Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auslösung der Nationalversammlung.



Der Kampf für die Reichsverfassung ist, wenigstens in der gegenwärtigen Phase
unserer Revolution, als beendigt anzusehn; unsere Partei hat ihn verloren. Der
Austritt derjenigen Männer, von welchen die Idee zu derselben ausgegangen ist
Dahlmann und Heinrich von Gagern an der Spitze, war der letzte Schritt,
den man freilich nach den frühern Vorgängen mit Bestimmtheit erwarten konnte.
Wie die Sache jetzt steht, stehn sich zwei Parteien gegenüber, die mit der Reichs-
verfassung beide nichts zu thun haben. Der Kampf ist begonnen, und läßt sich
nicht weiter aufhalten. Wem wir für den jetzigen Augenblick den Sieg wünschen,
kann nicht zweifelhaft sein. Bei einem Siege der Regierungen ist wenigstens die
Möglichkeit vorhanden, daß sie ihn mit Maß und Vernunft gebrauchen; ein Sieg
der Republikaner aber ist nur der Anfang eines chaotischen Getümmels, von dem
sich kein Ende absehn läßt.

Daß unter diesen Umständen unsere Partei in Frankfurt sich nicht länger dazu
hergeben konnte, schon durch ihre Existenz einer Richtung in die Hände zu arbei¬
ten, die ihr feindlich ist, verstand sich von selbst. Sie haben unter zwei Uebeln
das kleinere gewählt, sie haben die unmittelbare Betheiligung an einem Kampfe
aufgegeben, dem sie nicht mehr gewachsen waren. Und dennoch war es ein schwe¬
rer, schmerzlicher Schritt. Der Idealismus der Nation, der an dieser Versamm¬
lung sich erwärmte, hat seinen letzten Halt verloren, die Anstrengung eines Jah¬
res, welches Deutschland das größte seiner Geschichte zu nennen geneigt war, ist
umsonst gewesen.

Wir stehen wieder ans dem Standpunkt des Februar 1848. Ob wir von
den "Errungenschaften" der Revolution irgend eine behaupten werden, ist die Frage.
Der Kampf wird also von Neuem beginnen, und zwar ans dem Wege, auf wel¬
chem man hätte anfangen sollen, weil er der natürliche war: in den einzelnen
Staaten. Gewonnen haben wir eigentlich nur ein Feldgeschrei: die deutsche Reichs¬
verfassung. Von ihrem Inhalt ganz abgesehn, ist sie das Panier, unter welchem
die Freiheit sich sammeln wird, weil sie der einzige Ausdruck des gemeinsamen
Volkswillens ist.

Ihr Sieg wird den Fürsten nicht zu Gute kommen. In demselben Augen¬
blick , wo die Organe der preußischen Negierung ein Triumphgeschrei erheben, als
seien nun die Könige einig und es könne das Volk mit dem Geschenk seiner Heere
beglückt werden, spricht der Minister des Königs von Baiern in der Kammer es
"us, daß gerade die Punkte, auf welche Preußen den meisten Werth legt, nicht


Die Auslösung der Nationalversammlung.



Der Kampf für die Reichsverfassung ist, wenigstens in der gegenwärtigen Phase
unserer Revolution, als beendigt anzusehn; unsere Partei hat ihn verloren. Der
Austritt derjenigen Männer, von welchen die Idee zu derselben ausgegangen ist
Dahlmann und Heinrich von Gagern an der Spitze, war der letzte Schritt,
den man freilich nach den frühern Vorgängen mit Bestimmtheit erwarten konnte.
Wie die Sache jetzt steht, stehn sich zwei Parteien gegenüber, die mit der Reichs-
verfassung beide nichts zu thun haben. Der Kampf ist begonnen, und läßt sich
nicht weiter aufhalten. Wem wir für den jetzigen Augenblick den Sieg wünschen,
kann nicht zweifelhaft sein. Bei einem Siege der Regierungen ist wenigstens die
Möglichkeit vorhanden, daß sie ihn mit Maß und Vernunft gebrauchen; ein Sieg
der Republikaner aber ist nur der Anfang eines chaotischen Getümmels, von dem
sich kein Ende absehn läßt.

Daß unter diesen Umständen unsere Partei in Frankfurt sich nicht länger dazu
hergeben konnte, schon durch ihre Existenz einer Richtung in die Hände zu arbei¬
ten, die ihr feindlich ist, verstand sich von selbst. Sie haben unter zwei Uebeln
das kleinere gewählt, sie haben die unmittelbare Betheiligung an einem Kampfe
aufgegeben, dem sie nicht mehr gewachsen waren. Und dennoch war es ein schwe¬
rer, schmerzlicher Schritt. Der Idealismus der Nation, der an dieser Versamm¬
lung sich erwärmte, hat seinen letzten Halt verloren, die Anstrengung eines Jah¬
res, welches Deutschland das größte seiner Geschichte zu nennen geneigt war, ist
umsonst gewesen.

Wir stehen wieder ans dem Standpunkt des Februar 1848. Ob wir von
den „Errungenschaften" der Revolution irgend eine behaupten werden, ist die Frage.
Der Kampf wird also von Neuem beginnen, und zwar ans dem Wege, auf wel¬
chem man hätte anfangen sollen, weil er der natürliche war: in den einzelnen
Staaten. Gewonnen haben wir eigentlich nur ein Feldgeschrei: die deutsche Reichs¬
verfassung. Von ihrem Inhalt ganz abgesehn, ist sie das Panier, unter welchem
die Freiheit sich sammeln wird, weil sie der einzige Ausdruck des gemeinsamen
Volkswillens ist.

Ihr Sieg wird den Fürsten nicht zu Gute kommen. In demselben Augen¬
blick , wo die Organe der preußischen Negierung ein Triumphgeschrei erheben, als
seien nun die Könige einig und es könne das Volk mit dem Geschenk seiner Heere
beglückt werden, spricht der Minister des Königs von Baiern in der Kammer es
"us, daß gerade die Punkte, auf welche Preußen den meisten Werth legt, nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278861"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Auslösung der Nationalversammlung.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Der Kampf für die Reichsverfassung ist, wenigstens in der gegenwärtigen Phase<lb/>
unserer Revolution, als beendigt anzusehn; unsere Partei hat ihn verloren. Der<lb/>
Austritt derjenigen Männer, von welchen die Idee zu derselben ausgegangen ist<lb/>
Dahlmann und Heinrich von Gagern an der Spitze, war der letzte Schritt,<lb/>
den man freilich nach den frühern Vorgängen mit Bestimmtheit erwarten konnte.<lb/>
Wie die Sache jetzt steht, stehn sich zwei Parteien gegenüber, die mit der Reichs-<lb/>
verfassung beide nichts zu thun haben. Der Kampf ist begonnen, und läßt sich<lb/>
nicht weiter aufhalten. Wem wir für den jetzigen Augenblick den Sieg wünschen,<lb/>
kann nicht zweifelhaft sein. Bei einem Siege der Regierungen ist wenigstens die<lb/>
Möglichkeit vorhanden, daß sie ihn mit Maß und Vernunft gebrauchen; ein Sieg<lb/>
der Republikaner aber ist nur der Anfang eines chaotischen Getümmels, von dem<lb/>
sich kein Ende absehn läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075"> Daß unter diesen Umständen unsere Partei in Frankfurt sich nicht länger dazu<lb/>
hergeben konnte, schon durch ihre Existenz einer Richtung in die Hände zu arbei¬<lb/>
ten, die ihr feindlich ist, verstand sich von selbst. Sie haben unter zwei Uebeln<lb/>
das kleinere gewählt, sie haben die unmittelbare Betheiligung an einem Kampfe<lb/>
aufgegeben, dem sie nicht mehr gewachsen waren. Und dennoch war es ein schwe¬<lb/>
rer, schmerzlicher Schritt. Der Idealismus der Nation, der an dieser Versamm¬<lb/>
lung sich erwärmte, hat seinen letzten Halt verloren, die Anstrengung eines Jah¬<lb/>
res, welches Deutschland das größte seiner Geschichte zu nennen geneigt war, ist<lb/>
umsonst gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Wir stehen wieder ans dem Standpunkt des Februar 1848. Ob wir von<lb/>
den &#x201E;Errungenschaften" der Revolution irgend eine behaupten werden, ist die Frage.<lb/>
Der Kampf wird also von Neuem beginnen, und zwar ans dem Wege, auf wel¬<lb/>
chem man hätte anfangen sollen, weil er der natürliche war: in den einzelnen<lb/>
Staaten. Gewonnen haben wir eigentlich nur ein Feldgeschrei: die deutsche Reichs¬<lb/>
verfassung. Von ihrem Inhalt ganz abgesehn, ist sie das Panier, unter welchem<lb/>
die Freiheit sich sammeln wird, weil sie der einzige Ausdruck des gemeinsamen<lb/>
Volkswillens ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077" next="#ID_1078"> Ihr Sieg wird den Fürsten nicht zu Gute kommen. In demselben Augen¬<lb/>
blick , wo die Organe der preußischen Negierung ein Triumphgeschrei erheben, als<lb/>
seien nun die Könige einig und es könne das Volk mit dem Geschenk seiner Heere<lb/>
beglückt werden, spricht der Minister des Königs von Baiern in der Kammer es<lb/>
"us, daß gerade die Punkte, auf welche Preußen den meisten Werth legt, nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] Die Auslösung der Nationalversammlung. Der Kampf für die Reichsverfassung ist, wenigstens in der gegenwärtigen Phase unserer Revolution, als beendigt anzusehn; unsere Partei hat ihn verloren. Der Austritt derjenigen Männer, von welchen die Idee zu derselben ausgegangen ist Dahlmann und Heinrich von Gagern an der Spitze, war der letzte Schritt, den man freilich nach den frühern Vorgängen mit Bestimmtheit erwarten konnte. Wie die Sache jetzt steht, stehn sich zwei Parteien gegenüber, die mit der Reichs- verfassung beide nichts zu thun haben. Der Kampf ist begonnen, und läßt sich nicht weiter aufhalten. Wem wir für den jetzigen Augenblick den Sieg wünschen, kann nicht zweifelhaft sein. Bei einem Siege der Regierungen ist wenigstens die Möglichkeit vorhanden, daß sie ihn mit Maß und Vernunft gebrauchen; ein Sieg der Republikaner aber ist nur der Anfang eines chaotischen Getümmels, von dem sich kein Ende absehn läßt. Daß unter diesen Umständen unsere Partei in Frankfurt sich nicht länger dazu hergeben konnte, schon durch ihre Existenz einer Richtung in die Hände zu arbei¬ ten, die ihr feindlich ist, verstand sich von selbst. Sie haben unter zwei Uebeln das kleinere gewählt, sie haben die unmittelbare Betheiligung an einem Kampfe aufgegeben, dem sie nicht mehr gewachsen waren. Und dennoch war es ein schwe¬ rer, schmerzlicher Schritt. Der Idealismus der Nation, der an dieser Versamm¬ lung sich erwärmte, hat seinen letzten Halt verloren, die Anstrengung eines Jah¬ res, welches Deutschland das größte seiner Geschichte zu nennen geneigt war, ist umsonst gewesen. Wir stehen wieder ans dem Standpunkt des Februar 1848. Ob wir von den „Errungenschaften" der Revolution irgend eine behaupten werden, ist die Frage. Der Kampf wird also von Neuem beginnen, und zwar ans dem Wege, auf wel¬ chem man hätte anfangen sollen, weil er der natürliche war: in den einzelnen Staaten. Gewonnen haben wir eigentlich nur ein Feldgeschrei: die deutsche Reichs¬ verfassung. Von ihrem Inhalt ganz abgesehn, ist sie das Panier, unter welchem die Freiheit sich sammeln wird, weil sie der einzige Ausdruck des gemeinsamen Volkswillens ist. Ihr Sieg wird den Fürsten nicht zu Gute kommen. In demselben Augen¬ blick , wo die Organe der preußischen Negierung ein Triumphgeschrei erheben, als seien nun die Könige einig und es könne das Volk mit dem Geschenk seiner Heere beglückt werden, spricht der Minister des Königs von Baiern in der Kammer es "us, daß gerade die Punkte, auf welche Preußen den meisten Werth legt, nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/351>, abgerufen am 15.01.2025.