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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Es scheint keine Frage zu sein, daß diese Corruption theils aus den ursprüng¬
lichen Bestandtheilen der Bevölkerung hervorgegangen ist, theils ihren Grund in der
Politischen Verfassung hat. Wie bei allen Kolonisten, so war auch bei den An¬
siedlern in den jetzigen nordamerikanischen Freistaaten der Trieb "ach Erwerb mate¬
rieller Güter und materillcn Wohlbefindens bei weitem der vorherrschende, und es
mußte eine lange Zeit vorübergehen, bevor der mildernde Einfluß, welchen Kunst
und Wissenschaft auf den gesellschaftlichen Zustand äußert, eintrete" konnte. Wie
nachtheilig diese übertriebene Sucht nach Erwerb ans die Moralität einwirken muß,
braucht nicht erst nachgewiesen zu werden; ist ja doch allgemein bekannt, daß in
den Freistaaten die Gewandtheit, jemand im Handel und täglichen Verkehr zu über¬
listen, zu bevortheileu, ja zu bettügen nicht als etwas TadelnswertheS, ja viel¬
mehr als ein anzuerkennendes Talent gilt.

Auch die Verfassung der Freistaaten ist von diesem nachtheiligen Einfluß nicht
frei zu sprechen. Das Princip der Gleichheit sührt in seinem Gefolge das Ueble
mit sich, daß in weltlichen Dingen ihm nichts heilig ist. Der Bürger der ameri¬
kanischen Freistaaten hat sich bis jetzt noch nicht auf den politischen Höhepunkt
schwingen können, welchen der Bürger Großbritaniens längst eingenommen hat,
auf welchem das Gesetz ihm heilig ist. Freilich wird hier vorausgesetzt, daß das
Gesetz allenthalben gerecht und weise sei; wer aber kauu dies behaupten da, wo
die Sclaverei nicht allenthalben verboten ist und wo das Lynph-Gesetz noch aus¬
geübt wird? Wo die Rechte der Menschheit nicht geachtet werde", werden auch
die Rechte der Mitbürger nie volle Geltung finden. Wo es nicht zu den Selten¬
heiten gehört, daß die Vertreter der Nation in ihren Versamminngssälen sich
gegenseitig beschimpfen, ja zu Thätlichkeiten übergehen, (es ist selbst vorgekommen,
d"ß sie Pistolen aus einander abgefeuert), wo noch unlängst-der Karner, der an
der Wohnung des Präsidenten des Senats vorüberfuhr, wo Abends die Gesand¬
ten und die Honoratioren von Washington versammelt waren, seinen Karren
stehen ließ und sich in seiner bestäubten und schmutzigen Jacke hinauf begeben
und unter die Gesellschaft mischen durfte, da kann weder Achtung der Bürger
vor ihren Autoritäten noch Achtung des Bürgers vor seinem Mitbürger aufkom¬
men. Auch mag nicht abzuleugnen sein, daß die oft wiederkehrenden Wahlen zu
°en Proviucial- sowohl als zu dem General-Congressen, wo den rohen Ausbrü-
chen des Parteigeistes und politischen Sectirerei Thor und Thür geöffnet werden,
>in'e solche Sonnen uus vou deu oben genannten Schriftstellern mannigfach ge¬
schildert werden, einen nachtheiligen Einfluß aus deu Volksgeist ausüben müssen.

Als Beleg zu dem hier Angeführten, mag eine Schilderung Marryats eines
on seiner Zeit viel Aussehen erregenden Vorfalls zu Washington dienen.

"Die Mitglieder des amerikanischen Senates und Repräsentantenhauses wer¬
den nicht nur für die Hin- und Herreise bezahlt, sondern erhalten auch während


Es scheint keine Frage zu sein, daß diese Corruption theils aus den ursprüng¬
lichen Bestandtheilen der Bevölkerung hervorgegangen ist, theils ihren Grund in der
Politischen Verfassung hat. Wie bei allen Kolonisten, so war auch bei den An¬
siedlern in den jetzigen nordamerikanischen Freistaaten der Trieb »ach Erwerb mate¬
rieller Güter und materillcn Wohlbefindens bei weitem der vorherrschende, und es
mußte eine lange Zeit vorübergehen, bevor der mildernde Einfluß, welchen Kunst
und Wissenschaft auf den gesellschaftlichen Zustand äußert, eintrete» konnte. Wie
nachtheilig diese übertriebene Sucht nach Erwerb ans die Moralität einwirken muß,
braucht nicht erst nachgewiesen zu werden; ist ja doch allgemein bekannt, daß in
den Freistaaten die Gewandtheit, jemand im Handel und täglichen Verkehr zu über¬
listen, zu bevortheileu, ja zu bettügen nicht als etwas TadelnswertheS, ja viel¬
mehr als ein anzuerkennendes Talent gilt.

Auch die Verfassung der Freistaaten ist von diesem nachtheiligen Einfluß nicht
frei zu sprechen. Das Princip der Gleichheit sührt in seinem Gefolge das Ueble
mit sich, daß in weltlichen Dingen ihm nichts heilig ist. Der Bürger der ameri¬
kanischen Freistaaten hat sich bis jetzt noch nicht auf den politischen Höhepunkt
schwingen können, welchen der Bürger Großbritaniens längst eingenommen hat,
auf welchem das Gesetz ihm heilig ist. Freilich wird hier vorausgesetzt, daß das
Gesetz allenthalben gerecht und weise sei; wer aber kauu dies behaupten da, wo
die Sclaverei nicht allenthalben verboten ist und wo das Lynph-Gesetz noch aus¬
geübt wird? Wo die Rechte der Menschheit nicht geachtet werde», werden auch
die Rechte der Mitbürger nie volle Geltung finden. Wo es nicht zu den Selten¬
heiten gehört, daß die Vertreter der Nation in ihren Versamminngssälen sich
gegenseitig beschimpfen, ja zu Thätlichkeiten übergehen, (es ist selbst vorgekommen,
d"ß sie Pistolen aus einander abgefeuert), wo noch unlängst-der Karner, der an
der Wohnung des Präsidenten des Senats vorüberfuhr, wo Abends die Gesand¬
ten und die Honoratioren von Washington versammelt waren, seinen Karren
stehen ließ und sich in seiner bestäubten und schmutzigen Jacke hinauf begeben
und unter die Gesellschaft mischen durfte, da kann weder Achtung der Bürger
vor ihren Autoritäten noch Achtung des Bürgers vor seinem Mitbürger aufkom¬
men. Auch mag nicht abzuleugnen sein, daß die oft wiederkehrenden Wahlen zu
°en Proviucial- sowohl als zu dem General-Congressen, wo den rohen Ausbrü-
chen des Parteigeistes und politischen Sectirerei Thor und Thür geöffnet werden,
>in'e solche Sonnen uus vou deu oben genannten Schriftstellern mannigfach ge¬
schildert werden, einen nachtheiligen Einfluß aus deu Volksgeist ausüben müssen.

Als Beleg zu dem hier Angeführten, mag eine Schilderung Marryats eines
on seiner Zeit viel Aussehen erregenden Vorfalls zu Washington dienen.

»Die Mitglieder des amerikanischen Senates und Repräsentantenhauses wer¬
den nicht nur für die Hin- und Herreise bezahlt, sondern erhalten auch während


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[0189] Es scheint keine Frage zu sein, daß diese Corruption theils aus den ursprüng¬ lichen Bestandtheilen der Bevölkerung hervorgegangen ist, theils ihren Grund in der Politischen Verfassung hat. Wie bei allen Kolonisten, so war auch bei den An¬ siedlern in den jetzigen nordamerikanischen Freistaaten der Trieb »ach Erwerb mate¬ rieller Güter und materillcn Wohlbefindens bei weitem der vorherrschende, und es mußte eine lange Zeit vorübergehen, bevor der mildernde Einfluß, welchen Kunst und Wissenschaft auf den gesellschaftlichen Zustand äußert, eintrete» konnte. Wie nachtheilig diese übertriebene Sucht nach Erwerb ans die Moralität einwirken muß, braucht nicht erst nachgewiesen zu werden; ist ja doch allgemein bekannt, daß in den Freistaaten die Gewandtheit, jemand im Handel und täglichen Verkehr zu über¬ listen, zu bevortheileu, ja zu bettügen nicht als etwas TadelnswertheS, ja viel¬ mehr als ein anzuerkennendes Talent gilt. Auch die Verfassung der Freistaaten ist von diesem nachtheiligen Einfluß nicht frei zu sprechen. Das Princip der Gleichheit sührt in seinem Gefolge das Ueble mit sich, daß in weltlichen Dingen ihm nichts heilig ist. Der Bürger der ameri¬ kanischen Freistaaten hat sich bis jetzt noch nicht auf den politischen Höhepunkt schwingen können, welchen der Bürger Großbritaniens längst eingenommen hat, auf welchem das Gesetz ihm heilig ist. Freilich wird hier vorausgesetzt, daß das Gesetz allenthalben gerecht und weise sei; wer aber kauu dies behaupten da, wo die Sclaverei nicht allenthalben verboten ist und wo das Lynph-Gesetz noch aus¬ geübt wird? Wo die Rechte der Menschheit nicht geachtet werde», werden auch die Rechte der Mitbürger nie volle Geltung finden. Wo es nicht zu den Selten¬ heiten gehört, daß die Vertreter der Nation in ihren Versamminngssälen sich gegenseitig beschimpfen, ja zu Thätlichkeiten übergehen, (es ist selbst vorgekommen, d"ß sie Pistolen aus einander abgefeuert), wo noch unlängst-der Karner, der an der Wohnung des Präsidenten des Senats vorüberfuhr, wo Abends die Gesand¬ ten und die Honoratioren von Washington versammelt waren, seinen Karren stehen ließ und sich in seiner bestäubten und schmutzigen Jacke hinauf begeben und unter die Gesellschaft mischen durfte, da kann weder Achtung der Bürger vor ihren Autoritäten noch Achtung des Bürgers vor seinem Mitbürger aufkom¬ men. Auch mag nicht abzuleugnen sein, daß die oft wiederkehrenden Wahlen zu °en Proviucial- sowohl als zu dem General-Congressen, wo den rohen Ausbrü- chen des Parteigeistes und politischen Sectirerei Thor und Thür geöffnet werden, >in'e solche Sonnen uus vou deu oben genannten Schriftstellern mannigfach ge¬ schildert werden, einen nachtheiligen Einfluß aus deu Volksgeist ausüben müssen. Als Beleg zu dem hier Angeführten, mag eine Schilderung Marryats eines on seiner Zeit viel Aussehen erregenden Vorfalls zu Washington dienen. »Die Mitglieder des amerikanischen Senates und Repräsentantenhauses wer¬ den nicht nur für die Hin- und Herreise bezahlt, sondern erhalten auch während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/189>, abgerufen am 15.01.2025.