Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.die Donauländer, sagte Cankrin einmal, auf die östreichische Karte zeigend, sind Doch setzen wir den Fall, daß Oestreich mit seinen materiellen Interessen sich II. .... Er war kein Mann nach meinem Herzen. Dennoch möchte ich seinen Zum ersten Mal sah ich den Grafen Franz Stadion als Abgeordneten in der die Donauländer, sagte Cankrin einmal, auf die östreichische Karte zeigend, sind Doch setzen wir den Fall, daß Oestreich mit seinen materiellen Interessen sich II. .... Er war kein Mann nach meinem Herzen. Dennoch möchte ich seinen Zum ersten Mal sah ich den Grafen Franz Stadion als Abgeordneten in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278724"/> <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> die Donauländer, sagte Cankrin einmal, auf die östreichische Karte zeigend, sind<lb/> die Weichen des Krokvdills; nur dort die Fänge angesetzt!</p><lb/> <p xml:id="ID_659"> Doch setzen wir den Fall, daß Oestreich mit seinen materiellen Interessen sich<lb/> nicht ganz dem Czaren verschreibt oder daß es ihn dupirt, wie die Kirchenbann'<lb/> des Mittelalters den Gottseibeiuns — wird ein durch russische Hilfe gebändigtes<lb/> Ungarn nicht ein zweites Polen werden? Muß nicht Schwarzenberg's Politik eine<lb/> Provinz nach der andern in einen ewig glimmenden Ncvolutionöheerd verwandeln?<lb/> So daß ein Tag kommen wird, wo die Konservativen Enropas, im Interesse<lb/> des besonnenen Fortschritts, diese Monarchie fürchten werden, wie einen halb ver¬<lb/> westen Leichnam, dessen Ausdünstungen weithin die gesunden Lüfte der Freiheit<lb/> und Civilisation verpesten.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> II.</head><lb/> <p xml:id="ID_660"> .... Er war kein Mann nach meinem Herzen. Dennoch möchte ich seinen<lb/> Nekrolog in Ihren Blättern von keiner unbarmherzigen Feder geschrieben sehen<lb/> und suche deshalb andern Hioböbotcn zuvorzukommen. Stadion gehört unter<lb/> die zahllosen Opfer, die das östreichische Fatum gekostet hat und kosten wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Zum ersten Mal sah ich den Grafen Franz Stadion als Abgeordneten in der<lb/> hiesigen Reitschule. Während einer Pause der Verhandlung stand er inmitten<lb/> einer Gruppe von Deputaten, alle um einen Kopf überragend, mit Ausnahme<lb/> Löhners, welcher lebhaft vor ihm gesticulirte. Stadion verharrte stolz und re¬<lb/> gungslos : eine Marmorstatue gegenüber der verkörperten Leidenschaftlichkeit. Vom<lb/> Weiten hatte sein Aeußeres einen Anflug vom englischen Staatsmann; in der Nähe<lb/> gesehen, machte er einen kanzleistylartigen Eindruck. Er sprach mühsam pedan¬<lb/> tische Gemeinplätze, zuweilen entschlüpfen ihm Worte und Phrasen, die an das<lb/> Kucheldeutsch der Maria Theresia erinnerten. Er hatte in frühern Jahren Eng¬<lb/> land bereist und liebte es, seine Bewunderung für gewisse praktische Kleinigkeiten,<lb/> die ihm dort auffielen, an den Tag zu legen; z. B. die Art der HäusernumeN-<lb/> rung, die englischen Wegweiser, welche durch Reliefbuchstaben ihren Zweck auch<lb/> in stockfinstrer Nacht erfüllen u. f. w. Als Gouverneur von Jstrien eiferte er, so<lb/> weit es ging, den britischen Mustern nach, etwa wie Woronzoff in Bessarabien.<lb/> Er genoß dafür in Trieft'dieselbe wohlverdiente Popularität wie der aufgeklärte<lb/> Russe in Odessa. Unermüdlicher Fleiß und entschiedenes Talent im Administriren<lb/> waren ihm so wenig abzusprechen, wie die uneigennützigste Redlichkeit und der<lb/> unglückseligste Starisinn gegen jede bessere Einsicht. Diese Eigenschaften machte»<lb/> ihn zur Zeit der Dobblhoff'schen Ohnmacht zum Hoffnungsstern der Conservattv-<lb/> Liberalen in Oestreich. Seine Wirksamkeit beim coustttnirenden Reichstage schien<lb/> mir jedoch unwürdig des künftigen Staatsmannes. Statt mit muthiger Beredt-<lb/> samkeit in das Rad der überstürzenden Revolution zu greisen, benutzte er tre</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
die Donauländer, sagte Cankrin einmal, auf die östreichische Karte zeigend, sind
die Weichen des Krokvdills; nur dort die Fänge angesetzt!
Doch setzen wir den Fall, daß Oestreich mit seinen materiellen Interessen sich
nicht ganz dem Czaren verschreibt oder daß es ihn dupirt, wie die Kirchenbann'
des Mittelalters den Gottseibeiuns — wird ein durch russische Hilfe gebändigtes
Ungarn nicht ein zweites Polen werden? Muß nicht Schwarzenberg's Politik eine
Provinz nach der andern in einen ewig glimmenden Ncvolutionöheerd verwandeln?
So daß ein Tag kommen wird, wo die Konservativen Enropas, im Interesse
des besonnenen Fortschritts, diese Monarchie fürchten werden, wie einen halb ver¬
westen Leichnam, dessen Ausdünstungen weithin die gesunden Lüfte der Freiheit
und Civilisation verpesten.
II.
.... Er war kein Mann nach meinem Herzen. Dennoch möchte ich seinen
Nekrolog in Ihren Blättern von keiner unbarmherzigen Feder geschrieben sehen
und suche deshalb andern Hioböbotcn zuvorzukommen. Stadion gehört unter
die zahllosen Opfer, die das östreichische Fatum gekostet hat und kosten wird.
Zum ersten Mal sah ich den Grafen Franz Stadion als Abgeordneten in der
hiesigen Reitschule. Während einer Pause der Verhandlung stand er inmitten
einer Gruppe von Deputaten, alle um einen Kopf überragend, mit Ausnahme
Löhners, welcher lebhaft vor ihm gesticulirte. Stadion verharrte stolz und re¬
gungslos : eine Marmorstatue gegenüber der verkörperten Leidenschaftlichkeit. Vom
Weiten hatte sein Aeußeres einen Anflug vom englischen Staatsmann; in der Nähe
gesehen, machte er einen kanzleistylartigen Eindruck. Er sprach mühsam pedan¬
tische Gemeinplätze, zuweilen entschlüpfen ihm Worte und Phrasen, die an das
Kucheldeutsch der Maria Theresia erinnerten. Er hatte in frühern Jahren Eng¬
land bereist und liebte es, seine Bewunderung für gewisse praktische Kleinigkeiten,
die ihm dort auffielen, an den Tag zu legen; z. B. die Art der HäusernumeN-
rung, die englischen Wegweiser, welche durch Reliefbuchstaben ihren Zweck auch
in stockfinstrer Nacht erfüllen u. f. w. Als Gouverneur von Jstrien eiferte er, so
weit es ging, den britischen Mustern nach, etwa wie Woronzoff in Bessarabien.
Er genoß dafür in Trieft'dieselbe wohlverdiente Popularität wie der aufgeklärte
Russe in Odessa. Unermüdlicher Fleiß und entschiedenes Talent im Administriren
waren ihm so wenig abzusprechen, wie die uneigennützigste Redlichkeit und der
unglückseligste Starisinn gegen jede bessere Einsicht. Diese Eigenschaften machte»
ihn zur Zeit der Dobblhoff'schen Ohnmacht zum Hoffnungsstern der Conservattv-
Liberalen in Oestreich. Seine Wirksamkeit beim coustttnirenden Reichstage schien
mir jedoch unwürdig des künftigen Staatsmannes. Statt mit muthiger Beredt-
samkeit in das Rad der überstürzenden Revolution zu greisen, benutzte er tre
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