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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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legenden hatte, überzeugte er sich vollkommen von der Nichtigkeit der Wuttke'schen
Entdeckung im Allgemeinen, daß nämlich Galizien von zwei verschiedenen Ratio-
nen bewohnt sei! Doch fand er, daß das Volk, welches sich mit den Polen in
den Besitz des Landes theilt, nicht, wie jener annahm, die Sarmaten, sondern
die Nuthenen seien. Mau darf nicht glauben, daß es sich hier blos um eine
Verbesserung der Nomenclatur handle, und daß die heutigen Urtheilen identisch
seu'n mit den Sarmaten des Wuttke. Durch die Entdeckung der ruthenischen
Nationalität ist vielmehr das ganze Zwei-Nationen-System so ganz umgestaltet
worden, daß sogar der Charakter und die Gesinnungen der Polen selbst sich da¬
durch wesentlich geändert haben. Es hat sich nämlich klar herausgestellt, daß die
Sarmaten, welche eigentlich gar uicht mehr existiren, an dem Aufruhr vom Jahre
1846 ganz unschuldig waren, sondern die damaligen Rebellen und die Radikalen
und Wühler vou heute sind eben die schlanken und blonden Polen, während die
Rolle der getreuen östreichischen Unterthanen jetzt den Nuthenen zukommt, die
zwar ihren Stammbaum nicht bis auf seine babylonische Majestät zurückführen
können, aber dafür eben so gute oder vielmehr noch bessere Slaven als die Polen
selbst sind.

Wir müssen jedoch gestehen, daß wir auch an diese neue ruthenische Natio¬
nalität noch keinen rechten Glauben haben. Nicht als ob wir die wirklichen leben¬
digen Nutheneu selbst bezweifelten und sie für bloße Geschöpfe der Einbildung
ansähen, wie die etwas gespenstischen Sarmaten, im Gegentheil, wir sind von der
handgreiflichen Realität unserer lieben ruthenischen Landsleute vollkommen über¬
zeugt, und haben gegen ihre Existenz nicht das Geringste einzuwenden; aber ihre
Nationalität, insofern man sie der polnischen als eine von dieser verschiedene ge¬
genüberstellen will, kommt uns, obwohl noch ganz neu, bereits etwas fadenscheinig
vor, und, nichts für ungut, nicht viel solider, als die weiland sarmatische.

Die Entdecker und Protectoren derselben haben indessen sehr viel gethan, um
sie zu befestige", nud besonders gegen Augriffe von polnischer Seite her in ge¬
hörigen Vertheidigungszustand zu setzen. Sie haben die griechisch-unirte, oder,
wie sie sie nennen, die ruthenische Kirche als tiefen Graben um dieselbe gezogen,
dahinter die sogenannte ruthenische Sprache als hohen Wall aufgeführt nud auf
diesem die Buchstabe" des Cyrillischen ABC als spanische Reiter aufgesteckt. Wer,
meinen sie, sollte es nun wagen, eine Nationalität zu bezweifeln, die sich durch
eine eigene Religion, eine eigene Sprache und sogar eine eigene Schrift kund
gibt? Gesteht man doch bereitwillig den Franzosen eine besondere Nationalität zu,
ungeachtet sie in diesen Beziehungen weit schlechter dotirt sind als die Nuthenen,
und wohl eine eigene Sprache für sich, aber dagegen die römisch-katholische.
Kirche und das lateinische ABC mit Spaniern, Italienern, Crethi und Plethi
gemein haben.

Oder, um ernsthaft zu reden, es wird ungefähr so argumentire: Die Rü-


legenden hatte, überzeugte er sich vollkommen von der Nichtigkeit der Wuttke'schen
Entdeckung im Allgemeinen, daß nämlich Galizien von zwei verschiedenen Ratio-
nen bewohnt sei! Doch fand er, daß das Volk, welches sich mit den Polen in
den Besitz des Landes theilt, nicht, wie jener annahm, die Sarmaten, sondern
die Nuthenen seien. Mau darf nicht glauben, daß es sich hier blos um eine
Verbesserung der Nomenclatur handle, und daß die heutigen Urtheilen identisch
seu'n mit den Sarmaten des Wuttke. Durch die Entdeckung der ruthenischen
Nationalität ist vielmehr das ganze Zwei-Nationen-System so ganz umgestaltet
worden, daß sogar der Charakter und die Gesinnungen der Polen selbst sich da¬
durch wesentlich geändert haben. Es hat sich nämlich klar herausgestellt, daß die
Sarmaten, welche eigentlich gar uicht mehr existiren, an dem Aufruhr vom Jahre
1846 ganz unschuldig waren, sondern die damaligen Rebellen und die Radikalen
und Wühler vou heute sind eben die schlanken und blonden Polen, während die
Rolle der getreuen östreichischen Unterthanen jetzt den Nuthenen zukommt, die
zwar ihren Stammbaum nicht bis auf seine babylonische Majestät zurückführen
können, aber dafür eben so gute oder vielmehr noch bessere Slaven als die Polen
selbst sind.

Wir müssen jedoch gestehen, daß wir auch an diese neue ruthenische Natio¬
nalität noch keinen rechten Glauben haben. Nicht als ob wir die wirklichen leben¬
digen Nutheneu selbst bezweifelten und sie für bloße Geschöpfe der Einbildung
ansähen, wie die etwas gespenstischen Sarmaten, im Gegentheil, wir sind von der
handgreiflichen Realität unserer lieben ruthenischen Landsleute vollkommen über¬
zeugt, und haben gegen ihre Existenz nicht das Geringste einzuwenden; aber ihre
Nationalität, insofern man sie der polnischen als eine von dieser verschiedene ge¬
genüberstellen will, kommt uns, obwohl noch ganz neu, bereits etwas fadenscheinig
vor, und, nichts für ungut, nicht viel solider, als die weiland sarmatische.

Die Entdecker und Protectoren derselben haben indessen sehr viel gethan, um
sie zu befestige», nud besonders gegen Augriffe von polnischer Seite her in ge¬
hörigen Vertheidigungszustand zu setzen. Sie haben die griechisch-unirte, oder,
wie sie sie nennen, die ruthenische Kirche als tiefen Graben um dieselbe gezogen,
dahinter die sogenannte ruthenische Sprache als hohen Wall aufgeführt nud auf
diesem die Buchstabe» des Cyrillischen ABC als spanische Reiter aufgesteckt. Wer,
meinen sie, sollte es nun wagen, eine Nationalität zu bezweifeln, die sich durch
eine eigene Religion, eine eigene Sprache und sogar eine eigene Schrift kund
gibt? Gesteht man doch bereitwillig den Franzosen eine besondere Nationalität zu,
ungeachtet sie in diesen Beziehungen weit schlechter dotirt sind als die Nuthenen,
und wohl eine eigene Sprache für sich, aber dagegen die römisch-katholische.
Kirche und das lateinische ABC mit Spaniern, Italienern, Crethi und Plethi
gemein haben.

Oder, um ernsthaft zu reden, es wird ungefähr so argumentire: Die Rü-


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[0362] legenden hatte, überzeugte er sich vollkommen von der Nichtigkeit der Wuttke'schen Entdeckung im Allgemeinen, daß nämlich Galizien von zwei verschiedenen Ratio- nen bewohnt sei! Doch fand er, daß das Volk, welches sich mit den Polen in den Besitz des Landes theilt, nicht, wie jener annahm, die Sarmaten, sondern die Nuthenen seien. Mau darf nicht glauben, daß es sich hier blos um eine Verbesserung der Nomenclatur handle, und daß die heutigen Urtheilen identisch seu'n mit den Sarmaten des Wuttke. Durch die Entdeckung der ruthenischen Nationalität ist vielmehr das ganze Zwei-Nationen-System so ganz umgestaltet worden, daß sogar der Charakter und die Gesinnungen der Polen selbst sich da¬ durch wesentlich geändert haben. Es hat sich nämlich klar herausgestellt, daß die Sarmaten, welche eigentlich gar uicht mehr existiren, an dem Aufruhr vom Jahre 1846 ganz unschuldig waren, sondern die damaligen Rebellen und die Radikalen und Wühler vou heute sind eben die schlanken und blonden Polen, während die Rolle der getreuen östreichischen Unterthanen jetzt den Nuthenen zukommt, die zwar ihren Stammbaum nicht bis auf seine babylonische Majestät zurückführen können, aber dafür eben so gute oder vielmehr noch bessere Slaven als die Polen selbst sind. Wir müssen jedoch gestehen, daß wir auch an diese neue ruthenische Natio¬ nalität noch keinen rechten Glauben haben. Nicht als ob wir die wirklichen leben¬ digen Nutheneu selbst bezweifelten und sie für bloße Geschöpfe der Einbildung ansähen, wie die etwas gespenstischen Sarmaten, im Gegentheil, wir sind von der handgreiflichen Realität unserer lieben ruthenischen Landsleute vollkommen über¬ zeugt, und haben gegen ihre Existenz nicht das Geringste einzuwenden; aber ihre Nationalität, insofern man sie der polnischen als eine von dieser verschiedene ge¬ genüberstellen will, kommt uns, obwohl noch ganz neu, bereits etwas fadenscheinig vor, und, nichts für ungut, nicht viel solider, als die weiland sarmatische. Die Entdecker und Protectoren derselben haben indessen sehr viel gethan, um sie zu befestige», nud besonders gegen Augriffe von polnischer Seite her in ge¬ hörigen Vertheidigungszustand zu setzen. Sie haben die griechisch-unirte, oder, wie sie sie nennen, die ruthenische Kirche als tiefen Graben um dieselbe gezogen, dahinter die sogenannte ruthenische Sprache als hohen Wall aufgeführt nud auf diesem die Buchstabe» des Cyrillischen ABC als spanische Reiter aufgesteckt. Wer, meinen sie, sollte es nun wagen, eine Nationalität zu bezweifeln, die sich durch eine eigene Religion, eine eigene Sprache und sogar eine eigene Schrift kund gibt? Gesteht man doch bereitwillig den Franzosen eine besondere Nationalität zu, ungeachtet sie in diesen Beziehungen weit schlechter dotirt sind als die Nuthenen, und wohl eine eigene Sprache für sich, aber dagegen die römisch-katholische. Kirche und das lateinische ABC mit Spaniern, Italienern, Crethi und Plethi gemein haben. Oder, um ernsthaft zu reden, es wird ungefähr so argumentire: Die Rü-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/362>, abgerufen am 15.01.2025.