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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Er wird den Siegern nicht zu Gute kommen. Sie sind eben so wenig pro-
ductiv als die Republikaner. Sie können mit ihren Heeren den Aufstand bändi¬
gen, aber sie können den wankenden Staatsorganismus nicht wieder in seine Fugen
einrücken. Entweder halten sie bei der Verfassung, an die sie gleichfalls durch
ihre Ehre gebunden sind, und dann erliegen sie auf eine gesetzliche Weise der
Demokratie; oder sie wagen einen neuen Staatsstreich und damit ist der letzte
Nest des Nechtsgesühls in der Nation untergraben und die Revolution nnr auf
kurze Zeit vertagt, die durch eine weise Anordnung der Umstände bereits hätte
beendigt sein können.


2. Italien.

Es ist ein leidiger Trost, wenn wir das Joch, unter dem wir seufzen, auch
aus Anderen lasten sehen. Unser Freiheitötraum ist nicht schneller verflogen, als
der Rausch unserer Nachbarn im Süden und Westen. Eine Armee der französischen
Republik identificirt auf italienischem Boden Republik mit Anarchie und erklärt
die freien Städte in Belagerungszustand, um das göttliche Recht des Papstes,
vou freche", heidnischen Unterthanen verletzt, wieder herzustellen. Die National¬
versammlung, der ganz reaktionären Negierung gegenüber im Geruch eines extre¬
men Radikalismus, erklärt sich mit 42!! gegen 226 Stimmen sür das Fortbestehn
des Preßzwanggesetzcs und unterwirft die Presse Cautionen, die noch bei uns
unerhört sind. Sie genehmigt die Schließung der Clubs, also die dauernde
Suspension deö Vereiuiguugsrechtes. Herr Falloux, Cultusminister, erläßt an
die naseweisen Schullehrer um Circnlar, das Eichhorn nicht besser hätte abfassen
können. Eine partielle Amnestie der politischen Verbrecher, eine Mäßigung der
massemveisen Deportationen, wird als Gnadenact am Jahrestag der Republik der
Nation ins Gesicht geworfen. In der auswärtigen Politik waltet die alte dyna¬
stische Intrigue, im Innern dreht sich das Hauptinteresse um die persönlichen
Angelegenheiten des neuen Hoff, der Familie Bonaparte. Wie in Oestreich, do-
r.iinirt der Wille der Feldherrn, nur daß neben ihnen noch die Herren von der
Börse und ihre Agenten das Wort führen. Die gesammte Reaction, mit welchem
königlichen Portrait sie sich auch ansstasfiren möge, sammelt sich um die Doktri¬
närs des alten Regiments. Für die socialistischen Fragen, in denen man die eigent¬
liche Productivität der neuen Staatsumwälzung sah, hat man weiter keine Ant-^
wort, als Gefängniß, Geldstrafen und die Carricaturen des Charivari. Dem
forcirten Pathos der modernen Gläubigen, P. Leroux, Proudhon und wie sie
heißen, stellt sich der rohe Cynismus der Besitzenden entgegen. Für die staatliche
Organisation ist gerade so wenig geschehen, als uuter Guizot, und wäre man nicht
durch die Wahl uuter verschiedenen Dynastien in Verlegenheit gesetzt, schon längst
wäre das Palladium des souveränen Egoismus wieder auf dem Altar des Vater¬
landes ausgerichtet.


Er wird den Siegern nicht zu Gute kommen. Sie sind eben so wenig pro-
ductiv als die Republikaner. Sie können mit ihren Heeren den Aufstand bändi¬
gen, aber sie können den wankenden Staatsorganismus nicht wieder in seine Fugen
einrücken. Entweder halten sie bei der Verfassung, an die sie gleichfalls durch
ihre Ehre gebunden sind, und dann erliegen sie auf eine gesetzliche Weise der
Demokratie; oder sie wagen einen neuen Staatsstreich und damit ist der letzte
Nest des Nechtsgesühls in der Nation untergraben und die Revolution nnr auf
kurze Zeit vertagt, die durch eine weise Anordnung der Umstände bereits hätte
beendigt sein können.


2. Italien.

Es ist ein leidiger Trost, wenn wir das Joch, unter dem wir seufzen, auch
aus Anderen lasten sehen. Unser Freiheitötraum ist nicht schneller verflogen, als
der Rausch unserer Nachbarn im Süden und Westen. Eine Armee der französischen
Republik identificirt auf italienischem Boden Republik mit Anarchie und erklärt
die freien Städte in Belagerungszustand, um das göttliche Recht des Papstes,
vou freche», heidnischen Unterthanen verletzt, wieder herzustellen. Die National¬
versammlung, der ganz reaktionären Negierung gegenüber im Geruch eines extre¬
men Radikalismus, erklärt sich mit 42!! gegen 226 Stimmen sür das Fortbestehn
des Preßzwanggesetzcs und unterwirft die Presse Cautionen, die noch bei uns
unerhört sind. Sie genehmigt die Schließung der Clubs, also die dauernde
Suspension deö Vereiuiguugsrechtes. Herr Falloux, Cultusminister, erläßt an
die naseweisen Schullehrer um Circnlar, das Eichhorn nicht besser hätte abfassen
können. Eine partielle Amnestie der politischen Verbrecher, eine Mäßigung der
massemveisen Deportationen, wird als Gnadenact am Jahrestag der Republik der
Nation ins Gesicht geworfen. In der auswärtigen Politik waltet die alte dyna¬
stische Intrigue, im Innern dreht sich das Hauptinteresse um die persönlichen
Angelegenheiten des neuen Hoff, der Familie Bonaparte. Wie in Oestreich, do-
r.iinirt der Wille der Feldherrn, nur daß neben ihnen noch die Herren von der
Börse und ihre Agenten das Wort führen. Die gesammte Reaction, mit welchem
königlichen Portrait sie sich auch ansstasfiren möge, sammelt sich um die Doktri¬
närs des alten Regiments. Für die socialistischen Fragen, in denen man die eigent¬
liche Productivität der neuen Staatsumwälzung sah, hat man weiter keine Ant-^
wort, als Gefängniß, Geldstrafen und die Carricaturen des Charivari. Dem
forcirten Pathos der modernen Gläubigen, P. Leroux, Proudhon und wie sie
heißen, stellt sich der rohe Cynismus der Besitzenden entgegen. Für die staatliche
Organisation ist gerade so wenig geschehen, als uuter Guizot, und wäre man nicht
durch die Wahl uuter verschiedenen Dynastien in Verlegenheit gesetzt, schon längst
wäre das Palladium des souveränen Egoismus wieder auf dem Altar des Vater¬
landes ausgerichtet.


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[0266] Er wird den Siegern nicht zu Gute kommen. Sie sind eben so wenig pro- ductiv als die Republikaner. Sie können mit ihren Heeren den Aufstand bändi¬ gen, aber sie können den wankenden Staatsorganismus nicht wieder in seine Fugen einrücken. Entweder halten sie bei der Verfassung, an die sie gleichfalls durch ihre Ehre gebunden sind, und dann erliegen sie auf eine gesetzliche Weise der Demokratie; oder sie wagen einen neuen Staatsstreich und damit ist der letzte Nest des Nechtsgesühls in der Nation untergraben und die Revolution nnr auf kurze Zeit vertagt, die durch eine weise Anordnung der Umstände bereits hätte beendigt sein können. 2. Italien. Es ist ein leidiger Trost, wenn wir das Joch, unter dem wir seufzen, auch aus Anderen lasten sehen. Unser Freiheitötraum ist nicht schneller verflogen, als der Rausch unserer Nachbarn im Süden und Westen. Eine Armee der französischen Republik identificirt auf italienischem Boden Republik mit Anarchie und erklärt die freien Städte in Belagerungszustand, um das göttliche Recht des Papstes, vou freche», heidnischen Unterthanen verletzt, wieder herzustellen. Die National¬ versammlung, der ganz reaktionären Negierung gegenüber im Geruch eines extre¬ men Radikalismus, erklärt sich mit 42!! gegen 226 Stimmen sür das Fortbestehn des Preßzwanggesetzcs und unterwirft die Presse Cautionen, die noch bei uns unerhört sind. Sie genehmigt die Schließung der Clubs, also die dauernde Suspension deö Vereiuiguugsrechtes. Herr Falloux, Cultusminister, erläßt an die naseweisen Schullehrer um Circnlar, das Eichhorn nicht besser hätte abfassen können. Eine partielle Amnestie der politischen Verbrecher, eine Mäßigung der massemveisen Deportationen, wird als Gnadenact am Jahrestag der Republik der Nation ins Gesicht geworfen. In der auswärtigen Politik waltet die alte dyna¬ stische Intrigue, im Innern dreht sich das Hauptinteresse um die persönlichen Angelegenheiten des neuen Hoff, der Familie Bonaparte. Wie in Oestreich, do- r.iinirt der Wille der Feldherrn, nur daß neben ihnen noch die Herren von der Börse und ihre Agenten das Wort führen. Die gesammte Reaction, mit welchem königlichen Portrait sie sich auch ansstasfiren möge, sammelt sich um die Doktri¬ närs des alten Regiments. Für die socialistischen Fragen, in denen man die eigent¬ liche Productivität der neuen Staatsumwälzung sah, hat man weiter keine Ant-^ wort, als Gefängniß, Geldstrafen und die Carricaturen des Charivari. Dem forcirten Pathos der modernen Gläubigen, P. Leroux, Proudhon und wie sie heißen, stellt sich der rohe Cynismus der Besitzenden entgegen. Für die staatliche Organisation ist gerade so wenig geschehen, als uuter Guizot, und wäre man nicht durch die Wahl uuter verschiedenen Dynastien in Verlegenheit gesetzt, schon längst wäre das Palladium des souveränen Egoismus wieder auf dem Altar des Vater¬ landes ausgerichtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/266>, abgerufen am 15.01.2025.