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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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um den übrigen Bundesstaaten den Zutritt zu erleichtern, sich über den Entwurf
einer allgemeinen Verfassung vereinbart haben, unter welcher der engere Bundes¬
staat, mit Ausschluß Oestreichs, gebildet werden könne. Diese Erklärung
hat aber nicht einmal für die drei Staate", welche sie unterzeich¬
net haben, bindende Kraft. Der König von Sachsen hat in der Prokla¬
mation an sein'Volk ausdrücklich erklärt, sie sei nur unter dem Vorbehalt
der Genehmigung der verfassungsmäßigen Kammern vollzogen.
Daß aber die nach dem zu Recht bestehenden Wahlgesetz einberufenen sächsischen
Kammern diese Verfassung nicht genehmigen werden, liegt wohl ziemlich außer
allem Zweifel. Eben so wenig werden es die hannöverschen Kammern thun, und
so bliebe doch Preußen wieder allein übrig. Baiern wird durch Oestreich, Wür-
temberg und Baden durch seine Demokraten von dem Beitritt zurückgehalten
werden.

Wäre die Verfassung, wie sie jetzt vorliegt, aus einem Beschluß der Natio¬
nalversammlung hervorgegangen, und nicht ein Gnadengeschenk des Ministers Man-
teuffel, das gewohnt ist, ähnliche Geschenke unter Umständen wieder zurückzuneh¬
men , so ließe sich gegen den Inhalt derselben wenig Erhebliches einwenden. Sie
ist in manchen Beziehungen besser, in manchen schlechter als die Frankfurter. Bes¬
ser , deun sie hält den Charakter des Bundesstaates strenger fest, sie geht bestimm¬
ter von den fertigen Staaten ans; schlechter, denn ihr Verhältniß zu Grvßdentsch-
land ist unklar, oder, um es bestimmter ausznspreche", lügenhaft. Ob diejenigen
Bestimmungen, welche zur Beschränkung der Demokratie eingeführt sind, an und
für sich besser oder schlechter sein mögen, kann dahingestellt bleiben: für den Augen¬
blick sind sie jedenfalls schlechter, deun sie sind unpopulär, und rufen eine prin¬
cipielle Opposition des Volks hervor.

Wenn die Völker Deutschlands eben so vernünftig wären, als ihre Regie¬
rungen es nicht gewesen sind, so würden sie die Anträge Preußens an-
nehmen. Auf das abstrakte Rechtsprincip kommt es nicht an in einem Augen¬
blick, wo die größte Gefahr für ein völliges Auseinanderfallen Deutschlands vor¬
handen ist, und wenn das Volk verdienen will, politisch reif zu sein, so bietet
auch diese Verfassung ihm hinlängliche Gelegenheit, sich die volle Freiheit zu er¬
kämpfen. Der Versuch, um Stuttgart herum einen deutschen Bundesstaat zu kry-
stallisiren, muß zum Schlimmsten führen, zum Abfall eines Theils von Deutsch¬
land an Frankreich. Zudem ist die Verfassung die angemessenste Form, mit denen,
welche bisher der Einheit Deutschlands aus blindem Eigendünkel oder Befangenheit
in verrotteten Vorurtheilen widerstrebt haben, zu Gericht zu gehn.




um den übrigen Bundesstaaten den Zutritt zu erleichtern, sich über den Entwurf
einer allgemeinen Verfassung vereinbart haben, unter welcher der engere Bundes¬
staat, mit Ausschluß Oestreichs, gebildet werden könne. Diese Erklärung
hat aber nicht einmal für die drei Staate», welche sie unterzeich¬
net haben, bindende Kraft. Der König von Sachsen hat in der Prokla¬
mation an sein'Volk ausdrücklich erklärt, sie sei nur unter dem Vorbehalt
der Genehmigung der verfassungsmäßigen Kammern vollzogen.
Daß aber die nach dem zu Recht bestehenden Wahlgesetz einberufenen sächsischen
Kammern diese Verfassung nicht genehmigen werden, liegt wohl ziemlich außer
allem Zweifel. Eben so wenig werden es die hannöverschen Kammern thun, und
so bliebe doch Preußen wieder allein übrig. Baiern wird durch Oestreich, Wür-
temberg und Baden durch seine Demokraten von dem Beitritt zurückgehalten
werden.

Wäre die Verfassung, wie sie jetzt vorliegt, aus einem Beschluß der Natio¬
nalversammlung hervorgegangen, und nicht ein Gnadengeschenk des Ministers Man-
teuffel, das gewohnt ist, ähnliche Geschenke unter Umständen wieder zurückzuneh¬
men , so ließe sich gegen den Inhalt derselben wenig Erhebliches einwenden. Sie
ist in manchen Beziehungen besser, in manchen schlechter als die Frankfurter. Bes¬
ser , deun sie hält den Charakter des Bundesstaates strenger fest, sie geht bestimm¬
ter von den fertigen Staaten ans; schlechter, denn ihr Verhältniß zu Grvßdentsch-
land ist unklar, oder, um es bestimmter ausznspreche», lügenhaft. Ob diejenigen
Bestimmungen, welche zur Beschränkung der Demokratie eingeführt sind, an und
für sich besser oder schlechter sein mögen, kann dahingestellt bleiben: für den Augen¬
blick sind sie jedenfalls schlechter, deun sie sind unpopulär, und rufen eine prin¬
cipielle Opposition des Volks hervor.

Wenn die Völker Deutschlands eben so vernünftig wären, als ihre Regie¬
rungen es nicht gewesen sind, so würden sie die Anträge Preußens an-
nehmen. Auf das abstrakte Rechtsprincip kommt es nicht an in einem Augen¬
blick, wo die größte Gefahr für ein völliges Auseinanderfallen Deutschlands vor¬
handen ist, und wenn das Volk verdienen will, politisch reif zu sein, so bietet
auch diese Verfassung ihm hinlängliche Gelegenheit, sich die volle Freiheit zu er¬
kämpfen. Der Versuch, um Stuttgart herum einen deutschen Bundesstaat zu kry-
stallisiren, muß zum Schlimmsten führen, zum Abfall eines Theils von Deutsch¬
land an Frankreich. Zudem ist die Verfassung die angemessenste Form, mit denen,
welche bisher der Einheit Deutschlands aus blindem Eigendünkel oder Befangenheit
in verrotteten Vorurtheilen widerstrebt haben, zu Gericht zu gehn.




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[0360] um den übrigen Bundesstaaten den Zutritt zu erleichtern, sich über den Entwurf einer allgemeinen Verfassung vereinbart haben, unter welcher der engere Bundes¬ staat, mit Ausschluß Oestreichs, gebildet werden könne. Diese Erklärung hat aber nicht einmal für die drei Staate», welche sie unterzeich¬ net haben, bindende Kraft. Der König von Sachsen hat in der Prokla¬ mation an sein'Volk ausdrücklich erklärt, sie sei nur unter dem Vorbehalt der Genehmigung der verfassungsmäßigen Kammern vollzogen. Daß aber die nach dem zu Recht bestehenden Wahlgesetz einberufenen sächsischen Kammern diese Verfassung nicht genehmigen werden, liegt wohl ziemlich außer allem Zweifel. Eben so wenig werden es die hannöverschen Kammern thun, und so bliebe doch Preußen wieder allein übrig. Baiern wird durch Oestreich, Wür- temberg und Baden durch seine Demokraten von dem Beitritt zurückgehalten werden. Wäre die Verfassung, wie sie jetzt vorliegt, aus einem Beschluß der Natio¬ nalversammlung hervorgegangen, und nicht ein Gnadengeschenk des Ministers Man- teuffel, das gewohnt ist, ähnliche Geschenke unter Umständen wieder zurückzuneh¬ men , so ließe sich gegen den Inhalt derselben wenig Erhebliches einwenden. Sie ist in manchen Beziehungen besser, in manchen schlechter als die Frankfurter. Bes¬ ser , deun sie hält den Charakter des Bundesstaates strenger fest, sie geht bestimm¬ ter von den fertigen Staaten ans; schlechter, denn ihr Verhältniß zu Grvßdentsch- land ist unklar, oder, um es bestimmter ausznspreche», lügenhaft. Ob diejenigen Bestimmungen, welche zur Beschränkung der Demokratie eingeführt sind, an und für sich besser oder schlechter sein mögen, kann dahingestellt bleiben: für den Augen¬ blick sind sie jedenfalls schlechter, deun sie sind unpopulär, und rufen eine prin¬ cipielle Opposition des Volks hervor. Wenn die Völker Deutschlands eben so vernünftig wären, als ihre Regie¬ rungen es nicht gewesen sind, so würden sie die Anträge Preußens an- nehmen. Auf das abstrakte Rechtsprincip kommt es nicht an in einem Augen¬ blick, wo die größte Gefahr für ein völliges Auseinanderfallen Deutschlands vor¬ handen ist, und wenn das Volk verdienen will, politisch reif zu sein, so bietet auch diese Verfassung ihm hinlängliche Gelegenheit, sich die volle Freiheit zu er¬ kämpfen. Der Versuch, um Stuttgart herum einen deutschen Bundesstaat zu kry- stallisiren, muß zum Schlimmsten führen, zum Abfall eines Theils von Deutsch¬ land an Frankreich. Zudem ist die Verfassung die angemessenste Form, mit denen, welche bisher der Einheit Deutschlands aus blindem Eigendünkel oder Befangenheit in verrotteten Vorurtheilen widerstrebt haben, zu Gericht zu gehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/360>, abgerufen am 15.01.2025.