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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ser Verfassung gehen, wo theils die Ignoranz, theils die plumpe Reaction in
jedem Kapitel sich breit machen. Das Ministerium läßt den Kaiser "verordnen,
in Anerkennung und zum Schutze der gewährleisteten (?) politischen Rechte."
Z. 1> Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung
des Religionsbekenntnisses ist gewährleistet. -- Ist das nicht zum Lachen?!
In §.2 ist jede Kirche wie "jede Gesellschaft" den allgemeinen (?) Staatsgesetzen
unterworfen. -- Wird es also möglich sein, z. B. die katholische Kirche zu sus-
pendiren oder ganz aufzuheben, wenn sich die Erzbischöfe eines staatsgefährlichen
Vergehens schuldig machen? oder wird der Kirche wie den Gesellschaften verboten
sein, Unmündige, Säuglinge, kaum Geborne in ihren Verband aufzunehmen? --
In §. 5 heißt es: "Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden." Alle
andern Bedrückungen, Verfolgungen sind neuerdings sanctionirt. Wahrhaft possier¬
lich ist §.7: "Die östreichischen Staatsbürger haben das Recht sich zu versammeln
und Vereine zu bilden, insoferne Zweck, Mittel oder Art und Weise der
Versammlung oder Vereinigung weder rechtswidrig (?) noch staatsgefährlich (??)
sind. (Noch nicht genug.) Die Ausübung dieses Rechtes, sowie die Bedingungen,
unter welchen Gescllschaftsrechte (??) erworben, ausgeübt, oder verloren werden,
bestimmt das Gesetz." (???) -- Ueber ein solches Grundrecht lassen sich keine
Glossen machen; ebenso wenig darüber: §. 8, "daß die Freiheit der Person ge¬
währleistet ist," aber jede, eine richterliche Funktion gesetzlich ausübende Behörde
eine Person verhaften kann. Deshalb werden in Krem hier, auf Befehl der
Wiener Militärcommandcmtur, Exdepntirte mittelst Militär verhaftet, ohne Bei¬
ziehung der localen Civilbehörde. Aber die Persoualfreiheit ist gruudgesetzlich noch
weiter in Schutz genommen, indem nach dz. 9 die Sicherheitsbehörde (zu Deutsch¬
östreich die Polizei) Jeden, den sie in Verwahrung (?) genommen hat, binnen 48
Stunden freilassen oder dem zuständigen Gerichte überweisen muß. -- Welcher
Strafe die Polizei unterworfen ist, wenn sie widerrechtlich Jemand 48 Stunden
in Verwahrung hält, ist nicht angeordnet. Nach §. 11 kann die Beschlagnahme
von Briefen (auf der Post) auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen
werden.

Das Beste kömmt zuletzt. All diese Grundrechte können "bei Unruhen im
Innern" zeitweilig (?) außer Wirksamkeit gesetzt werden. Da Oestreich dnrch
diese Charte Eins ist, so können diese Grundrechte, kaum gegeben, gleich wieder
außer Wirksamkeit gesetzt werden, denn es ist Krieg, und es siud Unruhen im
Innern, in Italien, in Ungarn u. s. w.

Endlich beauftragt der Kaiser, bis zum Zustandekommen organischer Gesetze,
provisorische Verordnungen zu entwerfen.

Mehr als genug citirten wir, um die Nullität dieser Charte darzulegen; der
Hohn aber, der darin liegt, die Perfidie gegen die einzelnen Länder und Nationen,
das läßt sich kaum darlegen. Ein wahres Verbrechen begeht derjenige, der die


ser Verfassung gehen, wo theils die Ignoranz, theils die plumpe Reaction in
jedem Kapitel sich breit machen. Das Ministerium läßt den Kaiser „verordnen,
in Anerkennung und zum Schutze der gewährleisteten (?) politischen Rechte."
Z. 1> Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung
des Religionsbekenntnisses ist gewährleistet. — Ist das nicht zum Lachen?!
In §.2 ist jede Kirche wie „jede Gesellschaft" den allgemeinen (?) Staatsgesetzen
unterworfen. — Wird es also möglich sein, z. B. die katholische Kirche zu sus-
pendiren oder ganz aufzuheben, wenn sich die Erzbischöfe eines staatsgefährlichen
Vergehens schuldig machen? oder wird der Kirche wie den Gesellschaften verboten
sein, Unmündige, Säuglinge, kaum Geborne in ihren Verband aufzunehmen? —
In §. 5 heißt es: „Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden." Alle
andern Bedrückungen, Verfolgungen sind neuerdings sanctionirt. Wahrhaft possier¬
lich ist §.7: „Die östreichischen Staatsbürger haben das Recht sich zu versammeln
und Vereine zu bilden, insoferne Zweck, Mittel oder Art und Weise der
Versammlung oder Vereinigung weder rechtswidrig (?) noch staatsgefährlich (??)
sind. (Noch nicht genug.) Die Ausübung dieses Rechtes, sowie die Bedingungen,
unter welchen Gescllschaftsrechte (??) erworben, ausgeübt, oder verloren werden,
bestimmt das Gesetz." (???) — Ueber ein solches Grundrecht lassen sich keine
Glossen machen; ebenso wenig darüber: §. 8, „daß die Freiheit der Person ge¬
währleistet ist," aber jede, eine richterliche Funktion gesetzlich ausübende Behörde
eine Person verhaften kann. Deshalb werden in Krem hier, auf Befehl der
Wiener Militärcommandcmtur, Exdepntirte mittelst Militär verhaftet, ohne Bei¬
ziehung der localen Civilbehörde. Aber die Persoualfreiheit ist gruudgesetzlich noch
weiter in Schutz genommen, indem nach dz. 9 die Sicherheitsbehörde (zu Deutsch¬
östreich die Polizei) Jeden, den sie in Verwahrung (?) genommen hat, binnen 48
Stunden freilassen oder dem zuständigen Gerichte überweisen muß. — Welcher
Strafe die Polizei unterworfen ist, wenn sie widerrechtlich Jemand 48 Stunden
in Verwahrung hält, ist nicht angeordnet. Nach §. 11 kann die Beschlagnahme
von Briefen (auf der Post) auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen
werden.

Das Beste kömmt zuletzt. All diese Grundrechte können „bei Unruhen im
Innern" zeitweilig (?) außer Wirksamkeit gesetzt werden. Da Oestreich dnrch
diese Charte Eins ist, so können diese Grundrechte, kaum gegeben, gleich wieder
außer Wirksamkeit gesetzt werden, denn es ist Krieg, und es siud Unruhen im
Innern, in Italien, in Ungarn u. s. w.

Endlich beauftragt der Kaiser, bis zum Zustandekommen organischer Gesetze,
provisorische Verordnungen zu entwerfen.

Mehr als genug citirten wir, um die Nullität dieser Charte darzulegen; der
Hohn aber, der darin liegt, die Perfidie gegen die einzelnen Länder und Nationen,
das läßt sich kaum darlegen. Ein wahres Verbrechen begeht derjenige, der die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/40>, abgerufen am 15.01.2025.