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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ziehungskraft für die Universität gewesen sein würde. In Berlin ist er kurze
Zeit emporgetancht, jetzt muß man ihn zu denen zählen, die nur von wenigen
gekannt, von noch wenigeren gehört werde". Die Eigenthümlichkeit seiner Richtung
und ein nicht sonderlich anziehender Voitrag sind die Ursache eines Erfolgs, der
zu der geistigen Bedeutung des Mannes in gar keinem Verhältniß steht. Stuhr's
Vortrag ist noch verworrener, als seine schriftstellerische Darstellung; dabei ist sein
Organ rauh und polternd, oft sogar sür den, der es niet t kennt, ganz unver¬
ständlich; mit auffallender Heftigkeit stößt er einzelne Bemerkungen heraus, er wird
leidenschaftlich, aufgebracht. Nei'er dieser Heftigüit, die ihn während seines Le¬
bens in viele unangenehme Verwickelungen gebraut hat, liegt in dem Ausdruck,
namentlich der Augen und des Mundes etwas Weiches uno Mildes, das den
Beobachter den ersten Blick in den Reichthum seiner innern Natur thun läßt. Er
unterscheidet sich darin von den meisten Gelehrten, daß ihm der wissenschaftliche
Inhalt nicht kalt und leblos bleibt oder nnr, wie in neuerer Zeit, durch den
Geist der Kritik ein gewisses Leben erhält; er löst ihn sich unmittelbar in
Ideen auf und zwar, wie aus der Form der Darstellung hervorgeht, in selbstge¬
dachte, selbstdurchlebte Idee". Außerdem ist er subjektiver als man es sonst in
wissenschaftlichen Werken zu finden gewohnt ist. Er spricht gern von sich, aber
nicht aus Eitelkeit. In seinem vierundzwanzigsten Jahre gab er unter seinem Na¬
men ein Werk heraus: "Die Staaten des Alterthums und der christlichen Zeit in
ihrem Gegensatze dargestellt;" im Jahre darauf unter dem Namen: "Feodor Eggo"
das berühmt gewordene "Der Untergang der Naturstaaten." In diesem letztern
erwähnt er in höchst reiner Weise jenes vorhergenannten als eines viel zu vorei¬
lig geschriebenen Werkes; es sei von einem gewissen Stuhr; es seien allerdings
ganz gute Ideen darin, aber eine wunderliche und krankhafte Manier.

Peter Fedderscn Stuhr ist 1787 in Flensburg geboren. Wie er selbst er¬
zählt, lebte er bis zu seinem achtzehnten Jahr in schönen, ungetrübten Familien¬
verhältnissen, ohne sich viel um Wissenschaft und Gelehrsamkeit zu kümmern.
1805 ging er nach Kiel, um hier die Rechte zu studiren. In einer sehr zerrisse¬
nen Geistesstimmuug, die theils dnrch übertriebene" Fleiß, theils durch Ueberdruß
über das Trockne und Geistlose seiner bisherigen wissenschaftlichen Studien her¬
vorgerufen war, begab er sich 1806 nach Heidelberg, wo er sich namentlich durch
Görres und Schelling angezogen fühlte. In dieser Zeit senkten sich in seinen
Geist die Keime der Ideen, deren weitere Ausbildung die Aufgabe seines Lebens
war. Darauf brachte er mehrere Jahre mit Reisen zu und gab 1811 und 1812
die beiden oben genannten Werke heraus. 1812 machte er unter den Uhlanen
der hanseatischen Legion den Feldzug mit und nahm uach dem ersten Pariser Frie¬
den als Stabsrittmeister seinen Abschied. Nach der Rückkehr Napoleons von Elba
trat er in die preußische Landwehr ein. Von diesem Augenblick an ward er ganz
Preuße; Preußen galt ihm als der Staat der Zukunft, als der Staat, in dem


ziehungskraft für die Universität gewesen sein würde. In Berlin ist er kurze
Zeit emporgetancht, jetzt muß man ihn zu denen zählen, die nur von wenigen
gekannt, von noch wenigeren gehört werde». Die Eigenthümlichkeit seiner Richtung
und ein nicht sonderlich anziehender Voitrag sind die Ursache eines Erfolgs, der
zu der geistigen Bedeutung des Mannes in gar keinem Verhältniß steht. Stuhr's
Vortrag ist noch verworrener, als seine schriftstellerische Darstellung; dabei ist sein
Organ rauh und polternd, oft sogar sür den, der es niet t kennt, ganz unver¬
ständlich; mit auffallender Heftigkeit stößt er einzelne Bemerkungen heraus, er wird
leidenschaftlich, aufgebracht. Nei'er dieser Heftigüit, die ihn während seines Le¬
bens in viele unangenehme Verwickelungen gebraut hat, liegt in dem Ausdruck,
namentlich der Augen und des Mundes etwas Weiches uno Mildes, das den
Beobachter den ersten Blick in den Reichthum seiner innern Natur thun läßt. Er
unterscheidet sich darin von den meisten Gelehrten, daß ihm der wissenschaftliche
Inhalt nicht kalt und leblos bleibt oder nnr, wie in neuerer Zeit, durch den
Geist der Kritik ein gewisses Leben erhält; er löst ihn sich unmittelbar in
Ideen auf und zwar, wie aus der Form der Darstellung hervorgeht, in selbstge¬
dachte, selbstdurchlebte Idee». Außerdem ist er subjektiver als man es sonst in
wissenschaftlichen Werken zu finden gewohnt ist. Er spricht gern von sich, aber
nicht aus Eitelkeit. In seinem vierundzwanzigsten Jahre gab er unter seinem Na¬
men ein Werk heraus: „Die Staaten des Alterthums und der christlichen Zeit in
ihrem Gegensatze dargestellt;" im Jahre darauf unter dem Namen: „Feodor Eggo"
das berühmt gewordene „Der Untergang der Naturstaaten." In diesem letztern
erwähnt er in höchst reiner Weise jenes vorhergenannten als eines viel zu vorei¬
lig geschriebenen Werkes; es sei von einem gewissen Stuhr; es seien allerdings
ganz gute Ideen darin, aber eine wunderliche und krankhafte Manier.

Peter Fedderscn Stuhr ist 1787 in Flensburg geboren. Wie er selbst er¬
zählt, lebte er bis zu seinem achtzehnten Jahr in schönen, ungetrübten Familien¬
verhältnissen, ohne sich viel um Wissenschaft und Gelehrsamkeit zu kümmern.
1805 ging er nach Kiel, um hier die Rechte zu studiren. In einer sehr zerrisse¬
nen Geistesstimmuug, die theils dnrch übertriebene» Fleiß, theils durch Ueberdruß
über das Trockne und Geistlose seiner bisherigen wissenschaftlichen Studien her¬
vorgerufen war, begab er sich 1806 nach Heidelberg, wo er sich namentlich durch
Görres und Schelling angezogen fühlte. In dieser Zeit senkten sich in seinen
Geist die Keime der Ideen, deren weitere Ausbildung die Aufgabe seines Lebens
war. Darauf brachte er mehrere Jahre mit Reisen zu und gab 1811 und 1812
die beiden oben genannten Werke heraus. 1812 machte er unter den Uhlanen
der hanseatischen Legion den Feldzug mit und nahm uach dem ersten Pariser Frie¬
den als Stabsrittmeister seinen Abschied. Nach der Rückkehr Napoleons von Elba
trat er in die preußische Landwehr ein. Von diesem Augenblick an ward er ganz
Preuße; Preußen galt ihm als der Staat der Zukunft, als der Staat, in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/448>, abgerufen am 15.01.2025.