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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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bitterung gegen das Bestehende, sondern mit Wohlwollen und mit Hoffnung; sie
war überzeugt, daß nun der Tag des Edlen endlich kommen müsse. Ihre Re¬
dacteure hatten den Inhalt dessen, was der Geist der Jetztzeit, die Demokratie
zu fordern habe, schon ziemlich fertig in sich verarbeitet; sie begnügten sich damit,
an den guten Willen und den gesunden Menschenverstand des Publikums zu ap-
pelliren, in dem festen Glauben, damit sei auch die Realität ihrer Wünsche erreicht.
Als unerwartete Hindernisse sich derselben entgegensetzten, geriet!) sie zuerst in Er¬
staunen; dies Erstannen verwandelte sich bald in Unwillen, da jene Hindernisse
doch nur aus bösen Absichten hervorgehen konnten, und zuletzt wurde die sittliche
Indignation so perennirend, daß sie nur hin und wieder durch dunkle Drohungen
und durch sentimentale Rückblicke unterbrochen wurde.

Den Wendepunkt in der Stimmung des Blatts bezeichnet der Austritt des
!)>. Rutenberg, dem es allmälig zu radical wurde. Es war die Zeit, in welcher
die constitutionelle Partei sich den Ausschweifungen der Demokratie gegenüber als
conservative zu organisiren begann.

Die Hindernisse, welche der Durchführung der Demokratie entgegen traten,
waren, wenn man von der Ungunst der Verhältnisse absteht, deren Nothwendige
keit auch der männlichste Entschluß nicht durchbrechen konnte, theils der böse Wille
der absolutistischen Partei, theils die Schwäche der augenblicklich herrschenden Ge¬
walten, theils die völlige Nichtsnutzigkeit der vorwärtstreibende" Demokratie. Die
Nationalzeitung, deren Redacteure keineswegs zu den letzteren gehörten, hatten
doch die Einseitigkeit, nur die erste der angegebenen Ursachen ins Auge zu fassen,
die zweite nur halb: sie sahen die Schwäche nur in den Ministerien -- was wir
Vollkommen zugeben -- für die gänzliche Unfähigkeit der Constituante und die er¬
bärmliche Beschaffenheit der Bürgerwehr hatte sie kein Auge. Sie kokettirte mit
den Blättern, welche geradezu den Pöbel, und uur diesen, in beständiger Aufre¬
gung erhielten, und warf all ihren Unwillen auf die Reaction, die einer solchen
Demokratie gegenüber nur zu berechtigt war.

Daß sie vom November an, wo sie einmal Partei genommen hatte, durch die
Ereignisse sich weiter treiben ließ, und ihrer rothbärtigen Verbündeten beraubt,
denen sie früher die bedenklichsten Waffen überlassen hatte, mehr und mehr an
deren Stelle trat, kann ihr nicht weiter verdacht werden. Eben so wenig ihre
Haltung in der deutschen Frage, deren Auffassung von Seiten des linken Cen¬
trums -- derjenigen parlamentarischen Partei, welche der Nationalzeitung am
nächsten steht -- uns überhaupt unverständlich ist.

Natürlich aber war es, daß durch diese Richtung ein larmvyanter Ton und
eine beständige Verbissenheit an Stelle der vergnügten Bravour trat, mit der sie
im Anfang gegen die Feinde des Volks in die Schranken getreten war. Diese
Melancholie wurde noch vermehrt theils durch den Mangel an bestimmtem Stoff,
der sich bei einer derartigen resignirten Opposition immer geltend machen wird,


bitterung gegen das Bestehende, sondern mit Wohlwollen und mit Hoffnung; sie
war überzeugt, daß nun der Tag des Edlen endlich kommen müsse. Ihre Re¬
dacteure hatten den Inhalt dessen, was der Geist der Jetztzeit, die Demokratie
zu fordern habe, schon ziemlich fertig in sich verarbeitet; sie begnügten sich damit,
an den guten Willen und den gesunden Menschenverstand des Publikums zu ap-
pelliren, in dem festen Glauben, damit sei auch die Realität ihrer Wünsche erreicht.
Als unerwartete Hindernisse sich derselben entgegensetzten, geriet!) sie zuerst in Er¬
staunen; dies Erstannen verwandelte sich bald in Unwillen, da jene Hindernisse
doch nur aus bösen Absichten hervorgehen konnten, und zuletzt wurde die sittliche
Indignation so perennirend, daß sie nur hin und wieder durch dunkle Drohungen
und durch sentimentale Rückblicke unterbrochen wurde.

Den Wendepunkt in der Stimmung des Blatts bezeichnet der Austritt des
!)>. Rutenberg, dem es allmälig zu radical wurde. Es war die Zeit, in welcher
die constitutionelle Partei sich den Ausschweifungen der Demokratie gegenüber als
conservative zu organisiren begann.

Die Hindernisse, welche der Durchführung der Demokratie entgegen traten,
waren, wenn man von der Ungunst der Verhältnisse absteht, deren Nothwendige
keit auch der männlichste Entschluß nicht durchbrechen konnte, theils der böse Wille
der absolutistischen Partei, theils die Schwäche der augenblicklich herrschenden Ge¬
walten, theils die völlige Nichtsnutzigkeit der vorwärtstreibende» Demokratie. Die
Nationalzeitung, deren Redacteure keineswegs zu den letzteren gehörten, hatten
doch die Einseitigkeit, nur die erste der angegebenen Ursachen ins Auge zu fassen,
die zweite nur halb: sie sahen die Schwäche nur in den Ministerien — was wir
Vollkommen zugeben — für die gänzliche Unfähigkeit der Constituante und die er¬
bärmliche Beschaffenheit der Bürgerwehr hatte sie kein Auge. Sie kokettirte mit
den Blättern, welche geradezu den Pöbel, und uur diesen, in beständiger Aufre¬
gung erhielten, und warf all ihren Unwillen auf die Reaction, die einer solchen
Demokratie gegenüber nur zu berechtigt war.

Daß sie vom November an, wo sie einmal Partei genommen hatte, durch die
Ereignisse sich weiter treiben ließ, und ihrer rothbärtigen Verbündeten beraubt,
denen sie früher die bedenklichsten Waffen überlassen hatte, mehr und mehr an
deren Stelle trat, kann ihr nicht weiter verdacht werden. Eben so wenig ihre
Haltung in der deutschen Frage, deren Auffassung von Seiten des linken Cen¬
trums — derjenigen parlamentarischen Partei, welche der Nationalzeitung am
nächsten steht — uns überhaupt unverständlich ist.

Natürlich aber war es, daß durch diese Richtung ein larmvyanter Ton und
eine beständige Verbissenheit an Stelle der vergnügten Bravour trat, mit der sie
im Anfang gegen die Feinde des Volks in die Schranken getreten war. Diese
Melancholie wurde noch vermehrt theils durch den Mangel an bestimmtem Stoff,
der sich bei einer derartigen resignirten Opposition immer geltend machen wird,


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[0446] bitterung gegen das Bestehende, sondern mit Wohlwollen und mit Hoffnung; sie war überzeugt, daß nun der Tag des Edlen endlich kommen müsse. Ihre Re¬ dacteure hatten den Inhalt dessen, was der Geist der Jetztzeit, die Demokratie zu fordern habe, schon ziemlich fertig in sich verarbeitet; sie begnügten sich damit, an den guten Willen und den gesunden Menschenverstand des Publikums zu ap- pelliren, in dem festen Glauben, damit sei auch die Realität ihrer Wünsche erreicht. Als unerwartete Hindernisse sich derselben entgegensetzten, geriet!) sie zuerst in Er¬ staunen; dies Erstannen verwandelte sich bald in Unwillen, da jene Hindernisse doch nur aus bösen Absichten hervorgehen konnten, und zuletzt wurde die sittliche Indignation so perennirend, daß sie nur hin und wieder durch dunkle Drohungen und durch sentimentale Rückblicke unterbrochen wurde. Den Wendepunkt in der Stimmung des Blatts bezeichnet der Austritt des !)>. Rutenberg, dem es allmälig zu radical wurde. Es war die Zeit, in welcher die constitutionelle Partei sich den Ausschweifungen der Demokratie gegenüber als conservative zu organisiren begann. Die Hindernisse, welche der Durchführung der Demokratie entgegen traten, waren, wenn man von der Ungunst der Verhältnisse absteht, deren Nothwendige keit auch der männlichste Entschluß nicht durchbrechen konnte, theils der böse Wille der absolutistischen Partei, theils die Schwäche der augenblicklich herrschenden Ge¬ walten, theils die völlige Nichtsnutzigkeit der vorwärtstreibende» Demokratie. Die Nationalzeitung, deren Redacteure keineswegs zu den letzteren gehörten, hatten doch die Einseitigkeit, nur die erste der angegebenen Ursachen ins Auge zu fassen, die zweite nur halb: sie sahen die Schwäche nur in den Ministerien — was wir Vollkommen zugeben — für die gänzliche Unfähigkeit der Constituante und die er¬ bärmliche Beschaffenheit der Bürgerwehr hatte sie kein Auge. Sie kokettirte mit den Blättern, welche geradezu den Pöbel, und uur diesen, in beständiger Aufre¬ gung erhielten, und warf all ihren Unwillen auf die Reaction, die einer solchen Demokratie gegenüber nur zu berechtigt war. Daß sie vom November an, wo sie einmal Partei genommen hatte, durch die Ereignisse sich weiter treiben ließ, und ihrer rothbärtigen Verbündeten beraubt, denen sie früher die bedenklichsten Waffen überlassen hatte, mehr und mehr an deren Stelle trat, kann ihr nicht weiter verdacht werden. Eben so wenig ihre Haltung in der deutschen Frage, deren Auffassung von Seiten des linken Cen¬ trums — derjenigen parlamentarischen Partei, welche der Nationalzeitung am nächsten steht — uns überhaupt unverständlich ist. Natürlich aber war es, daß durch diese Richtung ein larmvyanter Ton und eine beständige Verbissenheit an Stelle der vergnügten Bravour trat, mit der sie im Anfang gegen die Feinde des Volks in die Schranken getreten war. Diese Melancholie wurde noch vermehrt theils durch den Mangel an bestimmtem Stoff, der sich bei einer derartigen resignirten Opposition immer geltend machen wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/446>, abgerufen am 15.01.2025.