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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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daß er es mit Widerstreben that. Aber trauern dürfen wir, daß das Geschick
seiner Würde nicht wenigstens den Fluch des Lächerlichen erspart hat. Das Mi¬
nisterium Grävell -- als Nachfolger eines Gagern -- schließt die Erhebung des
Volks mit einem schlechten Theaterwitz. Schmerling war der böse Genius der
Nationalversammlung, Grävell aber war in der für einen Staatsmann unendlich
ungeschickteren Lage, ihr unfreiwilliger Spaßmacher zu sein: die penible Gewissen¬
haftigkeit in einer Zeit raschen Entschlusses, die extreme Pedanterie in einer Ver¬
sammlung voll wahrer und gemachter Genialität. Grävell ist ein ehrlicher Mann,
aber eine ungemessne Eitelkeit hat ihn über seinen Beruf geblendet: in eine Stel¬
lung gedrängt, wo auch der Entschlvsseue keinen Ausweg findet, wird er den schlimm¬
sten Schluß hervorrufen, den eine große Sache haben kann, die Farce. Neben
ihm Herr Detmold, der feine satyrische Advocat, der, wie ein ministerielles Blatt
ganz in vollem, naivem Ernste meinte, für die Auflösung der Versammlung schon
darum sein muß, weil auf dem Bureau sein Talent sich viel glücklicher entwickeln
darf, als ans der Rednerbühne, wo die zwerghafte Gestalt mit dem Höcker seinen
Erfolgen immer in den Weg treten muß; endlich, pour comble cle pluisu-, als
Minister des Aeußern ein Pascha mit drei Noßschweifen, ein Abenteuerer ohne
Zweck und Gehalt, ein Diener aller möglichen Monarchen, der jetzt die Geschicke
Deutschlands in seine Hand nehmen soll! Einem derartigen Reichsregiment gegen¬
über hat freilich Preuße" uicht Noth, irgend Respect zu beweisen, auch wenn eine
noch schlechtere Verwaltung an seiner Spitze stände, als diejenige, deren wir uns
jetzt erfreuen.

Was nun die Demokraten betrifft, so ist in Baden die letzte Hülle gefallen.
Die Reise des Herrn Rüge als Abgeordneten nach Paris, verbunden mit der
Abwerfung des Welker'schen Amendements in der Paulskirche und den freund¬
schaftlichen Verhältnissen zu den französischen Grenzern zeigen es deutlich, daß wir
es nicht blos mit Anarchisten zu thun haben,'mit Schwindlern, die um bequemer
aufräumen zu können, Alles über den Haufen werfen, sondern mit offenbaren
Verräthern, welche die Zeiten von 1806 erneuen wollen. Wer freilich zu seiner
Hilfe die Russen ius Vaterland ruft, hat kaum ein Recht, sich darüber zu be¬
1"!'. schweren. ,


Nachtrag.

So eben bringt der Staatsanzeiger die lange verheißene octroyirte Reichs-
verfassung. Ich behalte mir eine ausführliche Kritik derselben, im Vergleich zu
der in Frankfurt entworfenen, für das nächste Heft vor. Für jetzt uur Fol¬
gendes.

Drei deutsche Mächte, Preußen, Sachsen und Hannover erklären, daß sie
innerhalb des deutschen Bundes ein engeres Bündniß geschlossen, und zugleich,


daß er es mit Widerstreben that. Aber trauern dürfen wir, daß das Geschick
seiner Würde nicht wenigstens den Fluch des Lächerlichen erspart hat. Das Mi¬
nisterium Grävell — als Nachfolger eines Gagern — schließt die Erhebung des
Volks mit einem schlechten Theaterwitz. Schmerling war der böse Genius der
Nationalversammlung, Grävell aber war in der für einen Staatsmann unendlich
ungeschickteren Lage, ihr unfreiwilliger Spaßmacher zu sein: die penible Gewissen¬
haftigkeit in einer Zeit raschen Entschlusses, die extreme Pedanterie in einer Ver¬
sammlung voll wahrer und gemachter Genialität. Grävell ist ein ehrlicher Mann,
aber eine ungemessne Eitelkeit hat ihn über seinen Beruf geblendet: in eine Stel¬
lung gedrängt, wo auch der Entschlvsseue keinen Ausweg findet, wird er den schlimm¬
sten Schluß hervorrufen, den eine große Sache haben kann, die Farce. Neben
ihm Herr Detmold, der feine satyrische Advocat, der, wie ein ministerielles Blatt
ganz in vollem, naivem Ernste meinte, für die Auflösung der Versammlung schon
darum sein muß, weil auf dem Bureau sein Talent sich viel glücklicher entwickeln
darf, als ans der Rednerbühne, wo die zwerghafte Gestalt mit dem Höcker seinen
Erfolgen immer in den Weg treten muß; endlich, pour comble cle pluisu-, als
Minister des Aeußern ein Pascha mit drei Noßschweifen, ein Abenteuerer ohne
Zweck und Gehalt, ein Diener aller möglichen Monarchen, der jetzt die Geschicke
Deutschlands in seine Hand nehmen soll! Einem derartigen Reichsregiment gegen¬
über hat freilich Preuße» uicht Noth, irgend Respect zu beweisen, auch wenn eine
noch schlechtere Verwaltung an seiner Spitze stände, als diejenige, deren wir uns
jetzt erfreuen.

Was nun die Demokraten betrifft, so ist in Baden die letzte Hülle gefallen.
Die Reise des Herrn Rüge als Abgeordneten nach Paris, verbunden mit der
Abwerfung des Welker'schen Amendements in der Paulskirche und den freund¬
schaftlichen Verhältnissen zu den französischen Grenzern zeigen es deutlich, daß wir
es nicht blos mit Anarchisten zu thun haben,'mit Schwindlern, die um bequemer
aufräumen zu können, Alles über den Haufen werfen, sondern mit offenbaren
Verräthern, welche die Zeiten von 1806 erneuen wollen. Wer freilich zu seiner
Hilfe die Russen ius Vaterland ruft, hat kaum ein Recht, sich darüber zu be¬
1"!'. schweren. ,


Nachtrag.

So eben bringt der Staatsanzeiger die lange verheißene octroyirte Reichs-
verfassung. Ich behalte mir eine ausführliche Kritik derselben, im Vergleich zu
der in Frankfurt entworfenen, für das nächste Heft vor. Für jetzt uur Fol¬
gendes.

Drei deutsche Mächte, Preußen, Sachsen und Hannover erklären, daß sie
innerhalb des deutschen Bundes ein engeres Bündniß geschlossen, und zugleich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/359>, abgerufen am 15.01.2025.