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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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reichischcn Provinzen wird durch den Krieg in Ungarn unstreitig am Meisten in
das Mitleiden gezogen und doch ist den Magyaren im Herzen Niemand gram.
Man sieht ein, daß die Besiegung der Ungarn ein nothwendiges Mittel ist, um nur
die näästc Aussicht in die Zukunft Oestreichs etwas aufzuklären und dennoch wünscht
man, daß es ein anderes Mittel gebe, das Land zu pacificiren. Der Patriotis¬
mus, welcher auch vor den rigorosesten Denunciationsjvurualeu Wiens Anerken¬
nung findet, ist nur bei der Bureaukratie, bei den aktiven und pensionirten Offi¬
zieren und einem geringen Theile der Handelswelt zu suchen.

Was nun der Patriotismus nicht leistet, das bringt der Belagerungszustand
nud das Gouvernement des Säbels zu Stande. Uebrigens kann man annehmen,
daß die meisten Provinzen Alles aufwenden werden, nur deu Frieden in Ungarn
herzustellen, wenn sie wüßten, daß dadurch dem Einmärsche der Russen ein für
alle Mal vorgebeugt würde. -- Die Nachrichten vom Kriegsschauplatze find leider
von der Art, daß mau dein Hereinbrechen der russischen Corps täglich entgegen¬
sehen kann; denn die kaiserliche Armee ist in stetem Rückzüge begriffen, vom Er¬
greifen der Offensive kaun daher nichts verlauten; heute Morgeus erzählte man
hier sogar von der Einnahme Pesths und der Entsetzung Kvmorns. Solche Ge¬
rüchte finden hier zahlreiche Hörer und willige Verbreiter, während man zu den
Bulletins der k. k. Armee den Kopf schüttelt und an die oftmals berichtete Ver¬
nichtung Beins, Gefangennehmung Kossuths ?c. erinnert. In der That muß das
gläubigste östreichische Gemüth von einigen Zweifeln bestätigt werden, wennncich ungefähr
40 Sicgcöbnlletins die OpcrationSlinie der k. k. Truppen wieder auf dem rech¬
ten Donaunfer erscheint. In Ungarn befindet sich blos der Kriegsminister in einer
schlimmen Lage: in Bezug auf die südslavischeu Länder das ganze Ministerium.
Die Kroaten und Serben sprachen es offen aus, baß sie von der octroyirten
Verfassung Nichts wissen wollten; die Art und Weise wie man in Ungarn von
kaiserlicher Seite den Krieg führt und in den unterworfenen Comitaten administrirt,
haben das Vertrauen auf das Ministerium Schwarzenberg-Stadion so wankend
gemacht, daß die südslavische Zeitung offen bekennt: "unsere Sachen in Ungarn
stehen mißlich und wenn sich nicht bald die Superi wie vor Troja in's Mittel le¬
gn,, so werden wir bald an die Stelle gelangen, an welcher wir werden aus¬
rufen müssen: I>'i"i8/^user-ri?! Das ist allerdings sehr stark und in den friedlichen
deutschen Provinzen dürfte sich die Presse eben so wenig wie die nicht geheime
Konversation eine solche Aeußerung erlauben. Die Slovaken in Nordungarn sind
ein friedliches Volk, aus den Namen "Ungar" stolz, und wenn sie die Versiche¬
rung haben, daß sie nicht mit der Peitsche gezwungen werden, magyarisch zu
lernen, so dürsten sie sehr leicht dem Plane der "Presse", welche Ungarn nach den
Nationalitäten in größere Bezirke theilen will, entgegentreten. In Galizien ist
die Ruhe eines Kirchhofs, die uur zuweilen durch Gefechte an der ungarischen
Grenze gestört wird. Die Deutschen Oestreichs scheinen zu ahnen, daß ihr Ver-


reichischcn Provinzen wird durch den Krieg in Ungarn unstreitig am Meisten in
das Mitleiden gezogen und doch ist den Magyaren im Herzen Niemand gram.
Man sieht ein, daß die Besiegung der Ungarn ein nothwendiges Mittel ist, um nur
die näästc Aussicht in die Zukunft Oestreichs etwas aufzuklären und dennoch wünscht
man, daß es ein anderes Mittel gebe, das Land zu pacificiren. Der Patriotis¬
mus, welcher auch vor den rigorosesten Denunciationsjvurualeu Wiens Anerken¬
nung findet, ist nur bei der Bureaukratie, bei den aktiven und pensionirten Offi¬
zieren und einem geringen Theile der Handelswelt zu suchen.

Was nun der Patriotismus nicht leistet, das bringt der Belagerungszustand
nud das Gouvernement des Säbels zu Stande. Uebrigens kann man annehmen,
daß die meisten Provinzen Alles aufwenden werden, nur deu Frieden in Ungarn
herzustellen, wenn sie wüßten, daß dadurch dem Einmärsche der Russen ein für
alle Mal vorgebeugt würde. — Die Nachrichten vom Kriegsschauplatze find leider
von der Art, daß mau dein Hereinbrechen der russischen Corps täglich entgegen¬
sehen kann; denn die kaiserliche Armee ist in stetem Rückzüge begriffen, vom Er¬
greifen der Offensive kaun daher nichts verlauten; heute Morgeus erzählte man
hier sogar von der Einnahme Pesths und der Entsetzung Kvmorns. Solche Ge¬
rüchte finden hier zahlreiche Hörer und willige Verbreiter, während man zu den
Bulletins der k. k. Armee den Kopf schüttelt und an die oftmals berichtete Ver¬
nichtung Beins, Gefangennehmung Kossuths ?c. erinnert. In der That muß das
gläubigste östreichische Gemüth von einigen Zweifeln bestätigt werden, wennncich ungefähr
40 Sicgcöbnlletins die OpcrationSlinie der k. k. Truppen wieder auf dem rech¬
ten Donaunfer erscheint. In Ungarn befindet sich blos der Kriegsminister in einer
schlimmen Lage: in Bezug auf die südslavischeu Länder das ganze Ministerium.
Die Kroaten und Serben sprachen es offen aus, baß sie von der octroyirten
Verfassung Nichts wissen wollten; die Art und Weise wie man in Ungarn von
kaiserlicher Seite den Krieg führt und in den unterworfenen Comitaten administrirt,
haben das Vertrauen auf das Ministerium Schwarzenberg-Stadion so wankend
gemacht, daß die südslavische Zeitung offen bekennt: „unsere Sachen in Ungarn
stehen mißlich und wenn sich nicht bald die Superi wie vor Troja in's Mittel le¬
gn,, so werden wir bald an die Stelle gelangen, an welcher wir werden aus¬
rufen müssen: I>'i»i8/^user-ri?! Das ist allerdings sehr stark und in den friedlichen
deutschen Provinzen dürfte sich die Presse eben so wenig wie die nicht geheime
Konversation eine solche Aeußerung erlauben. Die Slovaken in Nordungarn sind
ein friedliches Volk, aus den Namen „Ungar" stolz, und wenn sie die Versiche¬
rung haben, daß sie nicht mit der Peitsche gezwungen werden, magyarisch zu
lernen, so dürsten sie sehr leicht dem Plane der „Presse", welche Ungarn nach den
Nationalitäten in größere Bezirke theilen will, entgegentreten. In Galizien ist
die Ruhe eines Kirchhofs, die uur zuweilen durch Gefechte an der ungarischen
Grenze gestört wird. Die Deutschen Oestreichs scheinen zu ahnen, daß ihr Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/178>, abgerufen am 15.01.2025.