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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ihr Freunde, sie gibt Trost, Stärke, Beruhigung. Unter allen philosophischen
Systemen, welche der menschliche Scharfsinn ausgeheckt hat, gibt es zunächst zwei,
in denen Segen ist. Zuerst das englische unseres Freundes Taplay (Chuzzelwit,
Boz), dem kein Elend groß genug war, und dem die Klapperschlangen, welche
auf seinem Bett in Amerika Pfropfenzieher spielten, nur ein verächtliches Lächeln
abnöthigten. Diese Philosophie paßt für euch, ihr Wiener. Wir trauern über
den Gcldruin Oestreichs. Fassen wir die Sache gemüthlich, sie hat auch ihre
großen Vortheile. Sonst mußte man sich mit Geld schleppen, um zu existiren.
Das war ans mehreren Gründen oft recht unbequem. Jetzt ist das ganz un¬
nöthig, man zieht eine kleine schmutzige Ecke Papier aus der Westentasche, die
man vom ersten besten Fidibus abgerissen hat, und erhält dafür die besten Back-
hahnerl und viele Maaß Wein. Es ist immer noch viel Behaglichkeit bei der
Sache. -- Wer aber trotziger von Natur ist, z. B. wir Nordländer, der halte
sich in dieser schlechten Zeit an das französische System des verstorbenen Musketier
Athos. Athos schloß sich während eines Belagerungszustandes in den Keller sei¬
nes Wirths ein, baute eine Barrikade von Schinken Und führte ein wohlwollendes
Stillleben unter Bnrgunderflaschen, bis seine Feinde ihn um Pardon baten.

Auch für uns gibt es ein Mittel unseren Feinden, den Herren des Belage¬
rungsznstandes, so fürchterlich zu werden, daß sie zuletzt um Gnade bitten, und
das Mittel heißt, sich durch jede Art Humor zu verbarrikadiren. Um aller Göt¬
ter willen, erhaltet Euch Eure gute Laune, lieben Freunde. Ein jeder Mann
muß zu allen Zeiten einen Kellerraum in seinem Herzen haben, wohin kein Tyrann
seine Hände stecken darf, in den er sich frei zurückziehn kann, wenn ihm das
Wetter über den Hals kommt. Sorgt dafür, daß ihr den aufbaut. Ihr werdet
um so bessere Fechter sein, wenn ihr einen solchen Zufluchtsort habt. -- Findet
ihr keinen reizender", wird es euch irgendwo zu ungesund und unerträglich, wohlan,
so kommt zu uns zurück, wie dctagirte Corps zur Annee. Sind wir auch einzeln
ärgerliche Leute, in Gemeinschaft mit einander fitzen wir emsig und fröhlich am
Quell gottseliger Weisheit. Ihr Herren in Wien, Prag, Berlin und wo sonst einer
unserer Genossenschaft lagert, seid brüderlich gegrüßt und daran erinnert, daß wir
zwar znerst unserer Zeit gegenüber die Pflicht haben zu arbeiten, gegen uus selbst
und unsere Freunde aber die Pflicht glücklich zu sein.




Verlag von F. L. Hcrbifl. -- Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Frie brich Andrä.

ihr Freunde, sie gibt Trost, Stärke, Beruhigung. Unter allen philosophischen
Systemen, welche der menschliche Scharfsinn ausgeheckt hat, gibt es zunächst zwei,
in denen Segen ist. Zuerst das englische unseres Freundes Taplay (Chuzzelwit,
Boz), dem kein Elend groß genug war, und dem die Klapperschlangen, welche
auf seinem Bett in Amerika Pfropfenzieher spielten, nur ein verächtliches Lächeln
abnöthigten. Diese Philosophie paßt für euch, ihr Wiener. Wir trauern über
den Gcldruin Oestreichs. Fassen wir die Sache gemüthlich, sie hat auch ihre
großen Vortheile. Sonst mußte man sich mit Geld schleppen, um zu existiren.
Das war ans mehreren Gründen oft recht unbequem. Jetzt ist das ganz un¬
nöthig, man zieht eine kleine schmutzige Ecke Papier aus der Westentasche, die
man vom ersten besten Fidibus abgerissen hat, und erhält dafür die besten Back-
hahnerl und viele Maaß Wein. Es ist immer noch viel Behaglichkeit bei der
Sache. — Wer aber trotziger von Natur ist, z. B. wir Nordländer, der halte
sich in dieser schlechten Zeit an das französische System des verstorbenen Musketier
Athos. Athos schloß sich während eines Belagerungszustandes in den Keller sei¬
nes Wirths ein, baute eine Barrikade von Schinken Und führte ein wohlwollendes
Stillleben unter Bnrgunderflaschen, bis seine Feinde ihn um Pardon baten.

Auch für uns gibt es ein Mittel unseren Feinden, den Herren des Belage¬
rungsznstandes, so fürchterlich zu werden, daß sie zuletzt um Gnade bitten, und
das Mittel heißt, sich durch jede Art Humor zu verbarrikadiren. Um aller Göt¬
ter willen, erhaltet Euch Eure gute Laune, lieben Freunde. Ein jeder Mann
muß zu allen Zeiten einen Kellerraum in seinem Herzen haben, wohin kein Tyrann
seine Hände stecken darf, in den er sich frei zurückziehn kann, wenn ihm das
Wetter über den Hals kommt. Sorgt dafür, daß ihr den aufbaut. Ihr werdet
um so bessere Fechter sein, wenn ihr einen solchen Zufluchtsort habt. — Findet
ihr keinen reizender», wird es euch irgendwo zu ungesund und unerträglich, wohlan,
so kommt zu uns zurück, wie dctagirte Corps zur Annee. Sind wir auch einzeln
ärgerliche Leute, in Gemeinschaft mit einander fitzen wir emsig und fröhlich am
Quell gottseliger Weisheit. Ihr Herren in Wien, Prag, Berlin und wo sonst einer
unserer Genossenschaft lagert, seid brüderlich gegrüßt und daran erinnert, daß wir
zwar znerst unserer Zeit gegenüber die Pflicht haben zu arbeiten, gegen uus selbst
und unsere Freunde aber die Pflicht glücklich zu sein.




Verlag von F. L. Hcrbifl. — Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Frie brich Andrä.
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[0392] ihr Freunde, sie gibt Trost, Stärke, Beruhigung. Unter allen philosophischen Systemen, welche der menschliche Scharfsinn ausgeheckt hat, gibt es zunächst zwei, in denen Segen ist. Zuerst das englische unseres Freundes Taplay (Chuzzelwit, Boz), dem kein Elend groß genug war, und dem die Klapperschlangen, welche auf seinem Bett in Amerika Pfropfenzieher spielten, nur ein verächtliches Lächeln abnöthigten. Diese Philosophie paßt für euch, ihr Wiener. Wir trauern über den Gcldruin Oestreichs. Fassen wir die Sache gemüthlich, sie hat auch ihre großen Vortheile. Sonst mußte man sich mit Geld schleppen, um zu existiren. Das war ans mehreren Gründen oft recht unbequem. Jetzt ist das ganz un¬ nöthig, man zieht eine kleine schmutzige Ecke Papier aus der Westentasche, die man vom ersten besten Fidibus abgerissen hat, und erhält dafür die besten Back- hahnerl und viele Maaß Wein. Es ist immer noch viel Behaglichkeit bei der Sache. — Wer aber trotziger von Natur ist, z. B. wir Nordländer, der halte sich in dieser schlechten Zeit an das französische System des verstorbenen Musketier Athos. Athos schloß sich während eines Belagerungszustandes in den Keller sei¬ nes Wirths ein, baute eine Barrikade von Schinken Und führte ein wohlwollendes Stillleben unter Bnrgunderflaschen, bis seine Feinde ihn um Pardon baten. Auch für uns gibt es ein Mittel unseren Feinden, den Herren des Belage¬ rungsznstandes, so fürchterlich zu werden, daß sie zuletzt um Gnade bitten, und das Mittel heißt, sich durch jede Art Humor zu verbarrikadiren. Um aller Göt¬ ter willen, erhaltet Euch Eure gute Laune, lieben Freunde. Ein jeder Mann muß zu allen Zeiten einen Kellerraum in seinem Herzen haben, wohin kein Tyrann seine Hände stecken darf, in den er sich frei zurückziehn kann, wenn ihm das Wetter über den Hals kommt. Sorgt dafür, daß ihr den aufbaut. Ihr werdet um so bessere Fechter sein, wenn ihr einen solchen Zufluchtsort habt. — Findet ihr keinen reizender», wird es euch irgendwo zu ungesund und unerträglich, wohlan, so kommt zu uns zurück, wie dctagirte Corps zur Annee. Sind wir auch einzeln ärgerliche Leute, in Gemeinschaft mit einander fitzen wir emsig und fröhlich am Quell gottseliger Weisheit. Ihr Herren in Wien, Prag, Berlin und wo sonst einer unserer Genossenschaft lagert, seid brüderlich gegrüßt und daran erinnert, daß wir zwar znerst unserer Zeit gegenüber die Pflicht haben zu arbeiten, gegen uus selbst und unsere Freunde aber die Pflicht glücklich zu sein. Verlag von F. L. Hcrbifl. — Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Frie brich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/392>, abgerufen am 15.01.2025.