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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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seine Ideen und Ideale zur Verwirklichung kommen sollten. Trotz seiner conser-
vativen, christlichen und preußischen Gesinnungen, trotz des Reichthums seiner
Kenntnisse und Ideen, trotz seiner literarischen Productivität und Vielseitigkeit ist
er von der Regierung Preußens nie begünstigt worden; er ist seit 1820 außer¬
ordentlicher Professor. -- Seine wifseittschaftlichen Werke beziehen sich theils auf
Mythologie, theils auf neuere, namentlich preußische Geschichte, theils gehören
sie, wie die beiden oben erwähnten, rein der Philosophie an. Von ihm erschienen
sind: Abhandlungen über nordische Alterthümer, 1817; Brandenburgisch-Preußische
Kriegsverfassung zur Zeit Friedrich Wilhelm's des Großen, Kurfürsten von Bran¬
denburg, 1819; Deutschland und der Götterfriede (gegen Görres "Dentschliind
und die Revolution" gerichtet), 1820; Sendschreiben'an G. A. Stengel, 1820;
Untersuchungen über die Ursprünglichkeit und Alterthümlichkeit der Sternkunde
unter den Chinesen und Indien" und über den Einfluß der Griechen auf den Gang
ihrer Ausbildung, 1831; die chinesische Reichsreligion und die Systeme der indi¬
schen Philosophie in ihrem Verhältniß zu den Offenbarnngslehrcn, 1835; allge¬
meine Geschichte der Religionsformen der heidnischen Völker, 2 Bände, 183" und
1838; die drei letzten Feldzüge gegen Napoleon, kritisch-historisch dargestellt, 1832;
der siebenjährige Krieg in seinen geschichtlichen politischen und allgemeinern mili¬
tärischen Beziehungen, 1834; die Geschichte der See- und Cvlvnialmacht des
großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1839; das Verhältniß
der christlichen Theologie zur Philosophie und Mythologie, 1842 ; die preußische
Verfassungsfrage vom weltgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, 1847 ; die
Phantasten deö Herrn Gervinus und seiner Freunde über die Geschichte und die
Verfassung Preußens, 1847; Forschungen und Erläuterungen über Hauptpunkte
des siebenjährigen Krieges, 2 Bände, 1842.

Man sieht aus diesem Ueberblick, daß Stuhr sich namentlich viel mit den
Mythen der Völker abgegeben hat. Die eigene Darstellung der Ideen eines Vol¬
kes über seine Vergangenheit ist, weil er aus dem unmittelbaren, dnrch Reflexion
und Nachdenken noch nicht gebrochenen oder irregeleiteten Bewußtsein hervorgeht.
Was durch die Thätigkeit des Verstandes heraustritt aus dem verborgenen Gäh-
ren des menschlichen Geistes, mag eS durch Klarheit der Begriffe noch so aus¬
gezeichnet sein, was als öffentliche Meinung erscheint, weil keine andere Meinung
die Kraft gewonnen hat, in so klarer und bestimmter Form hervorzutreten, ist
ihm durchaus nicht identisch mit dem Geist und der Idee eiues Volkes. Darum
ist es ihm ein Zeichen der Krankheit, wenn Gelehrsamkeit und ausgebildete Klar¬
heit des Bewußtseins die Entscheidung über die Angelegenheiten des Lebens haben;
darum spricht er von den "Phantasten" des Herrn Gervinus und behauptet, daß
Preußen keine sucht nach Constitutionen habe, daß die Deutsche Zeitung die
Stimmung des deutschen Volkes nicht repräsentire; die Kenntniß der leitenden
geschichtlichen Ideen sucht er eben noch in einer andern Quelle, als/in dem, was


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seine Ideen und Ideale zur Verwirklichung kommen sollten. Trotz seiner conser-
vativen, christlichen und preußischen Gesinnungen, trotz des Reichthums seiner
Kenntnisse und Ideen, trotz seiner literarischen Productivität und Vielseitigkeit ist
er von der Regierung Preußens nie begünstigt worden; er ist seit 1820 außer¬
ordentlicher Professor. — Seine wifseittschaftlichen Werke beziehen sich theils auf
Mythologie, theils auf neuere, namentlich preußische Geschichte, theils gehören
sie, wie die beiden oben erwähnten, rein der Philosophie an. Von ihm erschienen
sind: Abhandlungen über nordische Alterthümer, 1817; Brandenburgisch-Preußische
Kriegsverfassung zur Zeit Friedrich Wilhelm's des Großen, Kurfürsten von Bran¬
denburg, 1819; Deutschland und der Götterfriede (gegen Görres „Dentschliind
und die Revolution" gerichtet), 1820; Sendschreiben'an G. A. Stengel, 1820;
Untersuchungen über die Ursprünglichkeit und Alterthümlichkeit der Sternkunde
unter den Chinesen und Indien« und über den Einfluß der Griechen auf den Gang
ihrer Ausbildung, 1831; die chinesische Reichsreligion und die Systeme der indi¬
schen Philosophie in ihrem Verhältniß zu den Offenbarnngslehrcn, 1835; allge¬
meine Geschichte der Religionsformen der heidnischen Völker, 2 Bände, 183» und
1838; die drei letzten Feldzüge gegen Napoleon, kritisch-historisch dargestellt, 1832;
der siebenjährige Krieg in seinen geschichtlichen politischen und allgemeinern mili¬
tärischen Beziehungen, 1834; die Geschichte der See- und Cvlvnialmacht des
großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1839; das Verhältniß
der christlichen Theologie zur Philosophie und Mythologie, 1842 ; die preußische
Verfassungsfrage vom weltgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, 1847 ; die
Phantasten deö Herrn Gervinus und seiner Freunde über die Geschichte und die
Verfassung Preußens, 1847; Forschungen und Erläuterungen über Hauptpunkte
des siebenjährigen Krieges, 2 Bände, 1842.

Man sieht aus diesem Ueberblick, daß Stuhr sich namentlich viel mit den
Mythen der Völker abgegeben hat. Die eigene Darstellung der Ideen eines Vol¬
kes über seine Vergangenheit ist, weil er aus dem unmittelbaren, dnrch Reflexion
und Nachdenken noch nicht gebrochenen oder irregeleiteten Bewußtsein hervorgeht.
Was durch die Thätigkeit des Verstandes heraustritt aus dem verborgenen Gäh-
ren des menschlichen Geistes, mag eS durch Klarheit der Begriffe noch so aus¬
gezeichnet sein, was als öffentliche Meinung erscheint, weil keine andere Meinung
die Kraft gewonnen hat, in so klarer und bestimmter Form hervorzutreten, ist
ihm durchaus nicht identisch mit dem Geist und der Idee eiues Volkes. Darum
ist es ihm ein Zeichen der Krankheit, wenn Gelehrsamkeit und ausgebildete Klar¬
heit des Bewußtseins die Entscheidung über die Angelegenheiten des Lebens haben;
darum spricht er von den „Phantasten" des Herrn Gervinus und behauptet, daß
Preußen keine sucht nach Constitutionen habe, daß die Deutsche Zeitung die
Stimmung des deutschen Volkes nicht repräsentire; die Kenntniß der leitenden
geschichtlichen Ideen sucht er eben noch in einer andern Quelle, als/in dem, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/449>, abgerufen am 15.01.2025.