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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Polen und Rnthenen.

Seit dem in neuerer Zeit die nationalen Fragen eine so große Bedeutung
in der Politik gewonnen, und man bemerkt hat, daß so viele Tageserscheinungen
der Einwirkung nationaler Sympathien und Antipathien ihr Dasein verdanken,
ist es uuter den Publicisten Mode geworden, für alle Phänomene der Tages¬
politik nach ethnographischen Erklärungen zu suchen und Alles, was da geschieht,
aus der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung der verschiedenen Nationalitäten
herzuleiten. Und in vielen Fällen, wo man solche anziehende und abstoßende
Nationen nicht schon bei der Hand hatte, sah man sich der neuen politischen Gra¬
vitationstheorie zu Liebe genöthigt, erst eigens welche zu entdecken oder zu erfin¬
den, um nur die Ereignisse systemgcrecht erklären zu können.

> Einem solchen Zufalle verdankt Galizien die Entdeckung der großen Nation
der Rnthenen.

Noch im Jahre 1846, als der polnische Adel in diesem Lande wider die
östreichische Herrschaft ausstand, und das Landvolk an diesem Aufstande nicht nur
keinen Theil nahm, sondern sogar seine östreichischen Sympathien auf eine Weise
an den Tag legte, die nur zu sehr an die französische Jacqncrie oder an den
deutschen Bauernkrieg erinnerte, hatte Herr Professor Wuttke in Leipzig zuerst
den glücklichen Gedanken, die Ursache dieser Erscheinung in einem nationalen
Conflicte zu suchen, dessen Ursprung und Wesen er damals in der A. A. Z. aus.
führlich auseinander setzte.

Nach ihm gab es in Galizien zwei von einander durchaus verschiedene Na¬
tionen, nämlich erstens die Polen, ein slavisches Volk von schlankem Wuchse,
blauen Augen, blondem Haar u. s. w., ungefähr wie die Deutschen des Tacitus,
und zweitens die Sarmaten, ein Volk von kleiner Statur, dunkeln Haaren und
Augen, die nicht einmal Slaven sind, sondern in gerader Linie vom babylonischen
Könige Nebucadnezar abstammen und vor alten Zeiten von Asien her nach Polen
eingedrungen waren, sich das Land unterworfen und die Eingeborenen, die eigent¬
lichen Polen, zu ihren Sklaven gemacht hatten, die sie bis zum heutigen Tage
jämmerlich bedrücken. Diese bösen Sarmaten waren es nnn gewesen, die sich
gegen Oestreich empört hatten und dafür von den loyalen Polen mit ihren Sensen
und Dreschflegeln bedient wurden, womit ihnen natürlich ganz recht geschah.

Als später unser jetziger Minister des Innern, der sich bekanntlich ebenfalls
viel mit politischer Ethnographie befaßt, die Verwaltung Galiziens übernahm und
in neuester Zeit wieder politische Bewegungen in diesem Lande zu beobachten Gc-


Breiijbvten. it. Is4S. Hg
Polen und Rnthenen.

Seit dem in neuerer Zeit die nationalen Fragen eine so große Bedeutung
in der Politik gewonnen, und man bemerkt hat, daß so viele Tageserscheinungen
der Einwirkung nationaler Sympathien und Antipathien ihr Dasein verdanken,
ist es uuter den Publicisten Mode geworden, für alle Phänomene der Tages¬
politik nach ethnographischen Erklärungen zu suchen und Alles, was da geschieht,
aus der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung der verschiedenen Nationalitäten
herzuleiten. Und in vielen Fällen, wo man solche anziehende und abstoßende
Nationen nicht schon bei der Hand hatte, sah man sich der neuen politischen Gra¬
vitationstheorie zu Liebe genöthigt, erst eigens welche zu entdecken oder zu erfin¬
den, um nur die Ereignisse systemgcrecht erklären zu können.

> Einem solchen Zufalle verdankt Galizien die Entdeckung der großen Nation
der Rnthenen.

Noch im Jahre 1846, als der polnische Adel in diesem Lande wider die
östreichische Herrschaft ausstand, und das Landvolk an diesem Aufstande nicht nur
keinen Theil nahm, sondern sogar seine östreichischen Sympathien auf eine Weise
an den Tag legte, die nur zu sehr an die französische Jacqncrie oder an den
deutschen Bauernkrieg erinnerte, hatte Herr Professor Wuttke in Leipzig zuerst
den glücklichen Gedanken, die Ursache dieser Erscheinung in einem nationalen
Conflicte zu suchen, dessen Ursprung und Wesen er damals in der A. A. Z. aus.
führlich auseinander setzte.

Nach ihm gab es in Galizien zwei von einander durchaus verschiedene Na¬
tionen, nämlich erstens die Polen, ein slavisches Volk von schlankem Wuchse,
blauen Augen, blondem Haar u. s. w., ungefähr wie die Deutschen des Tacitus,
und zweitens die Sarmaten, ein Volk von kleiner Statur, dunkeln Haaren und
Augen, die nicht einmal Slaven sind, sondern in gerader Linie vom babylonischen
Könige Nebucadnezar abstammen und vor alten Zeiten von Asien her nach Polen
eingedrungen waren, sich das Land unterworfen und die Eingeborenen, die eigent¬
lichen Polen, zu ihren Sklaven gemacht hatten, die sie bis zum heutigen Tage
jämmerlich bedrücken. Diese bösen Sarmaten waren es nnn gewesen, die sich
gegen Oestreich empört hatten und dafür von den loyalen Polen mit ihren Sensen
und Dreschflegeln bedient wurden, womit ihnen natürlich ganz recht geschah.

Als später unser jetziger Minister des Innern, der sich bekanntlich ebenfalls
viel mit politischer Ethnographie befaßt, die Verwaltung Galiziens übernahm und
in neuester Zeit wieder politische Bewegungen in diesem Lande zu beobachten Gc-


Breiijbvten. it. Is4S. Hg
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[0361] Polen und Rnthenen. Seit dem in neuerer Zeit die nationalen Fragen eine so große Bedeutung in der Politik gewonnen, und man bemerkt hat, daß so viele Tageserscheinungen der Einwirkung nationaler Sympathien und Antipathien ihr Dasein verdanken, ist es uuter den Publicisten Mode geworden, für alle Phänomene der Tages¬ politik nach ethnographischen Erklärungen zu suchen und Alles, was da geschieht, aus der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung der verschiedenen Nationalitäten herzuleiten. Und in vielen Fällen, wo man solche anziehende und abstoßende Nationen nicht schon bei der Hand hatte, sah man sich der neuen politischen Gra¬ vitationstheorie zu Liebe genöthigt, erst eigens welche zu entdecken oder zu erfin¬ den, um nur die Ereignisse systemgcrecht erklären zu können. > Einem solchen Zufalle verdankt Galizien die Entdeckung der großen Nation der Rnthenen. Noch im Jahre 1846, als der polnische Adel in diesem Lande wider die östreichische Herrschaft ausstand, und das Landvolk an diesem Aufstande nicht nur keinen Theil nahm, sondern sogar seine östreichischen Sympathien auf eine Weise an den Tag legte, die nur zu sehr an die französische Jacqncrie oder an den deutschen Bauernkrieg erinnerte, hatte Herr Professor Wuttke in Leipzig zuerst den glücklichen Gedanken, die Ursache dieser Erscheinung in einem nationalen Conflicte zu suchen, dessen Ursprung und Wesen er damals in der A. A. Z. aus. führlich auseinander setzte. Nach ihm gab es in Galizien zwei von einander durchaus verschiedene Na¬ tionen, nämlich erstens die Polen, ein slavisches Volk von schlankem Wuchse, blauen Augen, blondem Haar u. s. w., ungefähr wie die Deutschen des Tacitus, und zweitens die Sarmaten, ein Volk von kleiner Statur, dunkeln Haaren und Augen, die nicht einmal Slaven sind, sondern in gerader Linie vom babylonischen Könige Nebucadnezar abstammen und vor alten Zeiten von Asien her nach Polen eingedrungen waren, sich das Land unterworfen und die Eingeborenen, die eigent¬ lichen Polen, zu ihren Sklaven gemacht hatten, die sie bis zum heutigen Tage jämmerlich bedrücken. Diese bösen Sarmaten waren es nnn gewesen, die sich gegen Oestreich empört hatten und dafür von den loyalen Polen mit ihren Sensen und Dreschflegeln bedient wurden, womit ihnen natürlich ganz recht geschah. Als später unser jetziger Minister des Innern, der sich bekanntlich ebenfalls viel mit politischer Ethnographie befaßt, die Verwaltung Galiziens übernahm und in neuester Zeit wieder politische Bewegungen in diesem Lande zu beobachten Gc- Breiijbvten. it. Is4S. Hg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/361>, abgerufen am 15.01.2025.