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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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und' dessen Gefühl den Verdruß steigert, theils durch den eigenthümlichen Styl,
der zuletzt in den Leitartikeln vorherrschend winde, und der mit seinen kurze",
durch Pausen des Schauders unterbrochenen Sätze lebhaft an Alexander Dumas
erinnert, wenn er erfühlt:


Es war Nacht.
Alles war still.
Man schlief.
Auch der Wind war nicht stark. U. f. w.

Eine artige Erfindung der Nalionalzeitnng ist die Zeitnngsschan, ein Aus¬
zug eins den leitenden Artikeln der Berliner Zeitung, die, seitdem durch die litho-
graphirten Korrespondenzen, der thatsächliche Inhalt derselben ziemlich abgegrenzt
ist, den wesentlichsten Unterschied ausmachen. Nur sollte sie sich deu ironischen
Ton abgewöhnen^ der zuletzt seinen Gegenstand verliert und ermüdend wirkt. Die
deutsche Reform in ihrem neuesten Stadium hat es ihr nachgemacht.

Die Natioualzeituug verdient den Ruhm, unter allen specifischen Opposttions-
blättern den anständigsten Ton eingehalten zu haben. Unter all' den neuen Zei¬
tungen ist sie die gefährlichste Nebenbuhlerin der alten Plaudertaschen, die eigent¬
lich nur noch die süße Gewohnheit der Morgenpfeife erhält.

(Fortsetzung im nächsten Heft.)




Porträts aus dar Berliner Universität.
4. S t u h r.

In kleinen Universitätsstädten verschwindet selten eine geistreiche Persönlichkeit.
Das hiesige Zusammenleben der Studenten bewirkt, daß bald von diesem, bald
von jenem Professor gesprochen wird; seine Vorzüge, seine Schwächen, seine Eigen¬
thümlichkeiten werden hin und her discutirt; je eigenthümlicher er ist, desto mehr
Reiz hat er für dies jugendliche Alter, das mehr angeregt, als belehrt sein will.
In Berlin ist dies ganz anders. Man folgt hier dem allgemeinen wissenschaft¬
lichen Zuge und den anerkannten wissenschaftlichen Größen; das Besondere, In¬
dividuelle bleibt unbeachtet zur Seite liegen. Und entschließt sich ja einmal einer,
von dem noch Unbekannten oder Eigenthümlichen lernen zu wollen, er spricht nicht
davon und es bleibt Alles beim Alten. Nirgends könnte man eine reichere Man¬
nigfaltigkeit wissenschaftlicher Individualitäten kennen lernen und sich durch sie
heranbilden, als in Berlin, und nirgends ist das Studium farbloser, als in Ber¬
lin, weil die Meisten diesen Schatz ungehoben lassen. An einer kleinen Universi¬
tät hätte Stuhr leicht einen solchen Ruf gewinnen können, daß er sogar eine An-


und' dessen Gefühl den Verdruß steigert, theils durch den eigenthümlichen Styl,
der zuletzt in den Leitartikeln vorherrschend winde, und der mit seinen kurze»,
durch Pausen des Schauders unterbrochenen Sätze lebhaft an Alexander Dumas
erinnert, wenn er erfühlt:


Es war Nacht.
Alles war still.
Man schlief.
Auch der Wind war nicht stark. U. f. w.

Eine artige Erfindung der Nalionalzeitnng ist die Zeitnngsschan, ein Aus¬
zug eins den leitenden Artikeln der Berliner Zeitung, die, seitdem durch die litho-
graphirten Korrespondenzen, der thatsächliche Inhalt derselben ziemlich abgegrenzt
ist, den wesentlichsten Unterschied ausmachen. Nur sollte sie sich deu ironischen
Ton abgewöhnen^ der zuletzt seinen Gegenstand verliert und ermüdend wirkt. Die
deutsche Reform in ihrem neuesten Stadium hat es ihr nachgemacht.

Die Natioualzeituug verdient den Ruhm, unter allen specifischen Opposttions-
blättern den anständigsten Ton eingehalten zu haben. Unter all' den neuen Zei¬
tungen ist sie die gefährlichste Nebenbuhlerin der alten Plaudertaschen, die eigent¬
lich nur noch die süße Gewohnheit der Morgenpfeife erhält.

(Fortsetzung im nächsten Heft.)




Porträts aus dar Berliner Universität.
4. S t u h r.

In kleinen Universitätsstädten verschwindet selten eine geistreiche Persönlichkeit.
Das hiesige Zusammenleben der Studenten bewirkt, daß bald von diesem, bald
von jenem Professor gesprochen wird; seine Vorzüge, seine Schwächen, seine Eigen¬
thümlichkeiten werden hin und her discutirt; je eigenthümlicher er ist, desto mehr
Reiz hat er für dies jugendliche Alter, das mehr angeregt, als belehrt sein will.
In Berlin ist dies ganz anders. Man folgt hier dem allgemeinen wissenschaft¬
lichen Zuge und den anerkannten wissenschaftlichen Größen; das Besondere, In¬
dividuelle bleibt unbeachtet zur Seite liegen. Und entschließt sich ja einmal einer,
von dem noch Unbekannten oder Eigenthümlichen lernen zu wollen, er spricht nicht
davon und es bleibt Alles beim Alten. Nirgends könnte man eine reichere Man¬
nigfaltigkeit wissenschaftlicher Individualitäten kennen lernen und sich durch sie
heranbilden, als in Berlin, und nirgends ist das Studium farbloser, als in Ber¬
lin, weil die Meisten diesen Schatz ungehoben lassen. An einer kleinen Universi¬
tät hätte Stuhr leicht einen solchen Ruf gewinnen können, daß er sogar eine An-


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[0447] und' dessen Gefühl den Verdruß steigert, theils durch den eigenthümlichen Styl, der zuletzt in den Leitartikeln vorherrschend winde, und der mit seinen kurze», durch Pausen des Schauders unterbrochenen Sätze lebhaft an Alexander Dumas erinnert, wenn er erfühlt: Es war Nacht. Alles war still. Man schlief. Auch der Wind war nicht stark. U. f. w. Eine artige Erfindung der Nalionalzeitnng ist die Zeitnngsschan, ein Aus¬ zug eins den leitenden Artikeln der Berliner Zeitung, die, seitdem durch die litho- graphirten Korrespondenzen, der thatsächliche Inhalt derselben ziemlich abgegrenzt ist, den wesentlichsten Unterschied ausmachen. Nur sollte sie sich deu ironischen Ton abgewöhnen^ der zuletzt seinen Gegenstand verliert und ermüdend wirkt. Die deutsche Reform in ihrem neuesten Stadium hat es ihr nachgemacht. Die Natioualzeituug verdient den Ruhm, unter allen specifischen Opposttions- blättern den anständigsten Ton eingehalten zu haben. Unter all' den neuen Zei¬ tungen ist sie die gefährlichste Nebenbuhlerin der alten Plaudertaschen, die eigent¬ lich nur noch die süße Gewohnheit der Morgenpfeife erhält. (Fortsetzung im nächsten Heft.) Porträts aus dar Berliner Universität. 4. S t u h r. In kleinen Universitätsstädten verschwindet selten eine geistreiche Persönlichkeit. Das hiesige Zusammenleben der Studenten bewirkt, daß bald von diesem, bald von jenem Professor gesprochen wird; seine Vorzüge, seine Schwächen, seine Eigen¬ thümlichkeiten werden hin und her discutirt; je eigenthümlicher er ist, desto mehr Reiz hat er für dies jugendliche Alter, das mehr angeregt, als belehrt sein will. In Berlin ist dies ganz anders. Man folgt hier dem allgemeinen wissenschaft¬ lichen Zuge und den anerkannten wissenschaftlichen Größen; das Besondere, In¬ dividuelle bleibt unbeachtet zur Seite liegen. Und entschließt sich ja einmal einer, von dem noch Unbekannten oder Eigenthümlichen lernen zu wollen, er spricht nicht davon und es bleibt Alles beim Alten. Nirgends könnte man eine reichere Man¬ nigfaltigkeit wissenschaftlicher Individualitäten kennen lernen und sich durch sie heranbilden, als in Berlin, und nirgends ist das Studium farbloser, als in Ber¬ lin, weil die Meisten diesen Schatz ungehoben lassen. An einer kleinen Universi¬ tät hätte Stuhr leicht einen solchen Ruf gewinnen können, daß er sogar eine An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/447>, abgerufen am 15.01.2025.