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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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vollständige Hilf- und Ratlosigkeit der ruthenischen Bauern zur Agitation für die
Dynastie und gegen das Ministerium. Loblied wäre es gewesen, diesen int'.-niübns
(Sprachlosen) als treuer Dolmetscher zu dienen und sie dann nach eigenen! Gewissen
stimmen zu lassen. Allein er kommandirte sie -- wie Bauer in Berlin die Wasser-
polacken -- zum Aufstehen und Niedersitzen. Vom juristischen Standtpunkt läßt
sich dies constitutionelle Marionettenspiel nicht verurtheilen; für harmlos mag ein
solcher Kunstgriff in England oder Amerika gelten: sündhaft war es, den jung-
baulichen Glauben der Wiener Jugend an die Heiligkeit und Wahrheit des con-
stitutionellen Wesens zu untergraben. Es hieß mit andern Worten sagen: Ihr
habt Constitution gewollt. Gut, wir wollen Euch zeigen, daß wir auf Constitu-
ionisch dasselbe vermögen, wie auf Absolutistisch. Diese Taktik zur Erküusteluug
^u Majoritäten, sammt der Unverautwortlichkeit des Kriegsministers und der
Unwahrheit seiner öffentlichen Aussagen brachten die Schale des Volksmißtrauens
öUin Ueberfließen, reizten zu Gegenmine, zur Verschwörung und Gewalthat.

Wie viel die Olmützer Contrerevolution dem Grase" Stadion, wie viel sie
seinen Collegen Bach und Schwarzenberg verdankt, kann man zur Zeit schwerlich
"bwägcn. Die volle Verantwortlichkeit für das Wirken des Novemberministeriums
lastet jedoch um so sicherer und schwerer auf Sradion, als er zu herrisch und
k'genwillig war, um sich von untergeordneten Persönlichkeiten gängeln zu lassen.
D>e Scheinverfassuug vom 4. März kennen Sie. Am Vorabend der Kremsierer
Katastrophe wies Schnselka dem Grafen Stadion eine schreiende Lüge nach. Die¬
ser versicherte, nur die amtliche Verbreitung der Frankfurter Grundrechte Ander¬
st zu haben, während er allen Kreisäintern den Mas zugesandt hatte, auf je-
en Abdruck der Grundrechte und jeden Verbreiter eines solchen zu fahnden.
,° weit ging die contrerevolntionäre Verachtung der Volksmeinung, daß man es
'Acht der Mühe werth hielt, durch ein Paar Zeilen in der Wiener Zeitung der
Anklage entgegenzutreten, sondern sich stumm und laut, ohne Erröthen und Za-
^u, zur System der Lüge bekannte. Mehr noch entrüstete die massenhafte As-
s°"tirung der Studenten. Unter Metternich befreiten nur durchgängige Vorzugs-
^sser bei den jährlichen und halbjährlichen Zwangsprüfuugeu vom Soldatenrock.
Giftlose Büffelei, duckmäuserische Altklugheit, Kriechen oder Bestecher konnten
allein dem Studierende" die Auszeichnung der Vorzugsklassen sichern, und wenn
'^ehe grade die hoffnungsvollsten Studios jährlich in die Kaserne gesteckt wurden,
^° lag dies theils an der Bestechung der Militärärzte, theils an der Menschlichkeit
^ Provinz- und Lokalbehörden. Kaiser Ferdinand hob, bis zur Reform des
^'Neewesens, den Metternichschen Usus auf, und befreite vom Militärdienst alle
Edierenden, die deu fleißigen Besuch der Collegien nachwiesen. Das Cabinet
^ssirte das Edict Ferdinands und während er sich ans die Abschaffung der Pri-
i egie" berief, erklärte er nicht alle Studenten für militärpflichtig, sondern die-
°>"gen, welche nicht durch Glück oder vormärzliche Manipulirungen im Jahre


vollständige Hilf- und Ratlosigkeit der ruthenischen Bauern zur Agitation für die
Dynastie und gegen das Ministerium. Loblied wäre es gewesen, diesen int'.-niübns
(Sprachlosen) als treuer Dolmetscher zu dienen und sie dann nach eigenen! Gewissen
stimmen zu lassen. Allein er kommandirte sie — wie Bauer in Berlin die Wasser-
polacken — zum Aufstehen und Niedersitzen. Vom juristischen Standtpunkt läßt
sich dies constitutionelle Marionettenspiel nicht verurtheilen; für harmlos mag ein
solcher Kunstgriff in England oder Amerika gelten: sündhaft war es, den jung-
baulichen Glauben der Wiener Jugend an die Heiligkeit und Wahrheit des con-
stitutionellen Wesens zu untergraben. Es hieß mit andern Worten sagen: Ihr
habt Constitution gewollt. Gut, wir wollen Euch zeigen, daß wir auf Constitu-
ionisch dasselbe vermögen, wie auf Absolutistisch. Diese Taktik zur Erküusteluug
^u Majoritäten, sammt der Unverautwortlichkeit des Kriegsministers und der
Unwahrheit seiner öffentlichen Aussagen brachten die Schale des Volksmißtrauens
öUin Ueberfließen, reizten zu Gegenmine, zur Verschwörung und Gewalthat.

Wie viel die Olmützer Contrerevolution dem Grase» Stadion, wie viel sie
seinen Collegen Bach und Schwarzenberg verdankt, kann man zur Zeit schwerlich
"bwägcn. Die volle Verantwortlichkeit für das Wirken des Novemberministeriums
lastet jedoch um so sicherer und schwerer auf Sradion, als er zu herrisch und
k'genwillig war, um sich von untergeordneten Persönlichkeiten gängeln zu lassen.
D>e Scheinverfassuug vom 4. März kennen Sie. Am Vorabend der Kremsierer
Katastrophe wies Schnselka dem Grafen Stadion eine schreiende Lüge nach. Die¬
ser versicherte, nur die amtliche Verbreitung der Frankfurter Grundrechte Ander¬
st zu haben, während er allen Kreisäintern den Mas zugesandt hatte, auf je-
en Abdruck der Grundrechte und jeden Verbreiter eines solchen zu fahnden.
,° weit ging die contrerevolntionäre Verachtung der Volksmeinung, daß man es
'Acht der Mühe werth hielt, durch ein Paar Zeilen in der Wiener Zeitung der
Anklage entgegenzutreten, sondern sich stumm und laut, ohne Erröthen und Za-
^u, zur System der Lüge bekannte. Mehr noch entrüstete die massenhafte As-
s°"tirung der Studenten. Unter Metternich befreiten nur durchgängige Vorzugs-
^sser bei den jährlichen und halbjährlichen Zwangsprüfuugeu vom Soldatenrock.
Giftlose Büffelei, duckmäuserische Altklugheit, Kriechen oder Bestecher konnten
allein dem Studierende» die Auszeichnung der Vorzugsklassen sichern, und wenn
'^ehe grade die hoffnungsvollsten Studios jährlich in die Kaserne gesteckt wurden,
^° lag dies theils an der Bestechung der Militärärzte, theils an der Menschlichkeit
^ Provinz- und Lokalbehörden. Kaiser Ferdinand hob, bis zur Reform des
^'Neewesens, den Metternichschen Usus auf, und befreite vom Militärdienst alle
Edierenden, die deu fleißigen Besuch der Collegien nachwiesen. Das Cabinet
^ssirte das Edict Ferdinands und während er sich ans die Abschaffung der Pri-
i egie» berief, erklärte er nicht alle Studenten für militärpflichtig, sondern die-
°>"gen, welche nicht durch Glück oder vormärzliche Manipulirungen im Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/215>, abgerufen am 15.01.2025.