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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Wenn das VolkHier wie überall in ernster Weise den März des vorigen
Jahres, als den BeMnn der Revolution feiert, während alle, "die des Kaisers,
Brot essen" über den heurigen März in einen erzwungenen Jubel ausbrechen,
wo der Schluß der Revolution durch euch, ihr Herren, decretirt wurde, so hat
jene vom Volke ausgehende Feier nicht nur als ein lauter Protest gegen das
officielle Constitutionsfest, sondern auch noch in anderer Weise eine wichtige Be¬
deutung. Das Volk hat jetzt die wunderbaren Ereignisse des vorigen Jahres,
die in buntbewegtcr Fülle an ihm vorübergingen, in sein Inneres aufgenommen,
und hier zu einem modernen Mythenalter der Freiheit, zu einer heiligen Geschichte
umgedichtet, die den politischen Glauben nähren und beleben soll. Im März 1848
war die Freiheit nur eine frohe Botschaft, die von der Aula der ganzen Welt im
begeisterten Rausche verkündigt wurde; jetzt aber ist sie ein Geisterwort, das aus
den Gräbern der gefallenen Freiheitskämpfer als eine ernste Mahnung an die
Volker ergeht. Damals hat der Freiheitsidee noch zu ihrer Tiefe das Grab ge¬
fehlt: jetzt aber ist ihr Cultus längst durch die Weihe des Martyriums zur allge¬
meinen Volksreligion geworden. Der Tod in der Idee sichert ihr selbst ein un¬
vergängliches Leben, er ist der populärste Beweis von ihrer realen Macht, der
unfehlbar auf die Massen wirkt. Die Revolution des vorigen Jahres hat nun
bereits eine zahlreiche Menge von Glaubenshelden, die der Sinn des Volkes hei¬
lig gesprochen hat, und zu denen die Kämpfer hier unten die Blicke begeistert er¬
heben. Fürst Windischgrätz und Vater Melden haben durch die Füsiladen im
Stadtgraben dem revolutionären Heiligencultns reichen Stoss gegeben und jetzt
wurde durch die steckbriefliche Verfolgung von Deputieren die Zahl der Märtyrer
neuerdings vermehrt. Auf diese Weise wird die Demokratie die verschiedenen
Völker Oestreichs zu Einer großen Kirche vereinigen, die mit der Macht des
Glaubens gegen das Flickwerk des ministeriellen Staates so lange ankämpfen
I. V. wird, bis er ohne Rückstand in ihr ausgeht.




Das Ministerium und die Verfassung.

Einige Wochen sind vorüber, und das Blut wallt ruhiger. Die erste Em¬
pörung über das Verfahren des Ministeriums verwandelt sich in Sorge um Reich
und Volk. Die Illuminationen, der Jubel, das Portraitherumtragen der Resi¬
denz und die Zustimmungen aus den Provinzen sind ein Gaukelspiel der Regie¬
renden und ihrer Schleppträger. Als Kaiser Franz einmal von einer Reise nach
Wien zurückkehrte, gab es offizielle Rippenstöße der von der Polizei bestellten


Wenn das VolkHier wie überall in ernster Weise den März des vorigen
Jahres, als den BeMnn der Revolution feiert, während alle, „die des Kaisers,
Brot essen" über den heurigen März in einen erzwungenen Jubel ausbrechen,
wo der Schluß der Revolution durch euch, ihr Herren, decretirt wurde, so hat
jene vom Volke ausgehende Feier nicht nur als ein lauter Protest gegen das
officielle Constitutionsfest, sondern auch noch in anderer Weise eine wichtige Be¬
deutung. Das Volk hat jetzt die wunderbaren Ereignisse des vorigen Jahres,
die in buntbewegtcr Fülle an ihm vorübergingen, in sein Inneres aufgenommen,
und hier zu einem modernen Mythenalter der Freiheit, zu einer heiligen Geschichte
umgedichtet, die den politischen Glauben nähren und beleben soll. Im März 1848
war die Freiheit nur eine frohe Botschaft, die von der Aula der ganzen Welt im
begeisterten Rausche verkündigt wurde; jetzt aber ist sie ein Geisterwort, das aus
den Gräbern der gefallenen Freiheitskämpfer als eine ernste Mahnung an die
Volker ergeht. Damals hat der Freiheitsidee noch zu ihrer Tiefe das Grab ge¬
fehlt: jetzt aber ist ihr Cultus längst durch die Weihe des Martyriums zur allge¬
meinen Volksreligion geworden. Der Tod in der Idee sichert ihr selbst ein un¬
vergängliches Leben, er ist der populärste Beweis von ihrer realen Macht, der
unfehlbar auf die Massen wirkt. Die Revolution des vorigen Jahres hat nun
bereits eine zahlreiche Menge von Glaubenshelden, die der Sinn des Volkes hei¬
lig gesprochen hat, und zu denen die Kämpfer hier unten die Blicke begeistert er¬
heben. Fürst Windischgrätz und Vater Melden haben durch die Füsiladen im
Stadtgraben dem revolutionären Heiligencultns reichen Stoss gegeben und jetzt
wurde durch die steckbriefliche Verfolgung von Deputieren die Zahl der Märtyrer
neuerdings vermehrt. Auf diese Weise wird die Demokratie die verschiedenen
Völker Oestreichs zu Einer großen Kirche vereinigen, die mit der Macht des
Glaubens gegen das Flickwerk des ministeriellen Staates so lange ankämpfen
I. V. wird, bis er ohne Rückstand in ihr ausgeht.




Das Ministerium und die Verfassung.

Einige Wochen sind vorüber, und das Blut wallt ruhiger. Die erste Em¬
pörung über das Verfahren des Ministeriums verwandelt sich in Sorge um Reich
und Volk. Die Illuminationen, der Jubel, das Portraitherumtragen der Resi¬
denz und die Zustimmungen aus den Provinzen sind ein Gaukelspiel der Regie¬
renden und ihrer Schleppträger. Als Kaiser Franz einmal von einer Reise nach
Wien zurückkehrte, gab es offizielle Rippenstöße der von der Polizei bestellten


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[0038] Wenn das VolkHier wie überall in ernster Weise den März des vorigen Jahres, als den BeMnn der Revolution feiert, während alle, „die des Kaisers, Brot essen" über den heurigen März in einen erzwungenen Jubel ausbrechen, wo der Schluß der Revolution durch euch, ihr Herren, decretirt wurde, so hat jene vom Volke ausgehende Feier nicht nur als ein lauter Protest gegen das officielle Constitutionsfest, sondern auch noch in anderer Weise eine wichtige Be¬ deutung. Das Volk hat jetzt die wunderbaren Ereignisse des vorigen Jahres, die in buntbewegtcr Fülle an ihm vorübergingen, in sein Inneres aufgenommen, und hier zu einem modernen Mythenalter der Freiheit, zu einer heiligen Geschichte umgedichtet, die den politischen Glauben nähren und beleben soll. Im März 1848 war die Freiheit nur eine frohe Botschaft, die von der Aula der ganzen Welt im begeisterten Rausche verkündigt wurde; jetzt aber ist sie ein Geisterwort, das aus den Gräbern der gefallenen Freiheitskämpfer als eine ernste Mahnung an die Volker ergeht. Damals hat der Freiheitsidee noch zu ihrer Tiefe das Grab ge¬ fehlt: jetzt aber ist ihr Cultus längst durch die Weihe des Martyriums zur allge¬ meinen Volksreligion geworden. Der Tod in der Idee sichert ihr selbst ein un¬ vergängliches Leben, er ist der populärste Beweis von ihrer realen Macht, der unfehlbar auf die Massen wirkt. Die Revolution des vorigen Jahres hat nun bereits eine zahlreiche Menge von Glaubenshelden, die der Sinn des Volkes hei¬ lig gesprochen hat, und zu denen die Kämpfer hier unten die Blicke begeistert er¬ heben. Fürst Windischgrätz und Vater Melden haben durch die Füsiladen im Stadtgraben dem revolutionären Heiligencultns reichen Stoss gegeben und jetzt wurde durch die steckbriefliche Verfolgung von Deputieren die Zahl der Märtyrer neuerdings vermehrt. Auf diese Weise wird die Demokratie die verschiedenen Völker Oestreichs zu Einer großen Kirche vereinigen, die mit der Macht des Glaubens gegen das Flickwerk des ministeriellen Staates so lange ankämpfen I. V. wird, bis er ohne Rückstand in ihr ausgeht. Das Ministerium und die Verfassung. Einige Wochen sind vorüber, und das Blut wallt ruhiger. Die erste Em¬ pörung über das Verfahren des Ministeriums verwandelt sich in Sorge um Reich und Volk. Die Illuminationen, der Jubel, das Portraitherumtragen der Resi¬ denz und die Zustimmungen aus den Provinzen sind ein Gaukelspiel der Regie¬ renden und ihrer Schleppträger. Als Kaiser Franz einmal von einer Reise nach Wien zurückkehrte, gab es offizielle Rippenstöße der von der Polizei bestellten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/38>, abgerufen am 15.01.2025.