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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Ein eigentliches Princip der Redaction war bei diesem Wechsel der Stimmung
eben so wenig heraus zu erkennen, als in den beiden populären Blättern, nur
daß die büreaukratische Gewohnheit eine größere Haltung gab. Mit Ausnahme
der amtlichen Anzeigen enthielt das Blatt nnr Berichte aus London, Paris, Ma¬
drid und zwar bis zu seiner Verwandlung in einen Staatsanzeiger nicht blos Aus¬
zuge ans den englischen und französischen Zeitungen -- die übrigens die Berichte
der übrigen Blätter an Gründlichkeit und Eleganz bet Weitem übertrafen -- son¬
dern anch selbstständige Berichte, die pikant genug abgefaßt waren. Aus London
schrieb ein Korrespondent von der Peel'schen Partei - wahrscheinlich ein Beamter
der preußischen Gesandschaft; der Pariser Berichterstatter stellte mit einem innern
Jnbel die Verkehrtheiten dieses modernen Gomorrha dar, ohne einen erheblichen
Unterschied zwischen dem officiellen Frankreich, dem die Teste u. s. w. angehörten,
und dem nichtofficielle:'. zu machen, er durfte Nichts weiter dazu thun, als die
Pariser Berichte etwas schärfer pointircn. Am köstlichsten aber war der Kor¬
respondent in Madrid -- Herr Leute, Versasser einer spanischen Geschichte in
der Untere-Hecrenschen Sammlung, die aber nnr bis zum ersten Baude gediehn
ist. Die unschuldige Isabelle war von der preußischen Regierung nicht anerkannt,
die Medisance hatte also hier vollkommen freies Feld. Da wurde heut erzählt,
wie die junge Königin mit diesem oder jenem Granden eine Orgie gehalten, wie
sie betrunken mit einander auf einen Wagen gesetzt, umgeworfen -- die Stellungen
wurden im Detail ausgemalt n. s. w. Morgen wurden wir in den Kongreß ge¬
führt, um eine lächerliche Rede des "Kikeriki von Estremadura" zu hören, in Folge
dessen ein lebhaftes Wechseln von Ohrfeigen zwischen den Ministern und Deputaten
" - alles zu Ehren der heiligen Allianz, vor deren Angen das ganze moderne Spa¬
nien ein illegitimes Land war.

Wenn man also der Staatszeitung nachsagte, sie sei langweilig -- und am
meisten geschah das von Beamten, deren nothgedrungene Lektüre sie war -- so
galt das nicht von ihren Berichten aus den Staaten der Revolution. Zuweilen,
obwohl selten, wurde auch ein Ausfall ins feindliche Heerlager ans vaterländischen
Boden gemacht. Die lebhafteste Sensation aber erregte es, wenn unmittelbar hinter
-der Ueberschrift: "Nicht Amiliches," eine Erklärung von Gewicht stand, die man
irgend einem Ministerium zuschrieb. Sie waren meist in militärischer Kürze ge¬
halten. Zuweilen beschränkten sie sich auf ein energisches Streichen des schnurr-
t'arts. Ich erinnere mich, daß unter anderen folgender Passus großes Aussehn
machte. "Man behauptet, die preußische Regierung habe keinen Sinn für die
deutsche Sache in Schleswig-Holstein. Dem ist nicht so." -- Allein dergleichen
Eröffnungen wurden immer spärlicher, besonders seitdem man im rheinischen Beob¬
achter ein bequemes Organ gefunden hatte, seinem Herzen Luft zu machen, ohne
sich weiter zu geniren. Den rechten doctrinärcn Muth, den die Partei in den
Zeiten des politischen Wochenblatts gehabt, wo sie wenigstens zur Hälfte Oppo-


Ein eigentliches Princip der Redaction war bei diesem Wechsel der Stimmung
eben so wenig heraus zu erkennen, als in den beiden populären Blättern, nur
daß die büreaukratische Gewohnheit eine größere Haltung gab. Mit Ausnahme
der amtlichen Anzeigen enthielt das Blatt nnr Berichte aus London, Paris, Ma¬
drid und zwar bis zu seiner Verwandlung in einen Staatsanzeiger nicht blos Aus¬
zuge ans den englischen und französischen Zeitungen — die übrigens die Berichte
der übrigen Blätter an Gründlichkeit und Eleganz bet Weitem übertrafen — son¬
dern anch selbstständige Berichte, die pikant genug abgefaßt waren. Aus London
schrieb ein Korrespondent von der Peel'schen Partei - wahrscheinlich ein Beamter
der preußischen Gesandschaft; der Pariser Berichterstatter stellte mit einem innern
Jnbel die Verkehrtheiten dieses modernen Gomorrha dar, ohne einen erheblichen
Unterschied zwischen dem officiellen Frankreich, dem die Teste u. s. w. angehörten,
und dem nichtofficielle:'. zu machen, er durfte Nichts weiter dazu thun, als die
Pariser Berichte etwas schärfer pointircn. Am köstlichsten aber war der Kor¬
respondent in Madrid — Herr Leute, Versasser einer spanischen Geschichte in
der Untere-Hecrenschen Sammlung, die aber nnr bis zum ersten Baude gediehn
ist. Die unschuldige Isabelle war von der preußischen Regierung nicht anerkannt,
die Medisance hatte also hier vollkommen freies Feld. Da wurde heut erzählt,
wie die junge Königin mit diesem oder jenem Granden eine Orgie gehalten, wie
sie betrunken mit einander auf einen Wagen gesetzt, umgeworfen — die Stellungen
wurden im Detail ausgemalt n. s. w. Morgen wurden wir in den Kongreß ge¬
führt, um eine lächerliche Rede des „Kikeriki von Estremadura" zu hören, in Folge
dessen ein lebhaftes Wechseln von Ohrfeigen zwischen den Ministern und Deputaten
" - alles zu Ehren der heiligen Allianz, vor deren Angen das ganze moderne Spa¬
nien ein illegitimes Land war.

Wenn man also der Staatszeitung nachsagte, sie sei langweilig — und am
meisten geschah das von Beamten, deren nothgedrungene Lektüre sie war — so
galt das nicht von ihren Berichten aus den Staaten der Revolution. Zuweilen,
obwohl selten, wurde auch ein Ausfall ins feindliche Heerlager ans vaterländischen
Boden gemacht. Die lebhafteste Sensation aber erregte es, wenn unmittelbar hinter
-der Ueberschrift: „Nicht Amiliches," eine Erklärung von Gewicht stand, die man
irgend einem Ministerium zuschrieb. Sie waren meist in militärischer Kürze ge¬
halten. Zuweilen beschränkten sie sich auf ein energisches Streichen des schnurr-
t'arts. Ich erinnere mich, daß unter anderen folgender Passus großes Aussehn
machte. „Man behauptet, die preußische Regierung habe keinen Sinn für die
deutsche Sache in Schleswig-Holstein. Dem ist nicht so." — Allein dergleichen
Eröffnungen wurden immer spärlicher, besonders seitdem man im rheinischen Beob¬
achter ein bequemes Organ gefunden hatte, seinem Herzen Luft zu machen, ohne
sich weiter zu geniren. Den rechten doctrinärcn Muth, den die Partei in den
Zeiten des politischen Wochenblatts gehabt, wo sie wenigstens zur Hälfte Oppo-


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[0439] Ein eigentliches Princip der Redaction war bei diesem Wechsel der Stimmung eben so wenig heraus zu erkennen, als in den beiden populären Blättern, nur daß die büreaukratische Gewohnheit eine größere Haltung gab. Mit Ausnahme der amtlichen Anzeigen enthielt das Blatt nnr Berichte aus London, Paris, Ma¬ drid und zwar bis zu seiner Verwandlung in einen Staatsanzeiger nicht blos Aus¬ zuge ans den englischen und französischen Zeitungen — die übrigens die Berichte der übrigen Blätter an Gründlichkeit und Eleganz bet Weitem übertrafen — son¬ dern anch selbstständige Berichte, die pikant genug abgefaßt waren. Aus London schrieb ein Korrespondent von der Peel'schen Partei - wahrscheinlich ein Beamter der preußischen Gesandschaft; der Pariser Berichterstatter stellte mit einem innern Jnbel die Verkehrtheiten dieses modernen Gomorrha dar, ohne einen erheblichen Unterschied zwischen dem officiellen Frankreich, dem die Teste u. s. w. angehörten, und dem nichtofficielle:'. zu machen, er durfte Nichts weiter dazu thun, als die Pariser Berichte etwas schärfer pointircn. Am köstlichsten aber war der Kor¬ respondent in Madrid — Herr Leute, Versasser einer spanischen Geschichte in der Untere-Hecrenschen Sammlung, die aber nnr bis zum ersten Baude gediehn ist. Die unschuldige Isabelle war von der preußischen Regierung nicht anerkannt, die Medisance hatte also hier vollkommen freies Feld. Da wurde heut erzählt, wie die junge Königin mit diesem oder jenem Granden eine Orgie gehalten, wie sie betrunken mit einander auf einen Wagen gesetzt, umgeworfen — die Stellungen wurden im Detail ausgemalt n. s. w. Morgen wurden wir in den Kongreß ge¬ führt, um eine lächerliche Rede des „Kikeriki von Estremadura" zu hören, in Folge dessen ein lebhaftes Wechseln von Ohrfeigen zwischen den Ministern und Deputaten " - alles zu Ehren der heiligen Allianz, vor deren Angen das ganze moderne Spa¬ nien ein illegitimes Land war. Wenn man also der Staatszeitung nachsagte, sie sei langweilig — und am meisten geschah das von Beamten, deren nothgedrungene Lektüre sie war — so galt das nicht von ihren Berichten aus den Staaten der Revolution. Zuweilen, obwohl selten, wurde auch ein Ausfall ins feindliche Heerlager ans vaterländischen Boden gemacht. Die lebhafteste Sensation aber erregte es, wenn unmittelbar hinter -der Ueberschrift: „Nicht Amiliches," eine Erklärung von Gewicht stand, die man irgend einem Ministerium zuschrieb. Sie waren meist in militärischer Kürze ge¬ halten. Zuweilen beschränkten sie sich auf ein energisches Streichen des schnurr- t'arts. Ich erinnere mich, daß unter anderen folgender Passus großes Aussehn machte. „Man behauptet, die preußische Regierung habe keinen Sinn für die deutsche Sache in Schleswig-Holstein. Dem ist nicht so." — Allein dergleichen Eröffnungen wurden immer spärlicher, besonders seitdem man im rheinischen Beob¬ achter ein bequemes Organ gefunden hatte, seinem Herzen Luft zu machen, ohne sich weiter zu geniren. Den rechten doctrinärcn Muth, den die Partei in den Zeiten des politischen Wochenblatts gehabt, wo sie wenigstens zur Hälfte Oppo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/439>, abgerufen am 15.01.2025.