unterdrücken kann, daß hier die Tribunen reicher sind an schönen Frauen. Was Gott mit der einen Hand nimmt, gibt er mit der andern wieder. Die Kleinheit des Locals macht eine sehr elegante Einrichtung möglich: das Licht sällt nämlich ganz von Oben durch eine Glasdecke hinein. Die meisten Reden beginnen mit der Versicherung, man finde sich hier eben so gut in einer Volkskammer, als an einem andern Orte. Hui s'exeus«?, 8'ilccnso. Es glaubt keiner recht daran, und die Minister selbst, obgleich sie ziemlich alle Mitglieder der Kammer sind, und obgleich es in ihrem Interesse liegt, auf dies Institut das möglichste Gewicht zu legen, zeigen bei jeder Gelegenheit unwillkürlich, daß ihnen die diesseitigen Verhandlungen weniger bedeutend sind. Die erste Kammer ist keine Volkskammer, darüber ist gar kein Streit möglich. Ich würde darauf nicht so viel geben, daß dnrch den Census die Zahl der Ur¬ Wähler ziemlich beschränkt ist; aber auch die Selbstständigkeit dieser Urwähler ist eine prekäre, das hat sich bei den Nachwahlen gezeigt, wo man nach Belieben diesen oder jenen Minister und hohen Staatsbeamten, der anderwärts kein Unter¬ kommen gefunden hatte, einschob. Die Kaminer kann ihrem Zweck, die conserva- tive Sache zu stützen, nicht entsprechen, denn sie wird weder von der Meinung getragen, noch hat sie Kraft und Bedeutung in sich selbst, trotz der vielen Nota¬ bilitäten, die in ihr sitzen: ihr Urtheil im Einzelnen wird man respectiren, aber als Ganzes haben sie kein Schick. Es ist hier der Ort, einmal wieder einen Blick auf das Zweikammersystem zu werfen. Wir haben es schon einige Male gethan, da mau aber noch in keinem der deutschen Staaten auf das allem ver- Grcnzbote». II. I«is. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/5>, abgerufen am 15.01.2025.