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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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noranz über Deutschland -- man kennt es in Petersburg besser als hier -- scheut
er sich nicht die naivste Selbstsucht zur Schau zu tragen. Ein Typus dieser Race,
mein Nachbar Kappelbaumer, geht mit den Männern in Frankfurt um wie mit
den "böswilligen Buben" in Wien. Da es hier ministerieller Styl ist, Pillersdors
-- diese blutdürstige Turteltaube -- in einen Sack mit Marat und Kühnapfel zu
werfen, so wird es Herrn Kappelbaumer unmöglich, zwischen Gagern und Chaises
einen wesentlichen Unterschied zu machen. Nach Tische, wenn seine geblümte Weste
einen kühnen umgekehrten Spitzbogen bildet, wendet er sich mit drohendem Zeige¬
finger gegen das Ausland. "Ja, die sakrischen Norddeutschen - das sind per¬
fide Gesellen -- sind gar nicht gut östreichisch. -- Baiern, braves Volk! -- Die
Berliner falsch, falsch, und der König dort ganz wie Carlo Alberto. -- Aber wart
nur, wir werden ihm Schlesien nehmen"); die Schlesier haben so noch große Sym¬
pathien für Maria Theresia. -- Ha, ha, wenn die Seresaner einmal in Frank¬
furt die Hauptwache beziehen! Die werden schauen, die schlechten Kerle." --
"Lieber Herr Kappelbaumer, ich fürchte nur, das Ministerium in London hält's
mit Deutschland." -- "Sie haben Recht, ist gar nicht gut östreichisch gesinnt.
Aber wir werden's den Engländern schon gedenken."

Ich hätte Lust, bei meinem Freunde Kappelbaumer zu bleiben, den ich nicht
einmal karrikirte und das Ministerium durch seinen Mund sprechen zu lassen, aber
die Sache ist zu traurig für den Scherz.

Ans endemischer Begriffsverwirrung wurden selbst ehrliche Deutschöstreicher
Bundesgenossen des Cabinets. Theils ließen sie sich von übermächtigen Preußen¬
haß fortreißen, theils ergriff sie panischer Schrecken über das czechische Beifall¬
klatschen zum Plane Gagerns. Statt einzusehen, daß ein respecteinflößendes Deutsch¬
land der einzige moralische Rückhalt für die Sache des Deutschthums und der
Cultur in Oestreich wäre, wollten sie kleinmüthig an der eignen Kraft verzweifeln,
sahen sich wie die Elsasser von Deutschlands Tisch und Bett geschieden, wähnten
sich schon hannakisirt, czechisirt und magyarisirt. Als wären die Drahtenbinder
Franzosen! . . .

Noch blinder triebens die östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Sie träumten,
Vertreter eines souveränen deutschöstreichischen Volkes zu sein -- daß Gott erbarm!
-- und waren Schwarzenberg'sche Uhlanen, zur Sprengung des Parlaments beordert,
ohne es zu wissen. Doch, was erzähle ich Ihnen? Die Liga von Oestreichern,
Ultramontanern und rothen Republikanern ist ja gesprengt. Wehe den Hiesigen,
die bei der Kaiserwahl in Frankfurt stimmten -- sie sind im schwarzen Buch vor¬
gemerkt -- aber auch Jener wird man keinen Dank wissen, die in der elften Stunde
zur Besinnung kamen und sich der Abstimmung enthielten. Auf Mehrere, wie
Giskra, Hartmann u. s. w. wird gefahndet, sobald sich ihr Schatten über die
Grenze wagt.


Der Eins'

Kappelbaumer hat das buchstäblich im "Lloyd" gelesen.

noranz über Deutschland — man kennt es in Petersburg besser als hier — scheut
er sich nicht die naivste Selbstsucht zur Schau zu tragen. Ein Typus dieser Race,
mein Nachbar Kappelbaumer, geht mit den Männern in Frankfurt um wie mit
den „böswilligen Buben" in Wien. Da es hier ministerieller Styl ist, Pillersdors
— diese blutdürstige Turteltaube — in einen Sack mit Marat und Kühnapfel zu
werfen, so wird es Herrn Kappelbaumer unmöglich, zwischen Gagern und Chaises
einen wesentlichen Unterschied zu machen. Nach Tische, wenn seine geblümte Weste
einen kühnen umgekehrten Spitzbogen bildet, wendet er sich mit drohendem Zeige¬
finger gegen das Ausland. „Ja, die sakrischen Norddeutschen - das sind per¬
fide Gesellen — sind gar nicht gut östreichisch. — Baiern, braves Volk! — Die
Berliner falsch, falsch, und der König dort ganz wie Carlo Alberto. — Aber wart
nur, wir werden ihm Schlesien nehmen"); die Schlesier haben so noch große Sym¬
pathien für Maria Theresia. — Ha, ha, wenn die Seresaner einmal in Frank¬
furt die Hauptwache beziehen! Die werden schauen, die schlechten Kerle." —
„Lieber Herr Kappelbaumer, ich fürchte nur, das Ministerium in London hält's
mit Deutschland." — „Sie haben Recht, ist gar nicht gut östreichisch gesinnt.
Aber wir werden's den Engländern schon gedenken."

Ich hätte Lust, bei meinem Freunde Kappelbaumer zu bleiben, den ich nicht
einmal karrikirte und das Ministerium durch seinen Mund sprechen zu lassen, aber
die Sache ist zu traurig für den Scherz.

Ans endemischer Begriffsverwirrung wurden selbst ehrliche Deutschöstreicher
Bundesgenossen des Cabinets. Theils ließen sie sich von übermächtigen Preußen¬
haß fortreißen, theils ergriff sie panischer Schrecken über das czechische Beifall¬
klatschen zum Plane Gagerns. Statt einzusehen, daß ein respecteinflößendes Deutsch¬
land der einzige moralische Rückhalt für die Sache des Deutschthums und der
Cultur in Oestreich wäre, wollten sie kleinmüthig an der eignen Kraft verzweifeln,
sahen sich wie die Elsasser von Deutschlands Tisch und Bett geschieden, wähnten
sich schon hannakisirt, czechisirt und magyarisirt. Als wären die Drahtenbinder
Franzosen! . . .

Noch blinder triebens die östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Sie träumten,
Vertreter eines souveränen deutschöstreichischen Volkes zu sein — daß Gott erbarm!
— und waren Schwarzenberg'sche Uhlanen, zur Sprengung des Parlaments beordert,
ohne es zu wissen. Doch, was erzähle ich Ihnen? Die Liga von Oestreichern,
Ultramontanern und rothen Republikanern ist ja gesprengt. Wehe den Hiesigen,
die bei der Kaiserwahl in Frankfurt stimmten — sie sind im schwarzen Buch vor¬
gemerkt — aber auch Jener wird man keinen Dank wissen, die in der elften Stunde
zur Besinnung kamen und sich der Abstimmung enthielten. Auf Mehrere, wie
Giskra, Hartmann u. s. w. wird gefahndet, sobald sich ihr Schatten über die
Grenze wagt.


Der Eins'

Kappelbaumer hat das buchstäblich im „Lloyd" gelesen.
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[0146] noranz über Deutschland — man kennt es in Petersburg besser als hier — scheut er sich nicht die naivste Selbstsucht zur Schau zu tragen. Ein Typus dieser Race, mein Nachbar Kappelbaumer, geht mit den Männern in Frankfurt um wie mit den „böswilligen Buben" in Wien. Da es hier ministerieller Styl ist, Pillersdors — diese blutdürstige Turteltaube — in einen Sack mit Marat und Kühnapfel zu werfen, so wird es Herrn Kappelbaumer unmöglich, zwischen Gagern und Chaises einen wesentlichen Unterschied zu machen. Nach Tische, wenn seine geblümte Weste einen kühnen umgekehrten Spitzbogen bildet, wendet er sich mit drohendem Zeige¬ finger gegen das Ausland. „Ja, die sakrischen Norddeutschen - das sind per¬ fide Gesellen — sind gar nicht gut östreichisch. — Baiern, braves Volk! — Die Berliner falsch, falsch, und der König dort ganz wie Carlo Alberto. — Aber wart nur, wir werden ihm Schlesien nehmen"); die Schlesier haben so noch große Sym¬ pathien für Maria Theresia. — Ha, ha, wenn die Seresaner einmal in Frank¬ furt die Hauptwache beziehen! Die werden schauen, die schlechten Kerle." — „Lieber Herr Kappelbaumer, ich fürchte nur, das Ministerium in London hält's mit Deutschland." — „Sie haben Recht, ist gar nicht gut östreichisch gesinnt. Aber wir werden's den Engländern schon gedenken." Ich hätte Lust, bei meinem Freunde Kappelbaumer zu bleiben, den ich nicht einmal karrikirte und das Ministerium durch seinen Mund sprechen zu lassen, aber die Sache ist zu traurig für den Scherz. Ans endemischer Begriffsverwirrung wurden selbst ehrliche Deutschöstreicher Bundesgenossen des Cabinets. Theils ließen sie sich von übermächtigen Preußen¬ haß fortreißen, theils ergriff sie panischer Schrecken über das czechische Beifall¬ klatschen zum Plane Gagerns. Statt einzusehen, daß ein respecteinflößendes Deutsch¬ land der einzige moralische Rückhalt für die Sache des Deutschthums und der Cultur in Oestreich wäre, wollten sie kleinmüthig an der eignen Kraft verzweifeln, sahen sich wie die Elsasser von Deutschlands Tisch und Bett geschieden, wähnten sich schon hannakisirt, czechisirt und magyarisirt. Als wären die Drahtenbinder Franzosen! . . . Noch blinder triebens die östreichischen Abgeordneten in Frankfurt. Sie träumten, Vertreter eines souveränen deutschöstreichischen Volkes zu sein — daß Gott erbarm! — und waren Schwarzenberg'sche Uhlanen, zur Sprengung des Parlaments beordert, ohne es zu wissen. Doch, was erzähle ich Ihnen? Die Liga von Oestreichern, Ultramontanern und rothen Republikanern ist ja gesprengt. Wehe den Hiesigen, die bei der Kaiserwahl in Frankfurt stimmten — sie sind im schwarzen Buch vor¬ gemerkt — aber auch Jener wird man keinen Dank wissen, die in der elften Stunde zur Besinnung kamen und sich der Abstimmung enthielten. Auf Mehrere, wie Giskra, Hartmann u. s. w. wird gefahndet, sobald sich ihr Schatten über die Grenze wagt. Der Eins' Kappelbaumer hat das buchstäblich im „Lloyd" gelesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/146>, abgerufen am 15.01.2025.