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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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revolutionären Staaten Mittclitaliens zu wälzen, so war nach ihrer Ansicht uoch
die Möglichkeit gewonnen, den Kaiserstaat aus seiner finanziellen Auflösung her¬
auszuheben. Auf die Ehre kam es ihnen nicht sehr an, wo es sich um das Leben
handelte. Diese Auffassung der Verhältnisse, welche man den unglücklichen Po¬
litikern -- gewiß nicht um sie zu erniedrigen -- unterstellen kann, ist an sich gtinz
richtig, weise aber ist sie doch selbst nicht, in Beziehung auf die Finanzen.
Allerdings ist die schleunige Pacification Ungarns für Oestreich eine Lebensfrage,
aber eine Unterwerfung durch russische Truppen machte den Kampf zu einem Ver-
tilgungskriege, sie muß eine Vernichtung der Capitalien, eine vollständige Läh¬
mung aller productiven Kräfte Ungarns und für die Zukunft eine tödtliche Feind¬
schaft der Magyaren zur Folge haben, welche nichts aus ihrer Geschichte zu ver¬
gessen pflegen. Die Krisis, welche dem Kaiserstaat droht, wird möglicherweise
noch auf kurze Zeit verschoben, vermieden wird sie nicht. -- Durch dies russische
Bündniß aber hat der ungarische Krieg für das östreichische Volk und fürDenisch-
land eine ganz andere Bedeutung bekommen. Der liberale Oestreichs sieht mit
Entsetzen alle Consequenzen einer solchen Brüderschaft mit dem absolute" Nußland
auf sich hereindringen, und die übrigen dentschen Völker wissen, wozu Oestreich
und Rußland ihre Arme gebrauchen werden, sobald sie mit Ungarn fertig sind.
Und so ist jetzt die unnatürliche Stellung der Parteien die,-daß viele Oestreichs
und die dentschen Völker eine rasche und vollständige Unterwerfung der Ungarn
nicht wünschen, ja als ein großes Unglück für sich fürchten. Die Liberalen in
Oestreich sympathisiren entschieden mit den Ungarn. Auch unser Blatt hat in
seinen östreichischen Korrespondenzen diese Stimmung ausgesprochen. Ju dem vor¬
angehenden Artikel, mit dem wir dieses Heft schmücken, mögen die Leser der
Grenzboten einen Beweis finden, wie auch ehrliche Patrioten in Dcntschöstreich
die traurigen Verhältnisse ansehen. Es ist eine totale Verzweiflung an der Le¬
bensfähigkeit des jetzigen Regiments, ein bitterlicher Schmerz über die Irrthümer
und Sünde" der Regierung, welcher das ermüdete, gedrückte Volk in nervöser
Abspannung gegenübersteht, die hinter den Zeilen der glänzenden Schilderung zu
finden ist. -- Die übrigen Deutsche", welche noch auf die Concentration Deutsch¬
lands z" einem Bundesstaat hoffen, habe" wenigstens ebenso großen Grund, den
östreichischen und russische" El"si"ß a"f unsere Verhältnisse paralysirt zu wünsche".
Es ist für die bedenkliche und zögernde Politik PrennenS ein unermeßliches Glück,
daß ihm der ungarische Krieg noch Monate Frist gibt, sich mit den kleineren
Staaten zu vereinigen. So sind die Magyaren allmälig Bundesgenossen Deutsch¬
lands geworden. Aber mir Bundesgenossen unserer Furcht, wohl anch unserer
romantischen Neigungen, nicht aber unserer vernünftigen Ueberzeugung. Je schlech¬
ter die Regierung Oestreichs an dem Leben ihrer Völker handelt, desto besser
wird allerdings das Recht der Ungarn, alle Freiheiten gegen sie zu verfechten,
je mehr der östreichische Staat in den Absolutismus der Vergangenheit zurückgc-


revolutionären Staaten Mittclitaliens zu wälzen, so war nach ihrer Ansicht uoch
die Möglichkeit gewonnen, den Kaiserstaat aus seiner finanziellen Auflösung her¬
auszuheben. Auf die Ehre kam es ihnen nicht sehr an, wo es sich um das Leben
handelte. Diese Auffassung der Verhältnisse, welche man den unglücklichen Po¬
litikern — gewiß nicht um sie zu erniedrigen — unterstellen kann, ist an sich gtinz
richtig, weise aber ist sie doch selbst nicht, in Beziehung auf die Finanzen.
Allerdings ist die schleunige Pacification Ungarns für Oestreich eine Lebensfrage,
aber eine Unterwerfung durch russische Truppen machte den Kampf zu einem Ver-
tilgungskriege, sie muß eine Vernichtung der Capitalien, eine vollständige Läh¬
mung aller productiven Kräfte Ungarns und für die Zukunft eine tödtliche Feind¬
schaft der Magyaren zur Folge haben, welche nichts aus ihrer Geschichte zu ver¬
gessen pflegen. Die Krisis, welche dem Kaiserstaat droht, wird möglicherweise
noch auf kurze Zeit verschoben, vermieden wird sie nicht. — Durch dies russische
Bündniß aber hat der ungarische Krieg für das östreichische Volk und fürDenisch-
land eine ganz andere Bedeutung bekommen. Der liberale Oestreichs sieht mit
Entsetzen alle Consequenzen einer solchen Brüderschaft mit dem absolute» Nußland
auf sich hereindringen, und die übrigen dentschen Völker wissen, wozu Oestreich
und Rußland ihre Arme gebrauchen werden, sobald sie mit Ungarn fertig sind.
Und so ist jetzt die unnatürliche Stellung der Parteien die,-daß viele Oestreichs
und die dentschen Völker eine rasche und vollständige Unterwerfung der Ungarn
nicht wünschen, ja als ein großes Unglück für sich fürchten. Die Liberalen in
Oestreich sympathisiren entschieden mit den Ungarn. Auch unser Blatt hat in
seinen östreichischen Korrespondenzen diese Stimmung ausgesprochen. Ju dem vor¬
angehenden Artikel, mit dem wir dieses Heft schmücken, mögen die Leser der
Grenzboten einen Beweis finden, wie auch ehrliche Patrioten in Dcntschöstreich
die traurigen Verhältnisse ansehen. Es ist eine totale Verzweiflung an der Le¬
bensfähigkeit des jetzigen Regiments, ein bitterlicher Schmerz über die Irrthümer
und Sünde» der Regierung, welcher das ermüdete, gedrückte Volk in nervöser
Abspannung gegenübersteht, die hinter den Zeilen der glänzenden Schilderung zu
finden ist. — Die übrigen Deutsche», welche noch auf die Concentration Deutsch¬
lands z» einem Bundesstaat hoffen, habe» wenigstens ebenso großen Grund, den
östreichischen und russische» El»si»ß a»f unsere Verhältnisse paralysirt zu wünsche».
Es ist für die bedenkliche und zögernde Politik PrennenS ein unermeßliches Glück,
daß ihm der ungarische Krieg noch Monate Frist gibt, sich mit den kleineren
Staaten zu vereinigen. So sind die Magyaren allmälig Bundesgenossen Deutsch¬
lands geworden. Aber mir Bundesgenossen unserer Furcht, wohl anch unserer
romantischen Neigungen, nicht aber unserer vernünftigen Ueberzeugung. Je schlech¬
ter die Regierung Oestreichs an dem Leben ihrer Völker handelt, desto besser
wird allerdings das Recht der Ungarn, alle Freiheiten gegen sie zu verfechten,
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[0501] revolutionären Staaten Mittclitaliens zu wälzen, so war nach ihrer Ansicht uoch die Möglichkeit gewonnen, den Kaiserstaat aus seiner finanziellen Auflösung her¬ auszuheben. Auf die Ehre kam es ihnen nicht sehr an, wo es sich um das Leben handelte. Diese Auffassung der Verhältnisse, welche man den unglücklichen Po¬ litikern — gewiß nicht um sie zu erniedrigen — unterstellen kann, ist an sich gtinz richtig, weise aber ist sie doch selbst nicht, in Beziehung auf die Finanzen. Allerdings ist die schleunige Pacification Ungarns für Oestreich eine Lebensfrage, aber eine Unterwerfung durch russische Truppen machte den Kampf zu einem Ver- tilgungskriege, sie muß eine Vernichtung der Capitalien, eine vollständige Läh¬ mung aller productiven Kräfte Ungarns und für die Zukunft eine tödtliche Feind¬ schaft der Magyaren zur Folge haben, welche nichts aus ihrer Geschichte zu ver¬ gessen pflegen. Die Krisis, welche dem Kaiserstaat droht, wird möglicherweise noch auf kurze Zeit verschoben, vermieden wird sie nicht. — Durch dies russische Bündniß aber hat der ungarische Krieg für das östreichische Volk und fürDenisch- land eine ganz andere Bedeutung bekommen. Der liberale Oestreichs sieht mit Entsetzen alle Consequenzen einer solchen Brüderschaft mit dem absolute» Nußland auf sich hereindringen, und die übrigen dentschen Völker wissen, wozu Oestreich und Rußland ihre Arme gebrauchen werden, sobald sie mit Ungarn fertig sind. Und so ist jetzt die unnatürliche Stellung der Parteien die,-daß viele Oestreichs und die dentschen Völker eine rasche und vollständige Unterwerfung der Ungarn nicht wünschen, ja als ein großes Unglück für sich fürchten. Die Liberalen in Oestreich sympathisiren entschieden mit den Ungarn. Auch unser Blatt hat in seinen östreichischen Korrespondenzen diese Stimmung ausgesprochen. Ju dem vor¬ angehenden Artikel, mit dem wir dieses Heft schmücken, mögen die Leser der Grenzboten einen Beweis finden, wie auch ehrliche Patrioten in Dcntschöstreich die traurigen Verhältnisse ansehen. Es ist eine totale Verzweiflung an der Le¬ bensfähigkeit des jetzigen Regiments, ein bitterlicher Schmerz über die Irrthümer und Sünde» der Regierung, welcher das ermüdete, gedrückte Volk in nervöser Abspannung gegenübersteht, die hinter den Zeilen der glänzenden Schilderung zu finden ist. — Die übrigen Deutsche», welche noch auf die Concentration Deutsch¬ lands z» einem Bundesstaat hoffen, habe» wenigstens ebenso großen Grund, den östreichischen und russische» El»si»ß a»f unsere Verhältnisse paralysirt zu wünsche». Es ist für die bedenkliche und zögernde Politik PrennenS ein unermeßliches Glück, daß ihm der ungarische Krieg noch Monate Frist gibt, sich mit den kleineren Staaten zu vereinigen. So sind die Magyaren allmälig Bundesgenossen Deutsch¬ lands geworden. Aber mir Bundesgenossen unserer Furcht, wohl anch unserer romantischen Neigungen, nicht aber unserer vernünftigen Ueberzeugung. Je schlech¬ ter die Regierung Oestreichs an dem Leben ihrer Völker handelt, desto besser wird allerdings das Recht der Ungarn, alle Freiheiten gegen sie zu verfechten, je mehr der östreichische Staat in den Absolutismus der Vergangenheit zurückgc-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/501>, abgerufen am 15.01.2025.