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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Leute, um das gaffende Volk zum Vivatrufen zu bewegen. Sedlnitzky hatte, wie
die Alten weinende Weiber bei den Leichen, so ein ganzes Corps Vivatschreier
engagirt, die überall dem kaiserlichen Wagen folgten. Dies ist keine Anekdote,
sondern Thatsache. So wie das alte Spionir- und Spitzelwesen wieder in Schwung
gebracht ist, so hat man auch dieses Vivatrnfercorps neu organisirt. Der Ge¬
meinderath Wiens fühlte selbst, daß dieser Charte wegen eher in Sack und Asche
zu wandeln, als im schwarzen Frack zu denken sei, und er sandte eine Deputation
an den Kaiser, blos um für die Gnade zu danken, daß Wien ferner die Residenz
bleibt. So viel haben die Wiener aber doch schon gelernt, daß sie den Unter¬
schied zwischen einer directen Wahl ohne Census und einer Wahl durch Landtage
mit einem Census von 500 Fi. und 40 Jahren verstehen; auch das verstehen die
Wiener, daß nach dieser Charte niemals ein Reichstag zu Stande kommt, denn
es müssen erst die Landtage octroyirt werdeu, und diese wählen ins Oberhaus.
Wer tiefer als die Wiener in diese Verfassung eingeht, der findet den nassesten
Macchiavellismus in jeder Abtheilung. Gleich im ersten Paragraph wird ein Groß-
herzogthum Krakau und ein Herzogthum Bncowina ernannt, wovon sich kein
östreichischer Diplomat, noch weniger das Volk Etwas träumen ließ. Im 13.
Jahrhundert war Krakau ein Herzogthum, und wir kehren zu jenen mittelalter¬
lichen Zeiten zurück. Krakau und die Bucowiua werden, wenn sie dürfen,
gegen diese Umwandlung protestiren.

Nach §. 19 verleiht der Kaiser auch ferner "den Adel;" nach dz. 44
wird das Unterhaus durch directe Wahlen, aber mit einem Census von 5 bis
20 Fi. und 30 Altersjahren, gebildet; nach H. 46 muß die Stimmgebung bei
den Wahlen mündlich und öffentlich sein; nach §. 49 gelten die Wahlen
fürs Oberhaus l0 Jahre, für's Unterhaus 5 Jahre lang; nach §. 50 beziehen
die Oberhäusler keine Entschädigung. Die Unterhäusler ein Pauschale;. nach s. 57
darf in keinem Hause eine geheime Stimmgebnng stattfinden; nach §. 59 können
vertrauliche Sitzungen gehalten werden, wenn der Präsident oder zehn Mit¬
glieder eines Hauses es verlangen; nach §. 69 kann der Kaiser jeder Zeit die
Auflösung des Reichstags anordnen.

Wir glauben, daß Jedermann der fünf Sinne hat, aus diesen wenigen Ci¬
taten erkennen wird, welcher Art die Reichsverfassung des Kaisertums ist; sie ist
eine etwas ausgeweitete Ständevertretnng, wo die greisen Zöpfe Ja schütteln zu
den Vorlagen des kaiserlichen Commissärs. Die Bestimmungen, welche wegen der
complicirten Maschinerie der Provinzen getroffen wurden, erregen nur ein Lächeln.
Es ist ein ganz charakteristisches Zeichen, daß dieses Ministerium durch seine
Ordonnanzen keine Kämpfe und Meinungsstreitigkeiten erzeugt; man lacht nur
darüber, obwohl mit jenem Salz, den man Humor nennt. Mit Gaudio erinnert
man sich der Carricaturen im Wiener Charivari, die jetzt erst gerechtfertigt sind.
Wenn man auch wollte, man könnte nicht mit Ernst an die Beurtheilung die-


Leute, um das gaffende Volk zum Vivatrufen zu bewegen. Sedlnitzky hatte, wie
die Alten weinende Weiber bei den Leichen, so ein ganzes Corps Vivatschreier
engagirt, die überall dem kaiserlichen Wagen folgten. Dies ist keine Anekdote,
sondern Thatsache. So wie das alte Spionir- und Spitzelwesen wieder in Schwung
gebracht ist, so hat man auch dieses Vivatrnfercorps neu organisirt. Der Ge¬
meinderath Wiens fühlte selbst, daß dieser Charte wegen eher in Sack und Asche
zu wandeln, als im schwarzen Frack zu denken sei, und er sandte eine Deputation
an den Kaiser, blos um für die Gnade zu danken, daß Wien ferner die Residenz
bleibt. So viel haben die Wiener aber doch schon gelernt, daß sie den Unter¬
schied zwischen einer directen Wahl ohne Census und einer Wahl durch Landtage
mit einem Census von 500 Fi. und 40 Jahren verstehen; auch das verstehen die
Wiener, daß nach dieser Charte niemals ein Reichstag zu Stande kommt, denn
es müssen erst die Landtage octroyirt werdeu, und diese wählen ins Oberhaus.
Wer tiefer als die Wiener in diese Verfassung eingeht, der findet den nassesten
Macchiavellismus in jeder Abtheilung. Gleich im ersten Paragraph wird ein Groß-
herzogthum Krakau und ein Herzogthum Bncowina ernannt, wovon sich kein
östreichischer Diplomat, noch weniger das Volk Etwas träumen ließ. Im 13.
Jahrhundert war Krakau ein Herzogthum, und wir kehren zu jenen mittelalter¬
lichen Zeiten zurück. Krakau und die Bucowiua werden, wenn sie dürfen,
gegen diese Umwandlung protestiren.

Nach §. 19 verleiht der Kaiser auch ferner „den Adel;" nach dz. 44
wird das Unterhaus durch directe Wahlen, aber mit einem Census von 5 bis
20 Fi. und 30 Altersjahren, gebildet; nach H. 46 muß die Stimmgebung bei
den Wahlen mündlich und öffentlich sein; nach §. 49 gelten die Wahlen
fürs Oberhaus l0 Jahre, für's Unterhaus 5 Jahre lang; nach §. 50 beziehen
die Oberhäusler keine Entschädigung. Die Unterhäusler ein Pauschale;. nach s. 57
darf in keinem Hause eine geheime Stimmgebnng stattfinden; nach §. 59 können
vertrauliche Sitzungen gehalten werden, wenn der Präsident oder zehn Mit¬
glieder eines Hauses es verlangen; nach §. 69 kann der Kaiser jeder Zeit die
Auflösung des Reichstags anordnen.

Wir glauben, daß Jedermann der fünf Sinne hat, aus diesen wenigen Ci¬
taten erkennen wird, welcher Art die Reichsverfassung des Kaisertums ist; sie ist
eine etwas ausgeweitete Ständevertretnng, wo die greisen Zöpfe Ja schütteln zu
den Vorlagen des kaiserlichen Commissärs. Die Bestimmungen, welche wegen der
complicirten Maschinerie der Provinzen getroffen wurden, erregen nur ein Lächeln.
Es ist ein ganz charakteristisches Zeichen, daß dieses Ministerium durch seine
Ordonnanzen keine Kämpfe und Meinungsstreitigkeiten erzeugt; man lacht nur
darüber, obwohl mit jenem Salz, den man Humor nennt. Mit Gaudio erinnert
man sich der Carricaturen im Wiener Charivari, die jetzt erst gerechtfertigt sind.
Wenn man auch wollte, man könnte nicht mit Ernst an die Beurtheilung die-


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[0039] Leute, um das gaffende Volk zum Vivatrufen zu bewegen. Sedlnitzky hatte, wie die Alten weinende Weiber bei den Leichen, so ein ganzes Corps Vivatschreier engagirt, die überall dem kaiserlichen Wagen folgten. Dies ist keine Anekdote, sondern Thatsache. So wie das alte Spionir- und Spitzelwesen wieder in Schwung gebracht ist, so hat man auch dieses Vivatrnfercorps neu organisirt. Der Ge¬ meinderath Wiens fühlte selbst, daß dieser Charte wegen eher in Sack und Asche zu wandeln, als im schwarzen Frack zu denken sei, und er sandte eine Deputation an den Kaiser, blos um für die Gnade zu danken, daß Wien ferner die Residenz bleibt. So viel haben die Wiener aber doch schon gelernt, daß sie den Unter¬ schied zwischen einer directen Wahl ohne Census und einer Wahl durch Landtage mit einem Census von 500 Fi. und 40 Jahren verstehen; auch das verstehen die Wiener, daß nach dieser Charte niemals ein Reichstag zu Stande kommt, denn es müssen erst die Landtage octroyirt werdeu, und diese wählen ins Oberhaus. Wer tiefer als die Wiener in diese Verfassung eingeht, der findet den nassesten Macchiavellismus in jeder Abtheilung. Gleich im ersten Paragraph wird ein Groß- herzogthum Krakau und ein Herzogthum Bncowina ernannt, wovon sich kein östreichischer Diplomat, noch weniger das Volk Etwas träumen ließ. Im 13. Jahrhundert war Krakau ein Herzogthum, und wir kehren zu jenen mittelalter¬ lichen Zeiten zurück. Krakau und die Bucowiua werden, wenn sie dürfen, gegen diese Umwandlung protestiren. Nach §. 19 verleiht der Kaiser auch ferner „den Adel;" nach dz. 44 wird das Unterhaus durch directe Wahlen, aber mit einem Census von 5 bis 20 Fi. und 30 Altersjahren, gebildet; nach H. 46 muß die Stimmgebung bei den Wahlen mündlich und öffentlich sein; nach §. 49 gelten die Wahlen fürs Oberhaus l0 Jahre, für's Unterhaus 5 Jahre lang; nach §. 50 beziehen die Oberhäusler keine Entschädigung. Die Unterhäusler ein Pauschale;. nach s. 57 darf in keinem Hause eine geheime Stimmgebnng stattfinden; nach §. 59 können vertrauliche Sitzungen gehalten werden, wenn der Präsident oder zehn Mit¬ glieder eines Hauses es verlangen; nach §. 69 kann der Kaiser jeder Zeit die Auflösung des Reichstags anordnen. Wir glauben, daß Jedermann der fünf Sinne hat, aus diesen wenigen Ci¬ taten erkennen wird, welcher Art die Reichsverfassung des Kaisertums ist; sie ist eine etwas ausgeweitete Ständevertretnng, wo die greisen Zöpfe Ja schütteln zu den Vorlagen des kaiserlichen Commissärs. Die Bestimmungen, welche wegen der complicirten Maschinerie der Provinzen getroffen wurden, erregen nur ein Lächeln. Es ist ein ganz charakteristisches Zeichen, daß dieses Ministerium durch seine Ordonnanzen keine Kämpfe und Meinungsstreitigkeiten erzeugt; man lacht nur darüber, obwohl mit jenem Salz, den man Humor nennt. Mit Gaudio erinnert man sich der Carricaturen im Wiener Charivari, die jetzt erst gerechtfertigt sind. Wenn man auch wollte, man könnte nicht mit Ernst an die Beurtheilung die-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/39>, abgerufen am 15.01.2025.