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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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darauf hinzudeuten, daß die Rüstkammern Oestreichs erschöpft sind. -- Drei Te¬
legraphendrähte führen nach Olmütz und dennoch weiß man hier, im Sitze
der Regierung, nur sehr wenig von dem, was in den Provinzen und namentlich
in Ungarn vorgeht. Der Inhalt der telegraphischen Depeschen wird dem Publi¬
kum nicht mitgetheilt und die Geheimnißkrämerei findet hier den besten Platz.
Man lebt in dieser Beziehung ganz wie in den vormärzlichen Zeiten. Wer der
Neffe eines kaiserlichen Unterthürstehers ist, erfährt Manches, wer in einem zärt¬
lichen Verhältnisse mit der Tochter einer Hofwäscherin steht, weiß Vieles, und
wer sich auf das bedeutsame Mienenspiel der Schreiber in den ministeriellen Bu¬
reaus versteht, kann sich wohl an einen politischen Artikel wagen. Die Diplomaten
Mit den hohen Stirnen, spitzigen Nasen und dünnen Lippen sind für die Olmützer,
welche sonst blos die dicken Lippen und die fleischigen Nasen des zahlreichen Kle¬
rus oder die ausdruckslosen Gesichter einer gewöhnlichen Garnison vor sich hatten,
eine sehr befremdende Erscheinung. Im Theater, welches der junge Kaiser sammt
der ganzen kaiserlichen Familie sehr oft besucht, staunen sie zu diesen Lenkeru des
östreichischen Staatsschiffes hinauf und sammeln dankbar von den Kammerdienern
und Gentlemen-Leiblakaien im Parterre Notizen über die Notabilitäten des HoflagerS
ein. Die meisten derselben sind sehr alt und können die metternich-sedlinitzkische
Verwandschaft nicht verleugnen. Ein höchst mittelmäßiges Theater, welches zuwei¬
len durch die Hofschauspieler unterstützt wird und einige Conccrtisten zweiten oder
dritten Ranges bieten dem diplomatischen Corps, der aristokratischen Suite des
Hofes und den Offizieren der Besatzung die nöthige Zerstreuung. <

Vor wenigen Tagen traf Windischgrätz im Hoflager ein. "8in transit Kloi i"
wurM" kann dieser Mann sagen. Wer hätte vor drei Monaten in Oestreich die
Tollkühnheit besessen an dem Feldherrntalente und den großen politischen Gaben
des Fürsten Feldmarschalls zu zweifeln oder in anderen Ausdrücken als jenen der
Maßlosesten Verehrung zu sprechen, und jetzt wagt es der letzte Berichterstatter des
obskursten Journals trotz des drakonischen Preßgesetzes zu beweisen, daß der Ex-
generalissimus nicht ein Bataillon zu commandiren verstehe. In dem letzten Mi¬
nisterrathe soll Windischgrätz für Unterhandlungen mit Ungarn, Stadion für Fort¬
setzung des Krieges mit eigenen Mitteln und Bach für eine ausgiebige russische
Hilfe gestimmt haben. Der Krieg in Ungarn fesselt das Interesse der Bevölke¬
rung bei Weitem in höherem Grade als die endliche Constituirung Deutschlands.
Die Ursache davon mag theils in der Nachbarschaft des aufständischen Landes,
Heils in dem Umstände liegen, daß fast alle Journale von einiger Bedeutung
^it Ausnahme der "Ostdeutschen Post", der ungarischen Frage den größten Theil
Hrer Aufmerksamkeit und ihres Raumes widmen, während Deutschland nur so
Nebenbei beachtet wird. Der Lloyd spricht sogar schon kriegerisch Deutschland ge¬
genüber und die hyperministerillen Blätter wälzen sich vor Freude über das Zu¬
standekommen von Kleindeutschland. Die Bevölkerung der sogenannten deutschöst-
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darauf hinzudeuten, daß die Rüstkammern Oestreichs erschöpft sind. — Drei Te¬
legraphendrähte führen nach Olmütz und dennoch weiß man hier, im Sitze
der Regierung, nur sehr wenig von dem, was in den Provinzen und namentlich
in Ungarn vorgeht. Der Inhalt der telegraphischen Depeschen wird dem Publi¬
kum nicht mitgetheilt und die Geheimnißkrämerei findet hier den besten Platz.
Man lebt in dieser Beziehung ganz wie in den vormärzlichen Zeiten. Wer der
Neffe eines kaiserlichen Unterthürstehers ist, erfährt Manches, wer in einem zärt¬
lichen Verhältnisse mit der Tochter einer Hofwäscherin steht, weiß Vieles, und
wer sich auf das bedeutsame Mienenspiel der Schreiber in den ministeriellen Bu¬
reaus versteht, kann sich wohl an einen politischen Artikel wagen. Die Diplomaten
Mit den hohen Stirnen, spitzigen Nasen und dünnen Lippen sind für die Olmützer,
welche sonst blos die dicken Lippen und die fleischigen Nasen des zahlreichen Kle¬
rus oder die ausdruckslosen Gesichter einer gewöhnlichen Garnison vor sich hatten,
eine sehr befremdende Erscheinung. Im Theater, welches der junge Kaiser sammt
der ganzen kaiserlichen Familie sehr oft besucht, staunen sie zu diesen Lenkeru des
östreichischen Staatsschiffes hinauf und sammeln dankbar von den Kammerdienern
und Gentlemen-Leiblakaien im Parterre Notizen über die Notabilitäten des HoflagerS
ein. Die meisten derselben sind sehr alt und können die metternich-sedlinitzkische
Verwandschaft nicht verleugnen. Ein höchst mittelmäßiges Theater, welches zuwei¬
len durch die Hofschauspieler unterstützt wird und einige Conccrtisten zweiten oder
dritten Ranges bieten dem diplomatischen Corps, der aristokratischen Suite des
Hofes und den Offizieren der Besatzung die nöthige Zerstreuung. <

Vor wenigen Tagen traf Windischgrätz im Hoflager ein. „8in transit Kloi i»
wurM" kann dieser Mann sagen. Wer hätte vor drei Monaten in Oestreich die
Tollkühnheit besessen an dem Feldherrntalente und den großen politischen Gaben
des Fürsten Feldmarschalls zu zweifeln oder in anderen Ausdrücken als jenen der
Maßlosesten Verehrung zu sprechen, und jetzt wagt es der letzte Berichterstatter des
obskursten Journals trotz des drakonischen Preßgesetzes zu beweisen, daß der Ex-
generalissimus nicht ein Bataillon zu commandiren verstehe. In dem letzten Mi¬
nisterrathe soll Windischgrätz für Unterhandlungen mit Ungarn, Stadion für Fort¬
setzung des Krieges mit eigenen Mitteln und Bach für eine ausgiebige russische
Hilfe gestimmt haben. Der Krieg in Ungarn fesselt das Interesse der Bevölke¬
rung bei Weitem in höherem Grade als die endliche Constituirung Deutschlands.
Die Ursache davon mag theils in der Nachbarschaft des aufständischen Landes,
Heils in dem Umstände liegen, daß fast alle Journale von einiger Bedeutung
^it Ausnahme der „Ostdeutschen Post", der ungarischen Frage den größten Theil
Hrer Aufmerksamkeit und ihres Raumes widmen, während Deutschland nur so
Nebenbei beachtet wird. Der Lloyd spricht sogar schon kriegerisch Deutschland ge¬
genüber und die hyperministerillen Blätter wälzen sich vor Freude über das Zu¬
standekommen von Kleindeutschland. Die Bevölkerung der sogenannten deutschöst-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/177>, abgerufen am 15.01.2025.