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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ein Unglück für die Sache der Freiheit gewesen, denn nicht nur erfüllte er die
Armee mit blindem Uebermuth, sondern erhob sie zum Regenten und Vormund
Oestreichs und beim Tendenzproceß des Liberalismus zum Kläger, Richter und
Henker in einer Person^). Folgte man dem Rath des Marchese, so konnte der
Belagerungszustand nach einem Monat ausgehoben werden; die Verschwendung von
Pulver und Blei, leichtem und schwerem Eisen, machte seine Permanenz zu einer
Maßregel der Nothwehr, zu einem traurigen Panzer sür das böse Gewissen der
Militärherrschaft, über deren Heldenthaten noch lange nicht genug Gras gewach"
sen ist. Sie selbst bedarf der Amnestie, sie bedarf des Vergessens von Seiten
des Volkes. Ich zweifle, daß sie ihr bald zu Theil wird. Wenigstens ist die
kleinherzige Politik des Ministeriums nicht geeignet, das Volk an eine aufrichtige
und freiwillige Versöhnlichkeit des Hofes glauben zu machen. . . So lasen wir
vor wenigen Tagen eine kaiserliche Entschließung vom 20. März, welche endlich,
-- endlich die Untersuchung gegen Alle diejenigen niederschlägt, die nicht etwa An¬
stifter, Urheber, oder thätige Theilnehmer der Octoberrcvvlutiou gewesen sind!!
"Da hielt man's!" rief mein Wirth, ein ehrbarer Schneider; "die sein von Gott's
Gnaden. Der liebe Gott-hat's akkurat so g'macht. Wie alle bösen Buben in der
Sündfluth ersoffen gewesen sein und kein' Seel mehr g'muckst hat als der gutge¬
sinnte Noah und seine Schlingel, da hat der Himmel Amnestie 'geben und den
Regenbogen als Nationalfarben ansg'hängt! "

In Italien und Ungarn wird die Menschenfresserei großartiger betrieben als
hier, dennoch lege ich ein besonderes Gewicht ans die Wiener Vorgänge; denn
Blutgerichte der Art sind seit Jahrhunderten in der Residenzstadt nicht erhört
worden. Zum ersten Mal bekamen die Wiener eine Ahnung von der östreichi¬
schen Herrschaft in fernen Provinzen. Sie träumten sich in die Seele der Lom¬
barden und verstanden das Land, "wo im dunklen Laub die Goldorangen glühen."
Der goldene Strom der Loyalität, welcher von hier aus alle Erdtaube bewässerte,
ist auf lange Zeit an der Quelle verstopft. In den Vorstädten schwärmt das
Volk für alle Feinde Oestreichs und wenn es vom Krieg in Ungarn spricht, so er¬
wähnt es jeden Vortheil der Magyaren mit den naiv Hochverrätherischen Worten:
"Die Unsrigen haben gesiegt!"

Da stehen wir wieder vor der magyaro-slavischen Conflagration, deren Flam¬
men fast bis Wien züngeln. Die Magyaren haben die kaiserliche Armee zu einr-



*) Zu bemerken ist, daß eine Anzahl älterer Offiziere durch ihre Humanität und Mäßi¬
gung sowohl die Oberbefehlshaber, wie den großen Haufen der Portepeejunker beschaue".
Unter Andern las ich in dem Privatbrief eines Stabsarztes aus Italien folgende Zeilen, d>e
an die vielbesprochenen und verdammten Aeußerungen Ruge's gegen Radetzky's erinnern:
habe hier sehen müssen, was meinen Augen bis zum letzten Athemzuge vorschweben wird,
ist gräßlich! Wollte Gott, wir würden aus diesem unglücklichen Lande hinausgchaucn, -- b'
Staatspapiere, die meine Tante C. mir aufhebt, mag der T--l holen!"

ein Unglück für die Sache der Freiheit gewesen, denn nicht nur erfüllte er die
Armee mit blindem Uebermuth, sondern erhob sie zum Regenten und Vormund
Oestreichs und beim Tendenzproceß des Liberalismus zum Kläger, Richter und
Henker in einer Person^). Folgte man dem Rath des Marchese, so konnte der
Belagerungszustand nach einem Monat ausgehoben werden; die Verschwendung von
Pulver und Blei, leichtem und schwerem Eisen, machte seine Permanenz zu einer
Maßregel der Nothwehr, zu einem traurigen Panzer sür das böse Gewissen der
Militärherrschaft, über deren Heldenthaten noch lange nicht genug Gras gewach"
sen ist. Sie selbst bedarf der Amnestie, sie bedarf des Vergessens von Seiten
des Volkes. Ich zweifle, daß sie ihr bald zu Theil wird. Wenigstens ist die
kleinherzige Politik des Ministeriums nicht geeignet, das Volk an eine aufrichtige
und freiwillige Versöhnlichkeit des Hofes glauben zu machen. . . So lasen wir
vor wenigen Tagen eine kaiserliche Entschließung vom 20. März, welche endlich,
— endlich die Untersuchung gegen Alle diejenigen niederschlägt, die nicht etwa An¬
stifter, Urheber, oder thätige Theilnehmer der Octoberrcvvlutiou gewesen sind!!
„Da hielt man's!" rief mein Wirth, ein ehrbarer Schneider; „die sein von Gott's
Gnaden. Der liebe Gott-hat's akkurat so g'macht. Wie alle bösen Buben in der
Sündfluth ersoffen gewesen sein und kein' Seel mehr g'muckst hat als der gutge¬
sinnte Noah und seine Schlingel, da hat der Himmel Amnestie 'geben und den
Regenbogen als Nationalfarben ansg'hängt! "

In Italien und Ungarn wird die Menschenfresserei großartiger betrieben als
hier, dennoch lege ich ein besonderes Gewicht ans die Wiener Vorgänge; denn
Blutgerichte der Art sind seit Jahrhunderten in der Residenzstadt nicht erhört
worden. Zum ersten Mal bekamen die Wiener eine Ahnung von der östreichi¬
schen Herrschaft in fernen Provinzen. Sie träumten sich in die Seele der Lom¬
barden und verstanden das Land, „wo im dunklen Laub die Goldorangen glühen."
Der goldene Strom der Loyalität, welcher von hier aus alle Erdtaube bewässerte,
ist auf lange Zeit an der Quelle verstopft. In den Vorstädten schwärmt das
Volk für alle Feinde Oestreichs und wenn es vom Krieg in Ungarn spricht, so er¬
wähnt es jeden Vortheil der Magyaren mit den naiv Hochverrätherischen Worten:
„Die Unsrigen haben gesiegt!"

Da stehen wir wieder vor der magyaro-slavischen Conflagration, deren Flam¬
men fast bis Wien züngeln. Die Magyaren haben die kaiserliche Armee zu einr-



*) Zu bemerken ist, daß eine Anzahl älterer Offiziere durch ihre Humanität und Mäßi¬
gung sowohl die Oberbefehlshaber, wie den großen Haufen der Portepeejunker beschaue".
Unter Andern las ich in dem Privatbrief eines Stabsarztes aus Italien folgende Zeilen, d>e
an die vielbesprochenen und verdammten Aeußerungen Ruge's gegen Radetzky's erinnern:
habe hier sehen müssen, was meinen Augen bis zum letzten Athemzuge vorschweben wird,
ist gräßlich! Wollte Gott, wir würden aus diesem unglücklichen Lande hinausgchaucn, -- b'
Staatspapiere, die meine Tante C. mir aufhebt, mag der T—l holen!"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/212>, abgerufen am 15.01.2025.